indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Zum Patriotismus verpflichtet

Oliver Fritsch | Donnerstag, 15. Juni 2006 Kommentare deaktiviert für Zum Patriotismus verpflichtet

Michael Eder (FAZ) hat einen Kommentar über (Fußball-)Patriotismus verfaßt, zu dem sich viele Leser im faz.net-Forum geäußert haben: „Müssen wir uns schwarz-rot-goldene Farbe ins Gesicht schmieren und läppische Hüte tragen? Müssen wir jeden Morgen die deutsche Flagge an unserem Auto hissen? WM-Brötchen essen? Lidl-WM-Aktionsbier trinken? Müssen wir in Bild lesen, daß wir Costa Rica kurz und klein hauen? Müssen wir uns Marcel Reifs überhebliche Kommentare über diesen wahnsinnig schwachen Gegner zu eigen machen, der gerade mal zwei Glücksschüsse schwächer war als unser Wunderteam? Aber das ist nicht alles, wir sind neuerdings ja nicht nur zum Patriotismus verpflichtet, sondern auch zu kompromißloser Gastfreundschaft. A warm welcome, Mister Hooligan, you can sleep in my Schrebergarten, no problem! Und während wir auf dem Weg zu einem weltoffenen Nationalstolz noch das Grinsen unseres Bundespräsidenten üben, haben wir ein klitzekleines Problem: kein einziges Ticket für kein einziges Spiel. Wir bleiben daheim – echte Patrioten. (…) Darf man das schreiben? Oder wird einem dann die Staatsbürgerschaft entzogen? “

Stellenweise ist das Verhalten der Deutschen mehr als peinlich

Zwei von vielen Lesermeinungen: „In was für einem Land möchten Sie denn leben, Herr Eder? Da Sie schon über den ‚Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft‘ schreiben, mal eine Gegenfrage: Welches Land wäre Ihnen denn bezogen auf den Nationalstolz genehm? In keinem anderen Land ist es derart verpönt, seine eigene Flagge zu hissen wie in unserem. Wieso kann man sich nicht einfach über die WM freuen und dies mit seiner Landesflagge demonstrieren?! Ist es nicht langsam an der Zeit, die Selbstkasteiung zu beenden und wieder ein gesundes Verhältnis zu seinem Land zu entwickeln? Die WM ist dazu eine gute Gelegenheit. Wenn Sie sich hier während der WM nicht wohl fühlen, dann nutzen Sie doch einfach eins dieser schönen ‚WM-Flucht Angebote‘ aus dem Reisebüro. Denn wie aus den anderen Kommentaren ersichtlich, würden Sie doch recht wenige Leser vermissen.“

„Ich kann den Kommentar von Michael Eder sehr gut nachvollziehen und kann eigentlich nur noch einen draufsetzen: Wen interessiert es eigentlich, welche Nation, hier, wie abschneidet. Ich bin nicht stolz darauf, das es einen Lehmann oder Frings gibt, ich bin nicht stolz auf meine Herkunft, gemessen an der Nationalität, denn das war blanker Zufall. Was würde ich nun machen, wenn ich aus Bangladesh komme? In welche Nationalitäten-Schublade sollte ich mich dann pressen?! Riesengroßer Schwachsinn für die von Minderwertigkeitskomplexen gezeichneten Deutschen, die sich aufführen, wie ein wildgewordener Haufen Dummköpfe. Es scheint bald so, das sich das ganze Land darauf gefreut hat einmal die Fahnen zu schwenken, ohne dabei als Nationalist verurteilt zu werden. Ich bin weiterhin für einen sportlichen Wettkampf, der nicht im Zeichen von Nationalitäten und Herkunft stehen sollte. Stellenweise ist das Verhalten der Deutschen mehr als peinlich!“

Unterhaltsame Wende

Michael Horeni (FAZ) ergänzt: „Praktische Stadien und häßliche Maskottchen gibt es überall auf der Welt. Vielleicht hat man bei dieser etwas angestrengten Suche nach deutschen Symbolen vernachlässigt, daß gerade in ihrer Abwesenheit ein gewisser Wert liegt. Ein Zeichen von Normalität in einem Land, das nach Symbolen von Normalität nicht mehr zwanghaft Ausschau halten muß. Vielleicht muß man auch nur ein bißchen genauer auf die deutsche Mannschaft und ihre Fans blicken, um das eigentlich Neue zu entdecken: Das veränderte Spielsystem inklusive der akzeptierten Ungewißheit signalisiert eine unterhaltsame Wende.“ Ludger Schulze (SZ) fügt an: „Ein wesentlicher Teil der Faszination des Sports besteht in der Identifikation mit der einen oder anderen Gruppe, mit dem Heimatverein, dem regionalen Bundesligaklub oder der Nationalmannschaft. Ohne diese Parteinahme macht die Sache einfach weniger Spaß. Aber hier sei die bedingungslose Forderung gestellt, ab sofort alle Menschen so patriotisch sein zu lassen, wie es ihnen gefällt. Selbst wenn sie nicht mehr Nationalstolz besitzen als ein Telegrafenmast oder eine Verkehrsinsel.“

Gekapert

Arne Perras (SZ) kommentiert den togoischen Prämienstreit: „Togo hat seinen deutschen Coach zwar erst mal wieder, und die Spieler sollen ihr Geld angeblich doch noch bekommen. Aber die Probleme, die hinter dem Skandal stecken, sind dennoch ungelöst. Sie reichen weit hinein in die Politik eines autoritären Regimes, das den Fußball für seine Machtinteressen kapert. Die Affäre um das Togo-Team wirft ein Schlaglicht auf die teils ruinöse Verquickung von Politik und Sport, die zwar nicht allein auf dem afrikanischen Kontinent, aber dort doch in besonderem Maße zu beobachten ist. (…) Die togoischen Autokraten scheuen sich nicht, sportliche Erfolge für den politischen Personenkult zu missbrauchen. Zum Beispiel nach der Qualifikation für die WM: Da brachten die Machthaber das Nationalteam dazu, sich vor dem Grab des Diktators zu verneigen. So versucht ein Polizeistaat, sich mit dem Lorbeer seiner Spieler zu schmücken. Wenn die WM allerdings dazu dienen sollte, den Herrschern in Togo Glanz zu verleihen, so ist die Strategie wohl gründlich schief gegangen. Denn die Spieler, die ihre versprochenen Prämien einforderten, waren zornig genug, um offen zu rebellieren. Der Schaden für die Regierung und seinen dubiosen Verbandschef ist also offenkundig, der Vorwurf der Korruption drängt sich unweigerlich auf.“

Im Fußball-Geschäft waren die Patriarchen nie weg

Tobias Moorstedt und Jakob Schenk (SZ) deklinieren das Fortpflanzungssystem Fußballwelt: „Der Fußball ist nicht, wie manchmal behauptet wird, der Spiegel seines Landes. Die Fußballer zeigen ein Bild, das eher einem Familiengemälde aus dem 19. Jahrhundert gleicht: kleine Kinder, schöne Gattin und in der Mitte der Patriarch. In früheren Zeiten zogen Profis wie Günter Netzer von Disko zu Disko und inszenierten ihren materialistischen Hedonismus. Seine Nachfolger stellen sich nicht nur der fußballtaktischen, sondern auch der demographischen Herausforderung. Das ‚Familien-Trainingslager‘ auf Sardinien hätte gut als Werbespot des Familienministeriums dienen können: die Kerle gehen arbeiten, ihre Damen an den Strand. In Klinsmanns Rhetorik spielen Freundinnen und Familie eine wichtige Rolle – als Kordon gegen Hybris und Hysterie der Mediengesellschaft. Vor einigen Wochen machte der Publizist Phillip Longman mit der These Furore, die Rückkehr des Patriarchen stehe kurz bevor. Im Fußball-Geschäft waren die Patriarchen nie weg. (…) Der moderne Fußball, oder besser, das Geschäft, das mit ihm gemacht wird, wirkt auf unschuldige Betrachter trotz des Glamours manchmal wie eine Anti-Utopie, in der Leistungspotential nüchtern in Dollar abgewogen, die Heimat an einen multinationalen Konzern verkauft werden und ein Stolperer im falschen Moment eine Karriere beenden kann. Moderne Manager wie der Münchner Uli Hoeneß wünschen sich ‚alte‘ Arbeitnehmer, die, statt lediglich projektorientiert zu denken und mitten in der Saison in die nächste Metropole weiterzufliegen, sich im Verein verwurzeln. Auch deshalb wird die Familie von den Vereinsoberen gefördert. Beim Transferpoker um Michael Ballack wiesen die Bayern wiederholt darauf hin, seine Familie fühle sich am Starnberger See sehr wohl. Von Otto Rehhagel ist der Satz überliefert: Ich stelle nur verheiratete Männer auf, weil die keine Flausen im Kopf haben. Weil Fußballer früher erwachsen werden – im Sinne der Versorgungssicherheit – und früher Kinder kriegen, werden sie auch früher alt. Ihre Midlife-Crisis kommt schon mit Mitte 30. Von den 22 Spielern der deutschen Weltmeister-Elf von 1990 sind heute nur noch drei mit ihren damaligen Ehefrauen zusammen.“

Ich sehe mich als Dienstleister

11-Freunde-Interview mit einem anonymen Ticket-Schwarzhändler
11 Freunde: Eigentlich müssten Sie doch während der WM arbeitslos sein?
Schwarzhändler: Warum?
11 Freunde: Das OK hat schließlich in den vergangenen Jahren alles getan, um Schwarzhändler an ihrer Arbeit zu hindern.
Schwarzhändler: Das ist aber nur sehr bedingt gelungen. Das OK hat mit seinen Störversuchen lange Zeit vor allem Trittbrettfahrer abgeschreckt, die während einer WM nur mal ein paar Karten anbieten. Das hat sich erst seit dem Urteil zu Gunsten des Ebay-Käufers geändert. Professionelle Schwarzhändler haben aber auch schon davor an ihre Geschäftschancen geglaubt und deswegen entsprechend investiert.
11 Freunde: Wie viele professionelle Schwarzhändler gibt es rund um die WM?
Schwarzhändler: Ich schätze, dass hundert professionelle Schwarzhändler mit WM-Karten handeln.
11 Freunde: Und deren Geschäfte laufen besser denn je?
Schwarzhändler: Da muss man differenzieren: Die Gewinnmargen liegen zwar höher denn je, nämlich bei ungefähr 300 Prozent. Allerdings ist der Handel sehr eingeschränkt, da er Zugang zu Karten durch das Ticketing-System erschwert worden ist. Deshalb bin ich beispielsweise nicht an so eine große Menge Karten rangekommen wie bei früheren Turnieren.
11 Freunde: Wie viele Karten haben Sie trotzdem ergattert?
Schwarzhändler: Deutlich mehr als 100.
11 Freunde: Das ist ja immerhin mehr als der Durchschnittsfan hat. Wie haben Sie das gemacht?
Schwarzhändler: Das hat natürlich viel mit Know-how zu tun. Ich mache das ja nicht erst seit ein paar Monaten, sondern seit einigen Jahren. Die Schwarzhändler-Profis haben ständig ausgekundschaftet, wie man an Karten kommen kann, und zwar ab dem Zeitpunkt, an dem das OK sein Ticketing-System vorgestellt hat.
11 Freunde: Verraten Sie uns einen Ihrer Tricks?
Schwarzhändler: Das sind gar keine besonderen Tricks, da hätte jeder drauf kommen können. Es mag sein, dass der normale Fan stur Karten für irgendwelche Höhepunkte bestellt hat, zum Beispiel für die Gruppenspiele der Deutschen oder für das Endspiel. Da waren die Chancen natürlich sehr gering, in der offiziellen Tombola bedacht zu werden. Wenn man aber in einer frühen Verkaufsphase die Situation in den Qualifikationsgruppen analysiert und ein wenig spekuliert hat, dann konnte man sehr einfach an komplette Serien rankommen. Wenn Teams wie Ghana jetzt erwartungsgemäß nach der Vorrunde ausscheiden, hat man dennoch Karten für je ein Spiel vom Achtelfinale bis zum Endspiel. Und das sind die für den Schwarzmarkt richtig interessanten Tickets.
11 Freunde: Und haben Sie ihre Tickets auch über Ebay vertickt?
Schwarzhändler: Nein, die Internet-Auktionen sind mir zu gefährlich, weil das leicht zu verfolgen ist. Ich bevorzuge den klassischen Verkaufsweg über Inserate.
11 Freunde: Wenn Sie schon Ebay meiden: Hatten Sie also auch lange Zeit Respekt vor dem Umschreiben?
Schwarzhändler: Das Umschreiben schien in der Tat ein große Hürde zu sein, vor allem beim Verkauf der Tickets ins Ausland. Das ist ja in letzter Zeit doch erheblich gelockert worden und kein großes Hindernis mehr. Es ist aber dennoch irgendwie auffällig, wenn ich Tickets aus Deutschland an einen Engländer übertrage.
11 Freunde: Verkaufen Sie also nur in Deutschland?
Schwarzhändler: Nein, die Engländer und Holländer kaufen grundsätzlich alles, auch auf die Gefahr hin, Probleme mit dem Umschreiben zu bekommen. Sie wollen jede Chance nutzen, dabei sein zu können, wenn ihre Teams spielen. Bei den letzten großen Turnieren waren ja teilweise 70 bis 80 Prozent der Zuschauer bei holländischen Spielen in Oranje gekleidet. Das geht natürlich nur über sehr große Zuläufe vom Schwarzmarkt.
11 Freunde: Wie wollen Engländer und Holländer dann in Deutschland ins Stadion kommen? Die Karten müssen ja immer umgeschrieben werden.
Schwarzhändler: Theoretisch schon. Aber können Sie sich wirklich vorstellen, dass die WM-Organisatoren einem Fan den Zutritt zum Stadion verweigern wollen, wenn der eine reguläre Karte für mehrere hundert Euro erworben hat und um Einlass bittet? Ich möchte mir das Szenario nicht ausmalen, wenn die deutschen Ordnungskräfte mehreren tausend Holländern oder Engländern den Einlass verweigern – mit der Begründung, dass ihre Karten ungültig seien. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das ins Sicherheitskonzept der WM passt . (…) Die Erfahrung hat gezeigt, dass gerade Sponsoren-Tickets recht häufig nicht genutzt werden, weil die feinen Herren für ein unwichtiges Spiel dann doch nicht durch das ganze Land reisen wollen. Und wenn darüber erst mal in der Presse diskutiert werden sollte, wird das OK letztlich über jeden Zuschaue froh sein und vielleicht auch den Schwarzmarkt dulden.
11 Freunde: Haben Sie eigentlich ein schlechtes Gewissen, wenn Sie Fans das Geld aus der Tasche ziehen?
Schwarzhändler: Nein, keineswegs. Ich sehe mich als Dienstleister. Es ist ja immer noch die Entscheidung eines Fans, ob ihm das Spiel einen hohen Preis wert ist. Dann bin ich derjenige, der ihm den Zugang zum Stadion ermöglicht. Ohne Leute wie mich, müsste er definitiv draußen bleiben.
11 Freunde: Der Gastgeber und die Fußballvereine verfolgen dennoch Ihre Tätigkeiten. Fühlen Sie sich zu unrecht kriminalisiert?
Schwarzhändler: Definitiv. Es ist doch absurd, dass man bei der WM Zehntausenden von Fußballfans den Zugang zum Stadion erschwert, nur um die hundert Schwarzhändler einzuschüchtern, die sowieso bei gerade mal 10 oder 20 der 64 Spiele richtig Geld verdienen. Ich sehe nicht Unrechtes daran, andere Menschen glücklich zu machen, indem man ihnen den Zugang zu einem Ereignis sichert, das diesen Menschen sehr wichtig ist. Ich würde es auch durchaus akzeptieren und vielleicht sogar begrüßen, wenn ich ein ganz normales Gewerbe anmelden könnte und dann Steuern zahlen würde.

FAZ: über den Ticket-Schwarzmarkt

Netzeitung: Schon mehrere Teams haben sich über den Zustand der Rasen in den Stadien beschwert; ein „Geheimmittel“ könnte Abhilfe schaffen

BLZ: In Schwedens Elf schwelen vor dem Spiel in Berlin die Konflikte zwischen den Führungsspielern

SZ: Hollands Stürmer van Nistelrooy sucht bei der WM nach seiner Form und wohl auch nach einem neuen Verein. Der FC Bayern scheint schwer interessiert

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

129 queries. 0,747 seconds.