indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Internationaler Fußball

Patriarch und Bewunderer

Oliver Fritsch | Mittwoch, 1. März 2006 Kommentare deaktiviert für Patriarch und Bewunderer

Ronald Reng (BLZ) kommentiert den überraschenden Rücktritt Flonretino Pérez‘ in Madrid: „Real kann sich selber nicht mehr ausstehen im Angesicht des Misserfolgs. Zum ersten Mal in einem halben Jahrhundert wird man am Ende dieser Saison wohl drei Jahre hintereinander keinen Titel gewonnen haben. Auf Mallorca ließ sich der Zerfall der Elf nicht mehr übersehen. Aber muss deswegen der Präsident zurücktreten? ‚Ich bin ein Stöpsel, den man rausziehen muss‘, sagte Pérez. Das klingt zunächst einmal ehrenwert. Sein Rücktritt bleibt dennoch falsch, überhastet, absurd. Wieso blieb nach vier Trainerwechseln nur der eigene Rücktritt? Spieler zu entlassen und endlich einen kompetenten Sportdirektor zu installieren war keine Alternative? Es wäre das Logischste gewesen, das, was Real Madrid wirklich braucht. Aber Pérez brachte es nicht über das Herz, seine Ronaldos oder Zidanes zu feuern. Lieber ging er selbst. Er ist ein intelligenter Mann, Vorsitzender des größten spanischen Bauunternehmen ACS. Als Präsident seines Lieblingsklubs wurde offenbar selbst er zum Kind. Er war Patriarch und Bewunderer, Spieler wie Zidane oder Ronaldo sah er als seine persönlichen Zöglinge; er verschloss die Augen davor, dass sie Gesichter der Vergangenheit geworden sind. Und niemand war da, der ihm die harte Wahrheit sagte: Wo bei Real Fußball-Kompetenz sitzen sollte, umgab sich Pérez mit Abnickern ohne Rückgrat wie Vizepräsident Emilio Butrageño. (…) Sein Projekt leuchtete nur kurz, aber es schenkte dem Verein 2002 die Champions League und den Zuschauern zwischen 2001 und 2003 einzigartigen Fußball. Nicht das Projekt war falsch, sondern der Exzess.“

Sammlung von Egos und Mimosen

Was hinterläßt Pérez, Peter Burghardt (SZ)? „Die Ära des ehrgeizigsten aller Fußballpräsidenten endet (…) Der Bruch kam mit dem Rauswurf des treuen Trainers Vicente del Bosque, mit dem zweimal die Meisterschaft gewonnen worden war und 2002 die Champions League. Carlos Queiroz, Jose Antonio Camacho, Mariano Garcia Remon und Wanderley Luxemburgo gewannen seit 2003 nichts mehr, und auch beim aktuellen Nothelfer Juan Ramon Lopez Caro sieht es schlecht aus. Die Wende nach unten kam auch mit der Verpflichtung des englischen Dressman Beckham. Der Brite kickt immer noch konstanter als die meisten seiner launischen Kollegen, obwohl er sich intensiv seinen PR-Terminen, Klamotten und Frisuren widmet. Aber er geriet zum Symbol eines Wanderzirkus. Perez sprach ständig von den ‚Besten der Welt‘. Seine Profis glaubten es offenbar. Seit Del Bosque konnte sie niemand mehr kontrollieren. Das Ensemble ist eine Sammlung von Egos und Mimosen. Zuletzt stritten sich öffentlich der malade Teamkapitän Raúl Gonzalez und Torjäger Ronaldo, der sich just vor dem richtungsweisenden Duell mit Arsenal beschwert hatte, die Fans würden ihn nicht richtig mögen. Nach seinem Führungstor auf Mallorca kam es Manndecker Sergio Ramos vor, ‚als ob Mallorca getroffen hätte‘, kaum jemand gratulierte ihm. ‚Ich habe die Spieler verzogen wie ein Vater, der seinen Kindern das Beste gibt und sie durcheinander bringt‘, erläuterte Perez bei seinem Schlusswort. Er sei schuld, weil er ihnen Werte und Sitten nicht habe übertragen können. So sah das mancher, viele betrachten den überstürzten Abschied dennoch als Flucht. Wie soll mit einem neuen Präsidenten bei dem Chaos doch noch eine Trophäe herausspringen? Wieso wartet Perez nicht wenigstens bis zum letzten Spieltag? Ist ihm seine Baufirma ACS wieder wichtiger als das Durcheinander Real?“ Reiner Wandler (taz) verweist auf Reals Kontostand: „Trotz des sportlichen Scheiterns lobt die Presse Pérez für seine wirtschaftliche Leistung als den ‚ersten modernen Präsidenten bei Real Madrid‘. Er füllte die Bücher des Vereins dank des Verkaufs des Sportgeländes im Herzen der Hauptstadt. Ein neues Marketingkonzept tat ein Übriges. Unter Pérez wurde aus einem der am höchsten verschuldete Clubs Europas der reichste Verein der Welt.“

NZZ: Pérez lässt Real Madrid im Stich
Bildstrecke Real, faz.net

Tsp: Galatasaray Istanbul hat 140 Millionen Euro Verbindlichkeiten – und spielt trotzdem unbekümmert Fußball

NZZ: Schottlands Fußball in der Krise

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

110 queries. 0,440 seconds.