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Ball und Buchstabe

Ein sehr lesenswertes FR-Dossier über Fußball und Homosexualität

Oliver Fritsch | Dienstag, 15. November 2005 Kommentare deaktiviert für Ein sehr lesenswertes FR-Dossier über Fußball und Homosexualität

„Ich spiele Fußball. Und ich bin schwul“ – ein Erlebnisbericht eines pseudonymen Amateurfußballers in der (FR 15.11.): „Ich musste meinen Freunden mitteilen, dass ihr Mannschaftskamerad schwul ist. Und auch wenn sich für mich mit meinem Coming-out nichts geändert hat, war es für die anderen, denke ich, nicht ganz so einfach. Denn auch wenn ich bei einem Körperkontakt im Tackling, bei einem Zweikampf im Spiel oder nach dem Training unter der Dusche an alles andere als an Sex denke, müssen meine Mannschaftskameraden und Freunde doch damit umgehen können, dass ihr Geschlecht das für mich reizvolle ist. Meine Freundschaften in der Mannschaft haben diese Nachricht zwar mit etwas Mühe, aber insgesamt sehr gut überstanden, und Probleme mit mir und der Intimität, die in jeder Kabine herrscht, hatte keiner. Diejenigen, denen ich so viel Offenheit und Toleranz nicht zugetraut habe, habe ich umgangen und nicht mit ihnen über meine Homosexualität gesprochen. Ich wollte sie nicht damit belasten, bei jeder zweiten Situation auf dem Platz über den möglichen Hintergrund der Berührung (den es für mich nicht gibt) nachdenken zu müssen. Aber auch die, die es nicht von mir, sondern vielleicht durch das übliche Gerede im Ort erfahren haben, hatten damit keine Probleme – oder haben sie mir zumindest nicht mitgeteilt. Das ist schön, aber wohl auch ungewöhnlich.“

Stetiger Weg nach unten

Thomas Vögele (FR 15.11.) erzählt die traurige Geschichte Justin Fashanus, der sein Bekenntnis nicht überlebte: „Am 2. Mai 1998 fand man Justin Fashanu erhängt in einer Garage im Londoner Stadtteil Shoreditch. Der 37-Jährige hatte seinem Leben ein Ende gesetzt, nachdem er tags zuvor erfahren hatte, er werde mit internationalem Haftbefehl gesucht. Fashanu war vorgeworfen worden, in den USA einen 17-Jährigen sexuell missbraucht zu haben. Es war das tödliche Ende seines Outings als schwuler Profifußballer. Er war der erste und bislang einzige, der diesen Schritt gewagt hat. Fashanu erfüllt 1979 alle Voraussetzungen für eine große Karriere: Ein spektakuläres Tor für Norwich City macht ihn auf der Insel über Nacht berühmt, Nottingham Forest bezahlt für seinen Wechsel 1981 eine Million Pfund – die bis dahin höchste Transfersumme für einen schwarzen Fußballer. Und Fashanu offenbart nicht nur Fähigkeiten auf dem Rasen. Er ist intelligent, kann sich gut ausdrücken und hat Charme – heute würde man sagen: er ist in höchstem Maße medienkompatibel. Nottinghams Teammanager Brian Clough gefällt das nicht, er lässt den Spieler deshalb früh seine Abneigung spüren. Als man Clough erzählt, Fashanu sei in der Schwulenszene unterwegs, wirft er ihn aus der Mannschaft. Fashanu trainiert – gegen des Managers Willen – bei den Reservisten, bis ihn Clough von der Polizei vom Gelände führen lässt. Es beginnt eine Odyssee durch Englands Fußballligen, wobei der Weg stetig nach unten führt. (…) „Wenn irgend jemand diese Notiz findet, bin ich hoffentlich nicht mehr da. Schwul und eine Person des öffentlichen Lebens zu sein, ist hart… Bevor ich meinen Freunden und meiner Familie weiteres Unglück zufüge, will ich lieber sterben.““

Wolfgang Hettfleisch (FR 15.11.) bringt eine teilnehmende Beobachtung aufs Papier: „Wer mit Vereinsfußball auf Kreisliga-Niveau aufgewachsen ist (wie der Autor dieser Zeilen), der hat spätestens im A-Jugend-Alter die Ingredienzen zur Ausübung seines Sports verinnerlicht: Tritt hin, wenn’s dir nützt; beleidige den Gegenspieler, bis er ausrastet; sauf‘ mit den anderen, bis der Kasten leer ist; und sprich vor und nach Spiel und Training ausgiebig über Sex, auch wenn du keinen gehabt hast. Sex mit Frauen natürlich, vielmehr: mit Weibern, Alten, Hühnern oder Bräuten. Alles andere ist in diesem Milieu unvorstellbar. Aus unerfindlichen Gründen stellt sich der durchschnittliche heterosexuelle Stollenschuh-Träger einen Schwulen stets als notgeilen Zwangscharakter vor, als Sex-Maniac, der’s von morgens bis abends mit allen Männern gleichzeitig treiben will – und am liebsten mit ‚ner ganzen Fußballmannschaft unter der Dusche. Vereinsfußball ist ein mieses Umfeld fürs Coming-out eines, sagen wir, 18-Jährigen, der womöglich gerade genug damit zu tun hat, die Erkenntnis zu verdauen, dass er schwul ist. Im Spitzensport wäre seine Lage nicht minder prekär.“

Panische Angst vor dem Outing

Noch einmal Wolfgang Hettfleisch (FR 15.11.), der einen Krimi über das Outing eines schwulen Fußballers gelesen hat: „Mancher schwule Bundesliga-Profi soll den egalitären Anspruch des beruflichen Umfelds so verinnerlicht haben, dass er sich Freundin oder Frau zulegte, um noch ein bisschen gleicher zu sein. Nach Auffassung des früheren Fifa-Schiedsrichters John Blankenstein aus den Niederlanden ist jeder 15. Profi, wozu er selbst sich längst offen bekennt: schwul. Noch tun diese Spieler gut daran, sich dem unausgesprochenen Grundsatz zu unterwerfen, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Der frühere Libero des 1. FC Köln, Paul Steiner, hat die Geisteshaltung der Branche einst in Stein gemeißelt, indem er sagte: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Schwule Fußball spielen können.“ Das Bekenntnis zur Homosexualität, sagt Blankenstein, könne eine Spielerkarriere zerstören. Der Profifußball hat hier den Anschluss an den gesellschaftlichen Mainstream längst verloren. „Für Schwule ist da kein Platz“, muss der homosexuelle Jung-Nationalspieler Ralph Guthfleisch im Krimi Der Fußballgott erkennen. Der Frankfurter Autor des Romans, der sich das Pseudonym citizen b zugelegt hat, glaubt zu wissen, warum: „Weil im Fußball das Macho-Gehabe noch viel wichtiger ist als in den meisten anderen Sportarten.“ In seinem Fußballkrimi wird der Profi wegen seiner Homosexualität erpresst. Klingt in einem Land mit immer mehr offen schwulen Promis abwegig. Und gibt doch einen funktionierenden Plot ab, weil die panische Angst vor dem Outing im Profifußball ein sehr reales Phänomen ist. (…) Während der DFB jede Geburtshilfe meidet, zeigt die englische Football Association (FA) keine Berührungsängste. Ausdrücklich bekennt sich der englische Verband zum Kampf gegen homophobe Tendenzen im Fußball. Die FA verfügt über eine Ethik- und Gleichstellungsstelle, die „jede Art von Diskriminierung bekämpft“, wie Leiterin Lucy Faulkner betont. Die FA nimmt über Telefon und E-Mail anonym Beschwerden entgegen und hat ein Fortbildungsprogramm für Verantwortliche aufgelegt.“

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