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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Sklavenhalter-Mentalität

Oliver Fritsch | Dienstag, 13. Juni 2006 Kommentare deaktiviert für Sklavenhalter-Mentalität

Der Brasilianer Dida hat die Chance, als erster schwarzer Torhüter den Weltmeistertitel zu erringen. Der brasilianische Bestseller-Autor („Futebol“) Alex Bellos (taz) knüpft daran seine Hoffnung, daß Brasilien ein Stück freier werden könnte könnte: „1958 war Brasilien das erste multirassische Team, das die WM gewann. Der einzige andere WM-Gewinner mit einer Vielfalt an Farben ist Frankreich (1998). Doch in Frankreichs Fall lag es an der künstlichen Immigration aus den Ex-Kolonien, nicht an der Rassenmischung. Brasilien hat den Ruf der Rassentoleranz, oft verknüpft mit der Pro-Rassenmischung-These, die in den 1930ern von dem Soziologen Gilberto Freyre verbreitet wurde. Und das ist vermutlich eines der größten Missverständnisse. Es stimmt, dass die Rassenfrage in Brasilien sich stark von jener in den USA oder Europa unterscheidet. Dass die afrobrasilianische Kultur viel stärker akzeptiert und gefeiert wird als die afroamerikanische Kultur in den USA. Demokratie ist das trotzdem nicht. Statistiken bringen das zutage. Schwarze verdienen in Brasilien viel weniger als Weiße, und zwar 50 Prozent laut einem UNO-Bericht. Afrobrasilianer stellen fast die Hälfte von Brasiliens 180 Millionen Einwohnern, aber 63 Prozent der Armen. Das Fehlen gleicher Chancen ist offensichtlich, wenn man durch eine beliebige Stadt fährt. Je ärmer, desto schwärzer. Vor allem schockiert die Ausbeutung von Hausmädchen durch die Mittelklasse. Besserverdienende Familien sind fast alle weiß und haben schwarze Hausmädchen. Diese Hausmädchen arbeiten fast rund um die Uhr für wenig mehr als den Mindestlohn. In der Regel dürfen sie nicht an einem Tisch mit den Weißen essen. Sie leben in winzigen, fensterlosen Bereichen im hinteren Teil des Hauses. Ganz so, als sei die Sklaverei nie abgeschafft worden. Sie wurde selbstverständlich abgeschafft. 1888, das ist mehr als ein Jahrhundert her. Aber das war später als in jedem anderen Land im Westen. Die weiße Elite hat sich eine Sklavenhalter-Mentalität bewahrt, das soziopolitische Profil des Landes hat sich seit der Kolonialzeit dementsprechend kaum verändert. (…) Wenn Brasilien die WM 2006 gewinnt, wird Ronaldinho als Anführer in den Klub der Allergrößten aufsteigen, zur Rechten Pelés, Garrinchas und Maradonas. Aber wenn Brasilien mit einem schwarzen Torhüter den Pokal gewinnt, macht es einen echten Schritt in Richtung echter Rassendemokratie. Pelé war Rollenmodell für alle Schwarzen. Dida kann den nächsten Durchbruch bringen. Nicht nur für Brasilien, sondern auch für die ganze Welt. Und eines Tages wird ein schwarzer Trainer die WM gewinnen.“

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Prozentfußball

Roland Zorn (FAZ) bemäkelt die 1:0-Siege Englands, Hollands und – besonders – Portugals: „Die besten Kicker dieser drei Länder verfolgen auf ihrer Deutschlandtournee nur ein Ziel: den Titelgewinn. Der Weg dorthin ist lang, die Hitze derzeit groß, so daß die Spieler zu Beginn des Turniers das tun, was sie in ihren Spitzenklubs bei den Duellen mit Außenseitern auch zu tun pflegen: Sie sparen Kraft, verdichten ihre Konzentration auf das Nötigste und bringen einen knappen Vorsprung mehr oder weniger sicher über die Zeit. Heraus kommt genau der Prozentfußball, der den Betrachtern berechnend, kühl und emotionsarm vorkommt. Die atmosphärisch heiß aufgeladene Warm-up-Phase in den Punktspielen fördert eben jene Punktspielmentalität zutage, die den Profis über die Saison eingetrichtert wird. Am zuschauerfeindlichsten haben die Portugiesen den Spagat zwischen der nötigen Gewinnpflicht und der Vermeidung unnötiger Kollateralschäden hinbekommen. Sie schossen ihr Siegtor gegen die nicht weiter aufmuckenden Angolaner derart früh, daß sie ihr Energieprogramm danach schon auf Schongang umschalten konnten. Die Pfiffe des Publikums, das in festlicher Erwartung gekommen war, nahmen die Portugiesen lächelnd und billigend in Kauf. (…) Was tun auf der Seite der Konsumenten? Vielleicht mal den Biergarten vorziehen und auf die Knock-out-Runde warten. Spätestens vom Achtelfinale an heißt es dann, die oder wir; wer dann nicht die Bremse lockert, wird sowieso überholt und abgehängt – im höchsten Tempo.“

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