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Ascheplatz

So ne leeve Kääl

Oliver Fritsch | Dienstag, 7. März 2006 Kommentare deaktiviert für So ne leeve Kääl

Helmut Schümann (Tsp) stört die Gelassenheit, mit der Medien und Funktionäre die Meldung über Reiner Calmunds Geschäfte hinnehmen: „Ach Gott, der Reiner Calmund, der dicke Calli, der war doch so ne leeve Kääl, der tut doch keinem etwas und schon gar nichts Unrechtes. Man fasst es nicht, aber es regt niemanden auf, es ist offensichtlich branchenüblich. Möglicherweise hat die Misere des deutschen Fußballs auch darin Ursache, dass Sinn und Verstand vielerorts nicht mal mehr eine untergeordnete Rolle spielen. Ist aber auch wichtiger, dass wir uns über Klinsmanns Wohnsitz erregen.“

Welt: Es wird eng für Reiner Calmund – Chefermittler Wallmeier unterstellt Leverkusens Ex-Manager zweckwidrige Verwendung von 580.000 Euro

6. März 2006

Finanzskandal

Die Geschichte hat schon am Samstag die große Runde gemacht – Jörg Schmitt und Michael Wulzinger (Spiegel) legen ein suspektes Geldgeschäft Reiner Calmunds offen und damit den wahren Grund für die Trennung von Bayer Leverkusen: „Es waren Theatertränen, die damals flossen. Denn Calmunds Abgang von der Bundesliga-Bühne war keinesfalls so freiwillig, wie er es damals die Fußballwelt glauben machen wollte. Bayer trennte sich von dem schwergewichtigen Manager, weil der mit Hilfe eines dubiosen Spielerberaters und einer noch dubioseren Rechnung Hunderttausende von Euro aus der Clubkasse geschleust hatte. Inzwischen ermitteln die Bielefelder Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei gegen mehrere Personen wegen des Verdachts des Betrugs und der Untreue. Auch Calmund, gegen den bisher indes nicht offiziell ermittelt wird, geriet in das Visier der Fahnder. Bayer hat unterdessen gegenüber den Strafverfolgern eingeräumt, dass die fragwürdige Zahlung der Grund für die Trennung von Calmund gewesen sei. Damit gerät, drei Monate vor Beginn der Weltmeisterschaft, eines der Aushängeschilder des deutschen Fußballs in einen Finanzskandal, dessen Dimension noch nicht absehbar ist. Seit sich Calmund vom Jugendbetreuer zum Herrn über die seinerzeit etwa 60 Millionen Euro umsetzende Betriebssportgruppe hochgearbeitet hatte, war er es gewohnt, Probleme mit dem Scheckbuch zu lösen – Spieler wurden mit extrem hohen Gehältern gelockt und mit extrem hohen Gehältern zum Bleiben überredet.“

Geldvermehrungsspektakel

Frank Hellmann (FR) rückt zurecht: „Wer jetzt eilig den Stab über Jongleur Calmund bricht, sollte bedenken: Die losen Leverkusener Sitten fallen in eine Zeit, in der Kaiserslautern Millionen von Mark und Euro für ‚Persönlichkeitsrechte‘ zahlte; eine Zeit, in der Bayern München Jung-Nationalspieler Sebastian Deisler heimlich ein 20-Millionen-Mark-Darlehen auf ein Konto überwies. Die Branche hat – auch wegen der Kirch-Krise – aus einigen Fehlern gelernt. Holzhäuser schätzt, heute würden 95 Prozent der Transfers zumindest in der Bundesliga sauber und seriös abgewickelt. Dass Calmund seine Finger nicht mehr im Spiel hat, dürfte die Quote nicht verschlechtert haben.“ Philipp Selldorf (SZ) gibt zu bedenken: „Tränen und Pathos begleiteten seinen fingierten Rückzug. An der Version vom freiwilligen Abschied gab es immer schon Zweifel. Nun weiß man, dass es eine vorsätzliche Täuschung war. Bisher hat noch niemand Calmund die Absicht zur Bereicherung nachgesagt. Dafür häufen sich Fakten und Indizien, die seinen luxuriösen Umgang mit den Subventionen des Bayer-Konzerns bestätigen. (…) Die irre Kirch-Zeit ist nun vorbei. Nun befindet sich die Liga in der irren ARD/Arena-Zeit. Mag sein, dass die überwiegend in Kapitalgesellschaften verwandelten Klubs mit ihren Aufsichtsräten seriöser wirtschaften. Holzhäusers 5-Prozent-Rechnung wirkt aber immer noch optimistisch.“ Bernd Müllender (taz) fügt hinzu: „Der runde Mann und Holzhäuser bezichtigen sich gegenseitig der Unwahrheit, wer wann was gewusst hat. Calmunds Anwälte setzen Ehrenerklärungen auf, Holzhäuser gab eine für den Fußball als solchen ab: ‚95 Prozent aller Transaktionen laufen sauber.‘ Eine kühne Zahl in der Branche ‚zwischen Rotlichtmilieu und Gebrauchtwagenhändlern‘ (Fußballfachmann Joschka Fischer). Holzhäuser ist übrigens auch Vizepräsident des Ligaverbands. Und Fußballfolklorist Calmund, auch das ein sehr deutscher Aspekt in diesen Tagen, offizieller WM-Botschafter. Somit passt sein Geschäftsgebaren, ob der ‚ganz verdiente Mann‘ (Ehrenerklärer Skibbe) nun persönlich mitverdient hat oder nicht, bestens zum Geldvermehrungsspektakel Fifa-Fussball-WM 2006(TM).“

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