indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2006

Zehn Minuten Lieblingsfußball

Oliver Fritsch | Sonntag, 18. Juni 2006 Kommentare deaktiviert für Zehn Minuten Lieblingsfußball

Ulrich Hartmann (SZ) beschreibt den Stilverrat der Holländer beim 2:1 gegen die Elfenbeinküste: „Es gibt ein schönes Gerücht über Marco van Bastens Vertrag als Nationaltrainer der Niederlande. Wenn das Gerücht stimmt, dann ist er vertragsbrüchig geworden. Es besagt, in seinem Kontrakt stünden zu stürmischer Spielweise verpflichtende Vokabeln wie ‚offensiv‘ und ‚dominierend‘, aber selbst wenn dies nicht der Wahrheit entspricht, ist zumindest bekannt, dass van Basten genau diesen offensiven Fußball favorisiert. Der holländische ‚Totaal Voetbal‘ mit seinen angreifenden Abwehrspielern und den abwehrenden Angreifern, wie er vom Altmeister Rinus Michels erfunden und vom Großmeister Johan Cruyff immer wieder gefordert wurde, hat sich nur im herkömmlichen 4-3-3-Schema der Niederländer gespiegelt. Zu spielen vermochten sie ihren Lieblingsfußball hingegen nur zehn Minuten lang, und das Irritierende ist, dass diese zehn Minuten mit den beiden Toren durch Robin van Persie und Ruud van Nistelrooy gereicht haben zum 2:1.“

Trauriges Lob

Christian Eichler (FAZ) bedauert das Ausscheiden der Elfenbeinküste: „Es ist die erste wirkliche Verlustmeldung dieser WM: die Elfenbeinküste. Ein offensiv großartiges und mutiges Team, das wohl beste aus Afrika, das aber bei seinem WM-Debüt zu früh zwei großen Titelfavoriten vor die Füße lief. Das ist schade für Afrika, schade aber auch für den Unterhaltungswert der kommenden WM-Runden. Denn es ist eines der wenigen Teams, die so gut wie jede Partie bereichern – weil sie offensiv so viel wagen, defensiv aber auch manches zulassen. Es ist das alte Lied von Afrika. Henri Michel ist es leid. Ihm schien der Glaube auszugehen – daran, daß er einmal, ein einziges Mal bei einer WM Glück haben könnte. 1986 war Henri Michel Trainer der französischen Nationalmannschaft, die in einer großartigen Partie Brasilien besiegte – und dann im Halbfinale gegen eine biedere deutsche Mannschaft durch einen Torwartfehler nach Brehmes Freistoß verlor. 1994 verpaßte er mit Kamerun den möglichen Auftaktsieg gegen den späteren WM-Dritten Schweden. Und 1998 verlor er mit einer famosen marokkanischen Mannschaft nur gegen Brasilien – um dann, im letzten Vorrundenspiel, zu erleben, wie der bereits für das Achtelfinale qualifizierte Weltmeister den Norwegern einen Sieg schenkte und ihn ausbootete. Wie 1998 ist Michel nun das traurige Lob sicher, das beste und das unglücklichste Team zu trainieren, das in der Vorrunde ausschied.“

Grober taktischer Fehler

Richard Leipold (FAZ) beanstandet die Selbstverliebtheit des serbischen Trainers, als er seinen Rücktritt verkündet: „Es wäre ein weltmännischer Auftritt gewesen, wenn Ilija Petkovic nicht kleinkariert sein Mütchen gekühlt hätte. Mit versuchter Ironie stellte er serbischen Reportern scheinbar einen Freibrief aus. Sie sollten doch schreiben, was sie wollten; sie hätten ohnehin alles vorher und alles besser gewußt. Er hingegen habe alles richtig gemacht, behauptete Petkovic. Als Beleg für diese These führte der Fußball-Lehrer einen diffusen Quervergleich an. Nach diesem Debakel erscheine das 0:1 gegen Holland in einem anderen Licht. ‚Vergleichen Sie doch diese beiden Spiele. Dann sehen Sie, daß ich recht hatte. Ich habe das Beste gemacht, auch wenn es nicht gut genug war.‘ Petkovic wird es sich wohl so schnell nicht verzeihen, auf öffentlichen Druck hin von seiner Verteidigungslinie abgerückt zu sein. Lange hatte er auf eine altbackene, aber stabile Abwehr gesetzt und seine Mannschaft so mit leichter Hand zur Weltmeisterschaft geführt. Aber die Art zu spielen oder manchmal auch nicht zu spielen, war in der Heimat ohne Begeisterung aufgenommen worden. Es ist dem Trainer letztlich nicht gelungen, das Volk von seiner Strategie zu überzeugen. (…) Es gibt Niederlagen, die weh tun, und solche, die solche Schmerzen verursachen, daß man es kaum aushalten kann. Das 0:6 gegen Argentinien gehört für die Serben zur zweiten Sorte.“ Christoph Biermann (SZ) fügt hinzu: „Als grober taktischer Fehler erwies sich auch, dass Petkovic Riquelme in Manndeckung nehmen ließ. Der Gegner freute sich über die Freiräume und das Durcheinander, das sich dadurch ergab.“

FR: Serbien-Montenegro zerfleischt sich nach dem WM-Aus

FR: Der 18-jährige Lionel Messi erscheint den Argentiniern als Re-Inkarnation des Messias‘, auf den sie nach Diego Maradona so lange gewartet haben

Operettenfußball

Portugal besiegt Iran 2:0 – Michael Eder (FAZ) verschmäht die Buttercremetorten Christiano Ronaldos und sättigt sich an Deco: „Er ist schnell, robust, jung. Er kann schießen, rechts, links, zielgenau, knallhart. Er ist ein genialer Techniker; er kann alles, was man nicht lernen kann, viel mehr muß ein Weltstar nicht mitbringen an Können und Talent. Und doch ist Ronaldo noch kein großer Spieler, sondern nur ein egozentrischer Kleinkünstler. Er hat wieder einmal eindrucksvoll bewiesen, wie sehr sein Spiel unter fortgeschrittener Arroganz leidet. Ronaldo könnte ein Löwe sein, aber er ist nur ein Pfau. Hacke, Spitze, eins, zwei, drei, lieber den Gegner lächerlich machen als den Ball zum wartenden Kollegen passen. Die durch die Bank spielstarken Portugiesen litten gegen eine in jeder Beziehung überforderte iranische Mannschaft lange unter ihrer Überheblichkeit, deren Verkörperung Ronaldo war. Es ist die gleiche Krankheit, die auch den Brasilianern im Spiel gegen Kroatien einen holprigen Start ins Turnier beschert hatte. Die Überheblichkeit kann zum brasilianischen Ronaldo-Syndrom wachsen, dazu, daß ein Fußballgenie und einer der besten Torjäger aller Zeiten auftritt wie der späte Buffy Ettmayer. Und sie kann in der portugiesischen Ronaldo-Variante dazu führen, daß sich ein Ausnahmespieler wie ein egomanischer Alleinunterhalter aufführt. Wäre nicht Deco gewesen, das Gegengewicht zu den eitlen Selbstdarstellern im Team, die Portugiesen hätten trotz aller Überlegenheit wohl auch nach der Pause kein Tor erzielt. Auch der gebürtige Brasilianer Deco ist ein brillanter Kicker, aber er ist auch ein Teamplayer. Er fordert den Ball – und gibt ihn wieder her. Schnörkel flicht er nur ein, wenn notwendig, um mal einen Gegner zu überlupfen, ansonsten zelebriert er ein klares, feines Spiel. (…) Welches portugiesische Modell setzt sich in den kommenden Partien durch: Art Deco, die Verbindung von Eleganz und Nutzen – oder Ronaldos Operettenfußball auf dem linken Flügel?“

Sportlich bedauerlich

Christian Zaschke (SZ) über das Ausscheiden Irans: „Es wurde oft genug behauptet, dass Fußball mit Politik nichts zu tun habe, aber es ist das Schicksal dieses iranischen Teams, dass sein Auftritt sehr wohl eine politische Bedeutung hatte. Im schlimmsten Fall wäre es mit einem sportlichen Erfolg Propaganda-Mittel für den Präsidenten geworden. Politisch betrachtet ist Irans Scheitern für alle Seiten das Beste, sportlich ist es bedauerlich. (…) Ihre Hauptmängel waren fehlende Kondition und Cleverness.“

Im eigenen Saft

Jörg Marwedel (SZ) traut den Mexikanern nach dem 0:0 gegen Angola nicht mehr viel zu: „Die vermeintlich beste mexikanische Elf der Geschichte, immerhin Vierter der Fifa-Rangliste, ist wieder einmal an ihre spielerischen Grenzen gestoßen. Aus der anfänglichen Selbstsicherheit war Ratlosigkeit geworden, und nun kann sich kaum jemand vorstellen, wie denn in der nächsten Runde die Argentinier oder die Holländer besiegt werden sollen. Natürlich: Die Mexikaner haben ein paar gute Spieler, das hatten sie immer. Aber sie haben auch diesmal nur einen Mann von Weltklasse, nämlich Rafael Marquez vom FC Barcelona. So droht sich die Geschichte zu wiederholen. Und wer eine Erklärung für dieses immer gleiche Spiel sucht, der wird sie noch immer dort finden, wo sie schon immer lag: Profis wie Marquez, die eine Herausforderung in der Fremde suchen, sind die Ausnahme. Die Mexikaner schmoren im eigenen Saft, weil es sich für Fußballer zu gut lebt in dem armen Land, in dem die Unternehmen und einige Milliardäre am liebsten in Fußball investieren und sich eigene Teams leisten.“

taz: Der weiße Angolaner – zuerst hielt João Ricardo das 0:0 gegen Mexiko fest, nun hofft der vereinslose Torhüter auf einen Vertrag

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