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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Vegetarierin mit einer Leidenschaft für Schnitzel

Oliver Fritsch | Dienstag, 21. März 2006 Kommentare deaktiviert für Vegetarierin mit einer Leidenschaft für Schnitzel

Der Spiegel schildert den Näherungsversuch Angela Merkels an den Fußball: „Die Kanzlerin weiß, wie empfindlich Fußballmänner auf Weisheiten von Frauen reagieren. Sie ist sich noch unsicher, wie viel Präsenz sie den deutschen Fans zumuten will. Sie sucht nach einer Rolle für diese Weltmeisterschaft. Es geht um das richtige Maß. Sollte sie sich wenig zeigen, fürchtet sie eine Enttäuschung der Deutschen, ausgerechnet zur WM eine Bundeskanzlerin zu haben. Sollte sie sich viel zeigen, fürchtet sie den Vorwurf, das sei doch alles nur Show und nicht Herzenssache. Merkel kann mit Fußball wenig anfangen. Sie hat nie auf einem Bolzplatz gestanden und Bälle auf ein Tor gedroschen. Das Glücksgefühl, das ein unerwarteter Sieg der Nationalmannschaft auslösen kann, die Verzweiflung nach einer Niederlage kennt sie nicht. Das Gegröle der Fans wirkt auf sie befremdlich. Sie sagt, sie habe zwei Lieblingsvereine, Hansa Rostock und den FC Bayern München. Das ist ungefähr so, als wäre man Vegetarier mit einer Leidenschaft für Schnitzel. Merkels Interesse am Fußball ist nicht das Interesse eines Fans, sondern einer Ethnologin. Wie funktioniert eine Männerwelt? Wie funktioniert ein Kollektiv? Wie feiern Deutsche ein Volksfest? Darüber macht sie sich Gedanken. Es ist der Blick von außen, nicht von innen. Aber jetzt will sie da rein, rüttelt am Zaun der Männerwelt, zaghaft noch. Sie weiß nicht genau, wie willkommen sie drinnen ist. Und Merkel ist keine Politikerin, die sich rasch für eine Strategie entscheidet. Sie wartet. Gerhard Schröder hätte die WM hemmungslos für Eigen-PR genutzt, aber er hätte sich das leisten können, weil bekannt ist, dass er auch ein Fußballherz hat. Merkel würde ebenfalls gern Strahlen der WM-Sonne auf sich lenken, weiß aber, dass sie sofort in den Verdacht gerät, das Sportfest ausschließlich für Eigen-PR zu instrumentalisieren. (…) Eine Frau kann Fußballspielern nicht so nahe kommen, wie das männliche Politiker gern tun.“

Fussballisierung

Joachim Güntner (NZZ) referiert die Leipziger Buchmesse: „Eine Re-Politisierung der Literatur, und zwar als Trend, haben wir nicht ausmachen können. Ebenso wenig eine neue Sehnsucht danach, gesellschaftlich relevant zu schreiben. Statt einer Politisierung drängte sich eher die ‚Fussballisierung‘ des Buchmarktes aufdringlich ins Blickfeld; kein Wunder, da im WM-Jahr rund 250 deutschsprachige Titel zum Thema Fussball verkauft sein wollen. Dabei fiel in Leipzig auf, mit welchem Genuss man gerade solche Bücher präsentierte, die von Frauen geschrieben sind. Mit dem Vorurteil, das weibliche Geschlecht sei zu intelligent, um sich für Fussball zu interessieren, hat die Messe gründlich aufgeräumt.“

Zielgruppenübergreifende Sympathiefigur

Jan Christian Müller (FR) identifiziert sich total mit dem neuen Maskottchen der Nationalelf: „Horst Lichtner hätte es nicht zum DFB-Marketingdirektor gebracht, wenn er nicht in der Lage wäre, den niedlichen Paule werbetechnisch richtig einzuordnen, als so eine Art Schwiegersohn des Jahres. Das war auch Jürgen Klinsmann einmal, damals, als er für Deutschland Tore schoss sowieso, und erst neulich auch, als er die Mannschaft beim Confederations Cup erfolgreich antrieb. Momentan ist davon nicht viel geblieben, und wenn Paules Hersteller sagt, der gute Kerl könnte völlig problemlos als ‚walking act‘ ‚online wie offline‘ ‚cross-medial eingesetzt‘ werden, dann kann Klinsmann ein garstig Lied davon singen, wie sehr so eine Multimedia-Show einem Paule mit Seele auf den Geist gehen kann.“ Christof Kneer (SZ) bläst die Backen: „Überhaupt passt Paule ideal zu dieser Mannschaft. ‚Paule soll ja ein guter Kicker sein‘, hat ein Herr von der Paule-Entwicklungs-Firma verkündet, ‚aber er ist einer, dem in seinem Übereifer manchmal ein paar Missgeschicke passieren.‘ Wahrscheinlich nennt man das corporate identity, und besser hätte man sie ja nicht beschreiben können, diese deutsche Nationalmannschaft. Ganz neu ist die Maskottchen-Idee aber nicht, die deutsche Elf hatte auch früher schon mal eines, nur wurde sie da praktischerweise von diesem Maskottchen auch trainiert. Als Rudi Völler noch amtierte, brauchte es keine – Achtung! – ‚zielgruppenübergreifende Sympathiefigur‘.“

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