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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Dummenigge

Oliver Fritsch | Montag, 8. Mai 2006 Kommentare deaktiviert für Dummenigge

Pro und Contra, die renommierte Rubrik des Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, widmet sich diese Woche der Bayern-Meisterschaft: Soll der FC Bayern in Zukunft eine größere Rolle spielen? Claudius Seidl begründet seine Befürwortung durch die „street credibility“ der Vereinsführung: „Die anderen, die Engländer und Amerikaner hatten Popstars wie die Beatles, die Stones, Bob Dylan, Jimi Hendrix. Wir hatten Franz Beckenbauer, Sepp Maier, Paul Breitner. Mehr Pop war nie in Deutschland – und anders als bei den meisten Vereinen dieser Klasse, welche den Immobilienhaien, russischen Milliardären oder gleich Silvio Berlusconi gehören, haben bei den Bayern diese Jungs, die den Verein einst großgemacht haben, schließlich den ganzen Laden übernommen. Der Kaiser ist der Präsident (ein sehr münchnerisches Paradoxon), Uli Hoeneß führt die Geschäfte – und den Vorstandsvorsitzenden haben wir früher, als er noch spielte, immer Dummenigge genannt. Heute hören wir weg, wenn er spricht, und wissen, daß Fans eben auch mal leiden müssen.“ Harald Staun erklärt seine Ablehnung mit dem Sonderrecht der Kleinen auf Leid und Klage: „Nur manchmal, wenn die Bayern-Fans wieder einmal schlecht gelaunt sind, weil ihr Verein das tut, was sich für einen ordentlichen Fußballclub gehört, nämlich gelegentlich zu verlieren; manchmal also, wenn die ewigen Gewinner mit großer Pose das ungewohnte Gefühl der Niederlage vor sich her tragen, das für uns Kleine so existentiell ist, dann kommt die alte Aversion noch mal voll zur Geltung: Sie müssen ja nicht auch noch im Jammern die Besten sein. Das sollen sie gefälligst uns überlassen.“

Spielball der Interessen zynischer Geschäftsmänner

Erst Mafia-Boß Provenzano, nun ist Juventus-Generaldirektor Luciano Moggi aufgeflogen – Silvio Berlusconis Wahlniederlage scheint Italiens Großgaunern den Schutz zu nehmen. Birgit Schönau (SZ) berichtet von den Manipulationen Moggis, dessen Telefonate der Öffentlichkeit bekannt geworden sind: „Er gilt als mächtigster Mann des italienischen Fußballs, als skrupellosester Strippenzieher des Transfermarkts, als Regisseur der Schiedsrichter. Deshalb wagt jetzt niemand zu behaupten, er habe es nicht geahnt. Aber das Maß des Skandals erschüttert selbst die Hartgesottensten. Die Staatsanwaltschaft Turin hat dem Fußballverband Federcalcio Ermittlungsakten gegen Moggi übergeben, der unter dem Verdacht des Sportbetrugs stand – in Italien ein Straftatbestand. Strafrechtlich seien die Ergebnisse nicht relevant, erklärten die Fahnder, aber eventuell könnten sie für die Verbandsrichter von Belang sein. Die Dokumente, zumeist Niederschriften abgehörter Telefonate, die die Presse nun täglich druckt, sind so entlarvend, dass man ihre haarsträubende Lektüre jedem verordnen muss, der noch ernsthaft glaubt, Fußball habe in Italien entfernt etwas mit Sport zu tun. Ihre Veröffentlichung, die das Juve-Management in einer bodenlos heuchlerischen Erklärung als ‚Verletzung der Privatsphäre‘ verdammte, bedeutet hoffentlich das Ende einer Ära. Nicht nur für Moggi, sondern für den Calcio als Spielball der Interessen zynischer Geschäftsmänner und Winkeladvokaten, für die nur das Gesetz des Stärkeren galt. (…) Die Zunft der Presse übt Selbstkritik, und die Karriere mancher Kollegen wird den ‚Hurrikan Moggi‘ (Corriere) kaum überstehen. Über Jahrzehnte haben sie ihn gehätschelt und die Presseboykotte der Juve geschluckt; Duckmäuser im Dienste des Calcio, die sich vom Strippenzieher die Kommentare diktieren lassen, statt seine Machenschaften zu hinterfragen. Nun ist der König nackt und das ganze System hat seine Fassade verloren. Kann es Zufall sein, dass Moggi die Bühne nur wenige Tage nach Silvio Berlusconi verlassen muss, der den Fußball zum Manipulationsobjekt seiner politischen Ränkespiele degeneriert hat? Oder ist die Affäre Moggi nur der Anfang bei der Generalabrechnung für ein Gefüge, in dem Klientelismus und Profitstreben die Regeln diktierten, im Fußball wie in der Politik?“

Peter Hartmann (NZZ) ergänzt: „Die vorauseilende Unterwürfigkeit, die notorische Parteilichkeit der Schiedsrichter gegenüber der ‚Alten Dame‘ waren nicht dem Respekt vor ihrem Titel-Schmuck geschuldet, sondern, zumindest in den letzten Jahren, das Ergebnis der Intrigen und handfesten Interventionen des Juve-Generaldirektors Luciano Moggi.“

BLZ: Land der fünfzig Augen – Italiens Verband empört sich über Manipulationen

Welt: Sorge um iranische Mannschaft – Günther Beckstein befürchtet Attentat zur WM, Innenministerkonferenz berät Sicherheitskonzept

FAZ: Mehr Kontrollen an deutsch-polnischer Grenze zur WM

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