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WM 2006

Mit der Eleganz einer pubertierenden Giraffe

Oliver Fritsch | Sonntag, 18. Juni 2006 Kommentare deaktiviert für Mit der Eleganz einer pubertierenden Giraffe

Raphael Honigstein (SZ) erlebt beim 2:0 Englands gegen Trinidad und Tobago die Wandlung eines Stürmers: „Peter Crouch ist ein ausgesprochen netter Kerl, man kann das immer nur wieder betonen. ‚Peter Crouch ist ein sehr netter Kerl‘, hat auch sein Vereinstrainer Rafael Benitez oft festgestellt, meistens mit einem leicht verzweifelten Schulterzucken. Englische Stürmer dürfen nicht nett sein, Crouch aber tut auf dem Platz keinem weh, weil er in der Regel genug zu tun hat, seine langen Beine und Arme im Gleichklang zu bewegen, und zweitens so etwas einfach nicht macht. In Nürnberg blieb der kulante Gigant 83 Minuten lang seiner Linie treu, weh tat er nicht den Gegenspielern, dafür aber Millionen Zuschauern auf der ganzen Welt. Uninspiriert, schludrig und teilweise hochgradig peinlich war sein Auftritt, genau wie der seiner Mannschaft. Seine beste Chance, ein unbedrängter Volley, vergab er ‚mit der Eleganz einer pubertierenden Giraffe‘, monierte der Daily Telegraph. Der Ball ging in etwa in Richtung Eckfahne. Crouch wusste, dass die Zeit besonders ihm persönlich weglief, genau wie seine Mannschaft gab er jedoch nicht auf. Als eine etwas schlaffe David-Beckham-Flanke aus dem Halbfeld auf ihn zusegelte, entschloss er sich, einen Moment lang weniger nett zu sein. Mit einer Hand zupfte er Brent Sancho unsanft am Rastalocken-Pfederschwanz, mit der anderen drückte er den Trinidader runter; ziemlich unfair war das, im Grunde gar nicht nötig und äußerst effektiv. Crouchs Tor erlöste England.“

Christian Eichler (FAZ) grübelt warnend: „Was soll man nun von diesen Engländern halten? Als WM-Mitfavorit angetreten, zum zweiten Mal mit müder Darbietung, aber andererseits auch Schritt für Schritt erfolgreich. Wer es regelmäßig schafft, daß die Resultate besser sind als die Leistung, kann es weit bringen – eine Übung, die deutsche WM-Teams den Engländern mehrfach vorgemacht haben. In Deutschland beginnt man sie bereits abzuschreiben. Doch das wäre fahrlässig.“

Image verbessert

Elisabeth Schlammerl (FAZ) bewundert die Leistung des Trainers von Trinidad und Tobago: „Leo Beenhakker hat die Spieler nicht nur taktisch geschult, sondern ihnen auch Disziplin beigebracht, und das dürfte noch wesentlich schwieriger gewesen sein. Denn die Spieler kommen aus einem Land, in dem die liebste Beschäftigung der Leute das Nichtstun, das Rumhängen ist. Erstaunlich gut kam die Mannschaft gegen Schweden und England mit dem viel höheren Tempo zurecht, als sie es gewohnt ist. Beenhakker weiß aber auch, daß sie am Limit spielt. Trinidad und Tobago hat eine ganze Menge getan. Für die Fans daheim auf der Karibikinsel, für die die WM-Spiele ihrer Mannschaft ein Fest sind. Wenn die ‚Soca Warriors‘ spielen, sitzen fast alle vor dem Fernseher. Die Mannschaft hat einiges für ihr Image getan, der eine oder andere Spieler ist nun vielleicht auch interessant für erstklassige Teams.“ Christian Zaschke (SZ) berichtet vom Spiel: „Es entwickelte sich eine Stimmung wie bei einem Pokalspiel, in dem das Publikum bemerkt, der FV Weinheim kann tatsächlich den FC Bayern besiegen. Die Fans des Favoriten aus England begannen nun allerdings nicht, ihre Mannschaft wegen der bescheidenden Leistung auszupfeifen, sondern feuerten sie um so intensiver an. So entwickelte sich eine mitreißende Stimmung rund um ein nicht hochklassiges, aber spannendes Spiel.“

Ähnlich

Nach dem 1:0 gegen Paraguay – Peter Heß (FAZ) beschreibt die Schweden als Verwandte der deutschen Elf: „Falls die deutsche Nationalmannschaft im Achtelfinale auf Schweden treffen sollte, wird sie ihrem Spiegelbild begegnen. Leicht verzerrt vielleicht, aber die Konturen der Teams von Jürgen Klinsmann und Lars Lagerbäck stimmen überein. Beide Mannschaften besitzen eine überragende Physis, eine hohe Moral und die Bereitschaft, mutig nach vorn zu spielen. Der kleine Unterschied: Die Deutschen wirken in der Offensive eine Spur durchschlagskräftiger, die Schweden in der Defensive einen Hauch stabiler und geordneter. (…) Wie gut ist nun das schwedische Team vom Jahrgang 2006? Kaum jemand weiß das besser zu beurteilen als Verteidiger Lucic. Schon 1994 gehörte er zum WM-Aufgebot, er bestritt gegen Paraguay sein 83. Länderspiel. ‚Wir sind gut genug, die Vorrunde zu überstehen und im Achtelfinale jeden möglichen Gegner aus der Deutschland-Gruppe zu bezwingen. Dann muß man sehen.‘ Das heißt nicht, daß Lucic keine gute Meinung vom deutschen Team hätte. ‚Die schwedischen Fans unterschätzen Klinsmanns Team, ich nicht. Die Deutschen haben bisher gut gespielt. Sie können Weltmeister werden, aber das können viele andere Teams auch.‘ Angst müßte Schweden jedenfalls nicht vor den Deutschen haben. Dazu sind sie sich zu ähnlich.“

BLZ: Schwedens Nationalmannschaft präsentiert sich innerlich zerstritten – der Sieg über Paraguay kann dies nur kaschieren
taz: Von der alles ändernden Kraft des Torerfolgs: Kann das Glück des 1:0-Siegs gegen Paraguay eine bislang zerstrittene schwedische Nationalmannschaft harmonisieren und durchs Turnier tragen?

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