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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Mißbrauch

Oliver Fritsch | Montag, 24. April 2006 Kommentare deaktiviert für Mißbrauch

Kultur, Fernsehen und Werbung fingern und saugen an den Brüsten des Fußballs; Jörn Lauterbach (Welt) dreht ihnen seinen Rücken zu: „Dieser wunderbare, einfache Sport wird mißbraucht. Im günstigsten Fall sind es Ausstellungen zur Fußballgeschichte mit historischem Lederball und den Maskottchen früherer Turniere, im Steigerungsfall setzen sich Soziologen und Philosophen auf Podien und sprechen über Fußball an und für sich, im brutalsten Fall lesen Dichter Selbsterdachtes vor. Fußball ist Sonntagmorgens auf einem Schlackeplatz mit aufgeschlagenem Knie, Fußball ist die Urinlache im Stadionaufgang, die Flanke, die am Fünfmeterraum ihren dankbaren Abnehmer findet, Fußball ist die metaphernlose Beschimpfung von Schiedsrichter und Gegnermannschaft, Fußball ist das Siegtor in der Nachspielzeit und der Zigarrenrauch des Besserwisser-Opas auf der Haupttribüne. Seit einigen Wochen und mit steigendem Tempo jedoch okkupiert nicht dieser Fußball, sondern die Veranstaltungsindustrie, Fernsehsender mit ihren Trockenobst-langweiligen WM-Shows eingeschlossen, fast jeden freien Quadratmeter Deutschlands, jenes ‚eigenen Landes‘, das in den kommenden 50 Jahren Vergleichbares nicht mehr erleben soll und deswegen jetzt keine Chance unorganisiert lassen darf. Es ist unmöglich, einen Radiosender einzuschalten, ohne ein vermeintlich lustiges WM-Gewinnspiel, einen Bierbrauer-Spot mit Oliver Bierhoff oder eine Exegese über das Verhältnis des Fußballs zum Dadaismus zu hören. Dabei ist die Aufmerksamkeit schon 48 Tage vor dem Anpfiff des ersten Spiels längst erlahmt. Aber über die vielen extra für die WM gekauften Flachbildschirme der Republik flimmern die Pilawas und Kerners mit ihrem Dauergast Horst Eckel, dem muntersten der drei noch lebenden Weltmeister von 1954, bis wirklich jede Legende zerredet ist und jeder Volleystoß in der medialen Erinnerungsmaschinerie seine Wucht verliert. (…) Die Allgegenwärtigkeit des Themas ist auch ein Ausdruck der Sorge, womöglich nicht alles für diesen Befreiungsschlag getan zu haben. Das gilt für die Kulturschaffenden, die endlich mal wieder ein populäres Spielfeld entdeckt haben und so aus ihrer oft von Ironie und Zynismus geprägten Isolation der vergangenen Jahre dankbar den Weg in die Mitte der Gesellschaft suchen, aber auch für die Wirtschaft, die unter der Obhut der Fifa den Fußball in nie dagewesener Weise kommerzialisiert und dabei keine Skrupel haben muß, denn genau diese Erwartung war ja von vornherein an die WM geknüpft worden.“

FAS: ein sehr niveauvolles Interview mit Sepp Maier: „Klinsmann ist ein linker Schleimer“

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