indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2006

Geschlossene Veranstaltung

Oliver Fritsch | Freitag, 19. Mai 2006 Kommentare deaktiviert für Geschlossene Veranstaltung

Thomas Kistner (SZ/Leitartikel) fordert das Fußball-Spiel von der Fifa und den Bonzen zurück: „Wenn sich das Land grummelnd Richtung WM schleppt, statt ihr beschwingt entgegenzueilen, ist es diesmal nicht seinem Faible für Larmoyanz anzukreiden. Deutschland wird fremdbestimmt von Fifa und Sponsoren, entrechtet und geknebelt wie ein kolonisiertes Land. Das ist der politische Preis dafür, die WM austragen zu dürfen, deren Betreibern, einer eher lichtscheuen Funktionärsgilde, sogar die Befreiung von Steuer- und Visagesetzen zugestanden werden musste. Dies gilt für die ganze ‚Familie‘ – die Fifa bestimmt, wer sich hinter dem Begriff sammelt. Und während es erst dem Bundesgerichtshof gelang, einen markenrechtlichen Kreuzzug der Fifa für ihre Sponsoren zu stoppen, beglückt das WM-Organisationskomitee die Fans mit Internet-Kartenlotterien. Sie werden nur noch zum Jubeln gebraucht. Nie war der Kommerzdruck gewaltiger und die Chance des Normalbürgers auf einen Stadionbesuch geringer – diese WM erlebt Fußball als geschlossene Veranstaltung. (…) Dein Geld in meine Tasche, das ist die reale WM-Botschaft. Populär ist sie nicht. Also müssen gewisse Erklärungen aufrechterhalten werden wie die Mär von den unverzichtbaren Sponsoren, ohne die eine WM nicht funktionieren könne. Tatsächlich investieren Steuer- und TV-Gebührenzahler ein Zigfaches, um den Werbefirmen die Bühne zu bereiten. Oder das Märchen von der Wirtschaftskraft: Das Event geht eher spurlos am Land vorbei, Investitionsschübe liegen im Mikrobereich. Kaufkraft schöpft aber die Fifa ab, die gerade ihr neues Züricher Heim für 240 Millionen Franken bezog. In der Krise steckt nur der Fußball selbst.“

Arroganz der Macht

Peter von Becker (Tsp/Seite 3) spricht mit André Heller über die Absage seiner WM-Gala und schildert weitere Details über die Rigorosität der Fifa: „Hellers Werk ist durch die Gala-Absage zum Torso geworden. Aber er möchte nicht als Opferlamm der Fifa dastehen. Dazu ist er zu stolz, zu erfolgreich, selbst als manchmal einsamer, empfindsamer Wolf. Heller ärgert nur die Arroganz der Macht. Als Lizenzgeber und Partner hat der Weltfußballverband jene Macht nicht nur gegenüber dem deutschen WM-OK, den WM-Städten, den Stadionbetreibern oder gegenüber möglichen und unmöglichen Konkurrenten der offiziellen Fifa-Sponsoren demonstriert. Es gibt auch bisher unbekannte Einflussnahmen im WM-Kulturprogramm. Beispielsweise bei der viel gelobten, aufwändig produzierten Zeitschrift Anstoß. Herausgegeben von André Heller und Artevent, redaktionell betreut von Jochen Hieber, im Hauptberuf Leiter des Literaturressorts der FAZ, ist Anstoß mit prominenten Beiträgen von Salman Rushdie bis Loriot zum publizistischen Aushängeschild des WM-Kulturprogramms geworden. Nachdem aber in der ersten Anstoß-Nummer zu Beginn einer Kunst-Fotoserie über Deutschlands zwölf WM-Stadien die Arena auf Schalke noch naturgetreu mit vorhandener Bandenwerbung abgebildet wurde, habe es ‚Stress mit der Fifa‘ gegeben. Sagt Robert Hofferer von Artevent. Als dann der zweite Anstoß in Druck gehen sollte, lobte ein Fifa-Mitarbeiter, dem der Entwurf vorab zugeschickt worden war, ein ’sehr schönes Exemplar mit interessanten Titeln‘. In seinem dem Tagesspiegel vorliegenden Schreiben verlangte der Fifa-Mann allerdings ‚einige Anpassungen‘. So sollte ein Bild des österreichischen Künstlers Gerhard Haderer entfernt und in dem aus der deutschen Staatskasse finanzierten Magazin auf eine bezahlte Anzeige verzichtet werden, weil sie von keinem der offiziellen Fifa-Sponsoren stammte. Zu einem bebilderten Gespräch zwischen Roger Willemsen und Marco Bode hieß es: ‚Da die Schuhe von adidas die einzig wahren Schuhe sind, bitte das Label bei den Schuhen von Willemsen entfernen.‘ Roger Willemsen, der davon nichts erfuhr, sagt uns jetzt, dass er ‚nie Logi‘ an den Füßen trage. Und tatsächlich gab es so tief unter der Gürtellinie eine Verwechslung: Gemeint waren Bodes Schuhe, deren Logo ohne sein Wissen wegretuschiert wurde. Es ist diese Macht über die Bilder, die auch André Heller grämt. Denn von den Proben und Entwürfen der abgesagten Gala könne er nicht einmal die vorhandenen Skizzen oder Fotos, geschweige denn die tollen Szenen aus dem Laptop publizieren.“

Tsp: Hotels werfen Fifa Fehler vor – in Berlin gibt es zur WM noch preiswerte Zimmer

SZ: Die Fifa mag an einigem schuld sein – an der Pleite von Plüschtierhersteller Nici jedoch nicht: Das Familienunternehmen hat sich selbst ausgetrickst

FAZ: WM-Gastgeber Deutschland, ein Land im rechtlichen Ausnahmezustand?

FR: Die DFB-Auswahl im Trainingslager auf Sardinien – unterschiedliche Auffassungen von Regeneration
Zeit: Jens Lehmann über den Tag, an dem er deutscher Nationaltorwart wurde, über alternde Fußballprofis und die Herausforderung, seinem Sohn das Wort „Weltmeisterschaft“ zu erklären
zeit.de: Tagebuch aus dem Trainingslager

Tsp: Costa Ricas Coach Guimaraes über das Eröffnungsspiel

NZZ: Hausdurchsuchungen bei Juve – Spirale der Dekadenz im Turiner Nobelklub dreht sich immer schneller
FTD: Prodi fordert „ethische Wende“ nach dem Moggi-Skandal in Italien

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