indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Internationaler Fußball

Erneuerung

Oliver Fritsch | Samstag, 14. Januar 2006 Kommentare deaktiviert für Erneuerung

Lothar Matthäus ist Trainer in Brasilien bei Atletico Paranaense, sein Engagement kommentieren die Autoren, das ist bei Matthäus erwähnenswert, ohne Spott. Philipp Selldorf (SZ) stellt den neuen Arbeitsplatz vor: „Er fügt seiner Karriere eine weitere Einzigartigkeit hinzu. In den Lexika des Fußballs wird er künftig nicht mehr nur als deutscher Rekordnationalspieler und als der Spieler mit den meisten Einsätzen bei Weltmeisterschaften geführt, sondern auch als erster europäischer Trainer bei einem brasilianischen Spitzenklub. Bisher hat man es im Land des Weltmeisters nämlich nicht für nötig gehalten, einen Fußball-Lehrer aus dem alten Europa zu engagieren. In der Liga gibt es zwar Experten aus Argentinien oder Uruguay, aber keinen Bedarf für Belehrungen aus Übersee, was durchaus Resultat einer gewissen Hochnäsigkeit ist. (…) Atletico Paranaense ist ein Traditionsverein (1924 gegründet) mit junger Erfolgsgeschichte. Die erste nationale Meisterschaft gewann er vor vier Jahren. 2005 stand der Verein im Finale der Copa Libertadores, der südamerikanischen Klubmeisterschaft, verlor aber gegen den FC Sao Paulo – ein Hinweis darauf, dass Brasilien nicht bloß mit seiner Nationalmannschaft Erfolge feiert. Atlético gilt als Beispiel für die Erneuerung der brasilianischen Liga, die jahrzehntelang durch Korruption und Kommerzialisierung ausgezehrt wurde.“

Lothar Matthäus (Welt): „Ich hatte das Chaos in Ungarn satt“
FAZ: Lothar Matthäus in Brasilien – Weltmeister im Land des Weltmeisters

Welt: Klaus Toppmöller, Nationaltrainer Georgiens

Welle der Emigration

Birgit Schönau (SZ) schildert die schwindende Anziehungskraft der Serie A: „Die italienische Liga war vielleicht nicht die beste, sicher aber die teuerste der Welt. Um sich hier eine goldene Nase zu verdienen, brauchte man noch nicht einmal über besonders begnadete Füße zu verfügen, höchstens über einen findigen Agenten. Im Reich der Magnaten, die für ihr Steckenpferd calcio das Geld zum Fenster hinauswarfen wie weiland die Renaissancefürsten das Gold für Lapislazuli-Fresken und prächtige Palazzi, konnte am Ende auch der zweite Reservetorwart noch 500.000 Euro im Jahr nach Hause tragen. Netto natürlich. So verlockend war Italien für Ausländer auf der Suche nach Ruhm und Kohle, dass manche im Verbund mit dem neuen Arbeitgeber die Dorffriedhöfe und Taufregister von Venetien bis Kalabrien durchforsteten, in der Hoffnung, Spuren eines italienischen Vorfahren zu finden – und so die ohnehin schon laxe Fremdenordnung des Verbandes mit einem italienischen Pass zu umgehen. (…) Zwar kommen weiter Ausländer nach Italien. Aber das ist nicht der Trend. Der Trend heißt: Flucht aus dem vormals gelobten Land. Die Serie A ist von einer Welle der Emigration erfasst. (…) Nach vielen Pleiten und wenigen internationalen Triumphen denken die Manager des calcio jetzt zuallererst an ihre Bilanzen. Nachdem selbst Großklubs wie Inter die Profis zu freiwilligen Gehaltskürzungen aufgefordert haben, sind nur noch wenige Superstars wie Totti, Del Piero und Schewtschenko echte Top-Verdiener.“

Symbolik

Dirk Schümer (FAZ) deutet den Aufstieg des AS Livorno und dessen politische Begleitumstände: „Während Berlusconis AC Mailand der Tabellenspitze um neun Punkte hinterherhinkt, reiben sich die politischen und sportlichen Gegner die Hände. Livornos Fan-Artikel gehen weg wie einst rote Fahnen zur Maiparade, und in aller Welt sprießen Fanklubs aus dem Boden. Aber was bedeutet in Italien ein ‚kommunistischer’ Verein? Gehört dieser Klub ohne Historie nicht auch einem reichen Geschäftsmann, in diesem Fall dem Reeder und Transportunternehmer Aldo Spinelli, und wird er nicht auch nach kapitalistischen Regeln geführt? Wie so vieles im Land südlicher Leidenschaft ist hier die Symbolik das Entscheidende: In Livorno wurde 1921 die Kommunistische Partei Italiens gegründet, und auch nach 1945 bekamen die regierenden Christdemokraten in der zerbombten Hafenstadt gegen die rote Übermacht nie einen Stich. Die Überzeugung der Hafenarbeiter spiegelte sich im Schicksal ihres Vereins, der lange ohne spendierfreudige Mäzene auskommen mußte. 55 Jahre dümpelte man im roten Vereinsdreß in unteren Ligen und stieg erst 2004 wieder einmal in die Serie A auf. Außer dem überaus respektablen achten Tabellenplatz, den man den Namenlosen nicht zugetraut hätte, standen für die glücklichen Genossen Tifosi ein Sieg und ein Unentschieden gegen den Erzrivalen des AC Mailand zu Buche. Und als sich dessen Patron Berlusconi ein paar ausgeraufte Haare wieder einpflanzen ließ und die Wunden mit einem Kopftuch zudeckte, posierten in Livorno plötzlich hunderte Fans mit Piratentuch auf der Tribüne des kleinen Stadio Marassi. (…) Für die Taktik ist Trainer Roberto Donadoni verantwortlich. Ihm müssen die Spottgesänge auf Berlusconi arg in den Ohren tönen, schließlich mehrte er zwölf Jahre lang als Musterprofi unter seinem verehrten Boß beim AC Mailand Geld und sportlichen Ruhm. Wie immer in Italien, dem Land von Don Camillo und Peppone, sind die ideologischen Trennlinien also auch hier verworren.“

FAZ: Revolte in Italien – Streit um Fernsehgeld
FAZ: Berlusconi – der Blutgrätscher

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

110 queries. 0,477 seconds.