indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Aufwärmtraining

Oliver Fritsch | Sonntag, 23. April 2006 Kommentare deaktiviert für Aufwärmtraining

Für Thomas Hüetlin und Alexander Smoltczyk (Spiegel) sind die Ischia-Fotos Angela Merkels ein Vorbote der WM-Berichterstattung englischer Boulevardzeitungen: „An Hemmungslosigkeit über die Jahre gewöhnt, werteten viele Beobachter den Gossenschabernack rund um Merkel auch als Aufwärmtraining zur Fußball-WM, wo die Sun samt ihren britischen Gesinnungsgenossen erwartungsgemäß neue Höhepunkte im sogenannten Krautbashing herbeititeln dürfte. Auch über 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist jenes Deutschland, das dort herbeihalluziniert wird, nicht der Ort des Exportweltmeisters, sondern ein verschrobener Kosmos aus Pickelhauben und Hunnen, Blitzkrieg und Stechschritt, Obersturmbannführern und Gauleitern. Trotz derlei großväterlichen Geknatters rund um große Fußballereignisse schieden die englischen Nationalmannschaften in der Regel spätestens nach dem Elfmeterschießen gegen die Deutschen aus, was britischen, für ihre Härte gerühmten Spielern die Tränen in die Augen trieb. Ein zeitgemäßes Deutschlandbild? Knapp die Hälfte der jungen Briten gaben bei einer Umfrage an, keine Meinung zu haben, weil sie nicht genug wüssten. Für Deutschland muss das als Fortschritt gewertet werden: Noch Ende der neunziger Jahre hatten Heranwachsende die Bundesrepublik zum langweiligsten, unattraktivsten Land Europas erklärt, ärmer als Bosnien, welches sie im Zweifelsfall lieber bereisen würden als Deutschland. Nicht besonders erstaunlich also, dass nur sehr wenige der Heranwachsenden Deutsch lernen wollen. Das Ergebnis dieser Weltanschauung konnte in der Sun besichtigt werden. In einer aufgebauschten Titelgeschichte wetterte das Blatt gegen das ‚bekloppte‘ britische Außenministerium, welches die englischen Fans angeblich dazu aufgefordert hatte, auf deutschem Boden Deutsch zu singen. Dann übersetzten die Redakteure den Stolz ihrer Nation, die Nationalhymne, erste Strophe: ‚God save our gracious Queen‘. Ergebnis nach wahrscheinlich 120 Minuten harten Kampfes, Kühlschränken voller Bier, schwarz auf gelb: ‚Gott speichern unsere liebenswürdige Königin.‘“

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

110 queries. 5,475 seconds.