indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2006

Gruppe G

Oliver Fritsch | Freitag, 16. Juni 2006 Kommentare deaktiviert für Gruppe G

Fußball kennt keine Dankbarkeit

Marcel Reif (Tagesspiegel) leidet an und mit Zinédine Zidane: „Er tanzt nicht mehr. Er schwebt nicht mehr. Er muss sich von allenfalls mäßig begabten Schweizern anrempeln lassen, anpöbeln, anfassen. Er hat traurige Augen. Es ist ja auch zum Heulen. Es ist Götterdämmerung. Zidane, der dem Fußball so unendlich viel gegeben hat, hat nichts mehr zu geben. Er hat es gewusst, er hat nicht mehr gewollt, sie haben ihn überredet. Aber dankt der Fußball ihm so viel Pflichterfüllung? Der Fußball kennt keine Dankbarkeit, er kennt auch keinen Respekt, er rollt einfach weiter, getreten, manchmal auch gedemütigt von anderen.“

Gruppe H

Zur Schönheit gezwungen

Ronald Reng (FTD) erkennnt beim 4:0 gegen die Ukraine das Erfolgsmuster der Spanier, den FC Barcelona: „Spanien kopiert all die Grunddaten, die den diesjährigen Champions-League-Sieger zu solch einer ungewöhnlichen Elf machten: das elegante Kurzpassspiel, die unglaubliche Kunst des Mittelfelds, den Ball zu schützen, drei Stürmer, die ständig die Positionen wechseln. Trainer Aragonés sah sich zur Schönheit gezwungen.“ Peter Heß (FAZ) kennt das Rezept Spaniens: „Daß eine Mannschaft, in der der älteste Spieler 29 Jahre alt ist, mit jugendlichen Tugenden wie Kraft und Dynamik glänzt, durfte man erwarten. Der Grad der Reife überraschte. Der Weise aus Hortaleza hat gläubige Jünger um sich geschart. Es ist auch kein Wunder, daß die Stars auf ihn hören: In den 23 Spielen mit Aragones auf der Trainerbank hat Spanien noch nie verloren.“

Men of the match

Jörg Schindler (FR) hat Mitleid mit den Ukrainern: „Zur Ehrenrettung des WM-Neulings Ukraine sei eingewandt: Vermutlich hätten die meisten Turnierteams an diesem Tag und diesem Ort alt gegen die Jungspund-Combo aus Spanien ausgesehen. Die spielte im brütend heißen Zentralstadion, als gelte es, binnen 90 Minuten alle Blamagen und Erniedrigungen der vergangenen 40 Jahre vergessen zu machen. Statt eines ‚Man of the Match‘ hätte es ‚Men of the Match‘ geben müssen. Zehn Nominierungen hätte es gegeben. Leer ausgegangen wäre nur Torhüter Casillas – wegen Beschäftigungslosigkeit.“

Er musste spielen

Ronny Blaschke (SZ) über die Probleme Oleg Blochins, des Trainers der Ukrainer: „Er kündigte harte Konsequenzen für den Fall an, dass seine Auswahl im zweiten Spiel gegen Saudi-Arabien eine vergleichbare Leistung zeigen sollte. Oft hatte er betont, nur Spieler aufbieten zu wollen, die in ihrem Klub regelmäßig zum Einsatz kommen. Schaut man sich seinen Kader allerdings näher an, kommt man um den Schluss nicht herum, dass dies schlichtweg unmöglich ist. So stand Andrej Schewtschenko, der einzige Weltklassespieler, wieder in der Startelf. Wochenlang hatte er über Beschwerden im linken Knie geklagt. Und fit ist er noch immer nicht. Doch er spielte, weil er spielen musste.“ Michael Reinsch (FAZ) fügt hinzu: „Will die Ukraine weiterkommen, sollte das Team vor den Begegnungen mit Saudi-Arabien und Tunesien aus seiner körperlichen und geistigen Behäbigkeit erwachen (…). Über den Elfmeter zum 0:3 und den Platzverweis für Wladislaw Waschtschuk mochte niemand klagen, doch die Fifa hat mit der Sperre für nur ein Spiel die Entscheidung kommentiert.“

Wiedergutmachung

2:2 gegen Tunesien – Andreas Burkert (SZ) schildert die Mängel des saudisch-arabischen Spiels: „Ein wenig Furcht hat der Fußball-spielende Hofstaat der Scheichs schon gehabt vor dem ersten Auftritt bei diesem Turnier, denn vor vier Jahren in Asien ging das Entrée recht spektakulär daneben: 0:8 gegen die Deutschen. ‚Damals habe ich mich unendlich geschämt, ich hatte meinen Blick lange nur auf dem Boden‘, berichtet Sami al-Jaber nach der halbwegs geglückten Rehabilitation. Vermutlich hätten ihn die hier im Dutzend angereisten Prinzen überhäuft mit Gold, Diamanten und Dollars, wenn sein kurz nach der Einwechselung kühl markiertes 2:1 bis zum Abpfiff Bestand gehabt hätte. Bei seinem Besuch in der Kabine stellte der Sultan seinen Spielern und Betreuern trotz Radhi Jaidis Kopfball zum 2:2 eine fürstliche Prämie in Aussicht. (…) Europäischen Ordnungssinn oder wenigstens afrikanischen Übermut vermochten die Saudis noch nicht ansatzweise zu imitieren; es mangelt an Technik und Strukturen.“ Auch Elisabeth Schlammerl (FAZ) befaßt sich mit der saudischen Vergangenheitsbewältigung: „Für die Saudis war das 2:2 ein kleiner Erfolg. Zumindest haben sie damit die Fans daheim versöhnt für die lausige WM vor vier Jahren. Eigentlich hätten die Saudis verärgert sein müssen, daß sie kurz vor dem Abpfiff noch den Sieg herschenkten, aber bei ihnen schien die Freude am Ende doch zu überwiegen, weil sie die Aufgabe, nämlich Wiedergutmachung für die Schmach von Sapporo, erfüllt haben. Nur der Trainer sprach von ‚zwei verlorenen Punkten‘.“

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