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Abrechnung

Oliver Fritsch | Montag, 1. Mai 2006 Kommentare deaktiviert für Abrechnung

Abrechnung

Boris Hermann (BLZ) befaßt sich mit den Äußerungen der Bayern-Verantwortlichen nach dem 1:0-Finalsieg gegen Eintracht Frankfurt: „Wenn man die Verantwortlichen beim FC Bayern reden hörte, hatte man fast den Eindruck, sie hätten davon schon immer geträumt: das Double zu verteidigen. In Wahrheit ist die Saison für den Beherrscher der nationalen Trostpreise seit dem Ausscheiden in der Champions League gegen den AC Mailand zu Ende. Über der nächtlichen Siegesfeier in der Zentrale des Hauptsponsors lag dasselbe nüchterne Schweigen wie im Fanblock der Münchner Anhänger während des Endspiels. (…) Es ist ein guter Gradmesser für die Stimmung beim FC Bayern, dass die Aufarbeitung des Endspiels zur Abrechnung mit der Ära Ballack geriet. Ihm wird kaum einer nachtrauern. Ballack hat vier Jahre Zeit gehabt, und er hat es nicht vermocht, dem Klub einen internationalen Titel zu schenken. Trainer Felix Magath könnte irgendwann ein ähnliches Schicksal widerfahren. Er hat in seinen zwei Jahren nun drei nationale Titel gewonnen, ein weiterer kommt wohl dieser Tage hinzu. Das sind zwar gute Argumente. Aber sie verdecken, dass sich die Mannschaft unter seiner Leitung nicht entwickelt hat. Was die physische Präsenz angeht, ist der FC Bayern international konkurrenzfähig. Ein klare Spielidee, ein System gar, ist nicht zu erkennen. Dafür ist nicht der Mann im Mittelfeld, sondern der Trainer verantwortlich.“

Abgeschrieben

Jan Christian Müller (FR) wertet die rüde Kritik der Bayern-Führung am abtrünnigen Michael Ballack als Nachtreten: „Es gehört zum Selbstverständnis der Bayern, dass sie allein darüber befinden, ob ein Spieler sie verlässt. Ballack hat dieses ungeschriebene Gesetz verletzt und sich so den Zorn der Machtlosen zugezogen. Und die stellen ihn nun als Abzocker und Mitläufer dar. Er ist für die Bayern zwei Monate vor Vertragsende kein Aktivposten des Anlagevermögens mehr. Er ist, im wahrsten Sinne des Wortes, abgeschrieben. Wäre er noch Jahre unter Vertrag und würde vom FC Chelseas umworben, sein Arbeitgeber würde sich hüten, das werthaltige Gut öffentlich derart schlecht zu reden. Bedauerlicherweise hat Ballack zuletzt auf dem Fußballplatz sehr wenig getan, um den Arbeitgeber gnädiger zu stimmen.“

Despot

Kevin McCarra, der Fußball-Chef des Guardian, schreibt in der Welt am Sonntag, was auf Ballack in Chelsea zukommt: „Nach der WM wird Ballacks Dasein ein anderes sein. Beim FC Chelsea London, seinem neuen Verein, gibt es nur eine Person, die im Mittelpunkt steht: Jose Mourinho. Es ist sicher, daß Ballack niemals einen vergleichbaren Trainer erlebt hat. Nicht in München, nicht in Leverkusen und auch nicht in Kaiserslautern, wo Otto Rehhagel den jungen Profi oft tyrannisiert hat. In England wird es schlimmer sein. Beim FC Chelsea gibt es kein Detail, auf das Mourinho nicht persönlich Einfluß nimmt. Erst recht keinen Spieler. Eine der prahlerischsten Demonstrationen der despotischen Natur des Trainers war die Niederlage Chelseas vorigen Monat gegen Fulham. Beim 0:1 wechselte Mourinho den 29,4-Millionen-Euro-Einkauf Shaun Wright-Phillips und Nationalspieler Joe Cole nach gerade einmal 26 Minuten aus. Für einen Fußballer ist das eine Demütigung. Wenn ein Spieler Mourinhos Anweisungen nicht punktgenau befolgt, zögert der Trainer nicht, ihn zu erniedrigen. Ballack würde in einer vergleichbaren Situation genauso behandelt. Der Trainer ist auch die einzige Person, die beim englandweiten Werbefeldzug des Klubs auf Plakaten oder TV-Spots auftaucht. Der Portugiese arbeitet an seinem Ruf des omnipräsenten Managers, wo immer er kann. Mourinho will immer das letzte Wort haben. Seine Eitelkeit ist Teil seiner Selbstvermarktung. Seine oft verletzenden Kommentare sorgen dafür, daß die Menschen über ihn reden und seine Spieler relativ in Ruhe arbeiten können. Auch Ballack wird es zu schätzen lernen, nicht mehr ständig im Fokus zu stehen. Während er in München oft für Niederlagen verantwortlich gemacht wurde, wird er in Chelsea mehr Teil des Ganzen sein.“

Gereiztheit

Oskar Beck (Welt) vermißt tief empfundene Freude über den Pokaltitel: „Der deutsche Fußball mutiert zur Ein-Klub-Show, die Bayern knicken jede Herausforderung drohender Rivalen schon im Keim. Aber sind sie selbst glücklich? Eher begrenzt – jedenfalls gehörte die Stunde des Pokalsiegs dem grantigen Kaiser. Spürt er die Grenzen, an die seine Bayern stoßen könnten? Das Außergewöhnliche in Form der nochmaligen Eroberung der Champions League entfernt sich schleichend aus ihrer Reichweite, und an das Gewöhnliche im eigenen Land hat sich mittlerweile der Letzte derart gewöhnt, daß selbst die wiederholte Wiederholung des Doubles am Ende keinen mehr tröstet – sondern sich der Präsident, statt mitzufeiern, grantig einen Schlappschwanz zum Draufschlagen sucht. Die Gereiztheit des Trainers im ZDF-Sportstudio hat ins Bild gepaßt. Felix Magath wurde ausgepfiffen wie ein Verlierer und wäre in seinem verständlichen Zorn schier aufgestanden und gegangen – am liebsten vermutlich nach Chelsea, mit Ballack. Es muß, wie gesagt, nicht das Geld sein, das einen Bayern-Star aus dem Land treibt.“ Marko Schumacher (StZ) fügt hinzu: „Groß ist der Unterschied in einer immer niveauarmer werdenden Bundesliga geworden, zu selbstverständlich sind die Titel, als dass ein weiterer nationaler Triumph Freudensprünge auslösen könnte. Zu leicht fällt es den Bayern, selbst mit bescheidenen Leistungen ans Ziel zu kommen. Das Pokalfinale verlief wie die Mehrzahl der Münchner Bundesligaspiele: Zwanzig engagierte Minuten in Halbzeit zwei und eine Standardsituation genügten, um einen wacker kämpfenden Gegner zu schlagen.“

Sieg nach allen Regeln der Kunst

Uwe Marx (FAZ) wiegt den historischen Wert des Endspiels: „Und was soll bleiben von diesem 63. Pokalfinale? Im Sparangebot wären: ein Tor, eine Parade, ein kleiner Krach. Nicht gerade viel für einen der wichtigsten Tage einer Fußballsaison in Deutschland. Pizarros spielentscheidender Treffer, Kahns Reflex kurz vor dem Abpfiff und das verbale Scharmützel Beckenbauer vs. Ballack dürften nicht gerade dazu angetan sein, dieses Endspiel länger in Erinnerung zu behalten. Es wird in der Statistik überleben, natürlich, nicht aber in den Köpfen. Natürlich ließen sich die Frankfurter Fans ihre Laune nicht verderben, schließlich war ihr Verein seit achtzehn Jahren nicht mehr in Berlin dabei. In Choreographie und Lautstärke dem Anhang des matten Gewinners überlegen, durften sie sich als eine Art Pokalsieger fühlen – wenn auch in einer Disziplin, auf die es nicht ankam.“ Javier Cáceres (SZ) gratuliert den Frankfurter Fans: „Was den Frankfurtern blieb, war ein Sieg nach allen Regeln der Kunst. Beeindruckend die Chöre, mit denen sie die maulfaulen Anhänger der Bayern überstimmten, herrlich die Bilder, die sie auf den Rängen choreographiert hatten – und diese Dichtkunst erst! ‚Zurück im glorreichen Schein, erscheint unsere Diva vom Main‘, hatten die Anhänger der Eintracht auf ein Transparent gemalt, Ergebnis einer unwahrscheinlichen Widerauferstehung, für die das Pokalfinale 2006 Sinnbild bleiben wird.“

Hasenfüßige Transferpolitik

Markus Völker (taz) fürchtet, daß die Münchner ihre Dominanz in Deutschland festigen: „Uli Hoeneß hat sich mit den Wirklichkeiten des FC Bayern befasst und ist zu einer tieftraurigen Erkenntnis gekommen: Der Klub werde in absehbarer Zeit die Champions League nicht gewinnen. Er stilisierte den FC Bayern zum Underdog, zu einem Globalisierungsopfer, das mit der Elite nicht mithalten könne, weil es auf den überhitzen Fußballmärkten einen kühlen Kopf bewahre und auch im Verteilungskampf um Fernsehgelder arg benachteiligt sei. Die Geldsäcke stünden anderswo, suggerierte der Manager. In England, Spanien und Italien rolle der Rubel – nicht aber in der Bundesliga. Ein Jammer. Muss der DFB in Zusammenarbeit mit der DFL zu einer Spendenaktion aufrufen, zu einer groß angelegten Kollekte, damit der FC Bayern wieder konkurrenzfähig wird? Ist Deutschland in Sachen Fußball ein schlechter Standort? Verdirbt der neureiche Russe Roman Abramowitsch (FC Chelsea) allerorten die Preise? Bei all der Hoeneß’schen Betroffenheitsprosa wird schnell vergessen, dass der FC Bayern ein prosperierendes Fußball-Unternehmen ist, das auf seinem Festgeldkonto immerhin 150 Millionen Euro liegen hat. Der Klub hat ’strategische Partnerschaften‘ mit Adidas und der Telekom geschmiedet, mit finanzstarken Global Playern, so schlecht geht es dem Rekordmeister wahrlich nicht, zumal in den Mittelmeer-Ligen große Schuldenberge hinter den Arenen angehäuft werden und der Erfolg fast immer auf Pump beruht. Die Bayern wirtschaften vergleichsweise mustergültig, weswegen sie auch selten bei Spielerauktionen im zweistelligen Bereich mitbieten. (…) Man bedient sich wieder aus dem Angebot der Bundesliga: bei Schalke (Lincoln), Köln (Podolski) und dem HSV (van Buyten). Diese hasenfüßige Transferpolitik macht den FC Bayern nicht zum Konkurrenten Juves, aber so hält man sich immerhin die Rivalen der Bundesliga vom Hals.“

NZZ: Zäsur nach dem Erfolg – der FC Bayern trotz Cup-Sieg wenig überzeugend
WamS: Der Robin Hood der Bundesliga – aus Sorge um die Armen legt sich Heribert Bruchhagen sogar mit Bayern an

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