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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2006

Ganz auf die Meisterschaft konzentrieren

Oliver Fritsch | Dienstag, 20. Juni 2006 Kommentare deaktiviert für Ganz auf die Meisterschaft konzentrieren

0:6 – was bleibt Serbien, außer Handke, Michael Martens (FAZ)? „Zur Schmach trug auch Diego Maradona bei, ausgerechnet er. Manche Zeitungen druckten ein Foto des jubelnden Argentiniers, das staatliche Fernsehen zeigte ihn in Großaufnahme in derselben Jubelpose im Stadion. Dabei war er just vor einem Jahr, im Juni 2005, noch in Belgrad gewesen, um mit dem wahlserbischen Regisseur Emir Kusturica an Szenen für dessen Dokumentarfilm über sich zu arbeiten. Seinerzeit war Maradona von Serbiens Ministerpräsident Kostunica empfangen worden und hatte ein Hemd getragen, auf dem George Bush als Terrorist bezeichnet wurde, was in Serbien comme il faut ist. Damals sagte Maradona vieldeutig, er sei ‚all die Zeit‘ mit den Serben gewesen – aber von diesem Mitgefühl war ein Jahr später nicht mehr viel zu sehen. Auch für die Belgrader Zeitungen wird sich das Sommerloch jetzt um so bedrohlicher ausbreiten. Denn nun gibt es nicht jene fußballerischen Aschenputtel-Geschichten zu erzählen, wie sie auch erzählt werden, wenn ein afrikanisches Land in einem internationalen Wettbewerb überraschend erfolgreich ist oder Hansa Rostock gegen einen Club aus dem nettozahlenden Bundesgebiet gewinnt. Hätten die Serben und ihr torhütender Montenegriner dagegen Erfolg gehabt, wäre in den Medien mit Sicherheit jenes Rührstück von der strukturschwachen Region oder dem vom Glück vernachlässigten Land aufbereitet worden, das von allen guten Geistern und der Industrie verlassen wurde, aber neues Selbstbewußtsein aus den Siegen der eigenen Fußballmannschaft zieht. Es wäre wieder behauptet worden, die Menschen der Region richteten sich an den Erfolgen einer Sportmannschaft auf wie früher nach den Siegen des jugoslawischen Basketballteams. Immerhin muß das Land diesen Schmu nun nicht über sich ergehen lassen, sondern darf Trost suchen in einem goldenen Verliererwort: Serbien kann sich jetzt ganz auf die Meisterschaft konzentrieren.“

Machbarkeitsadvokat

Sehr lesens- und bedenkenswert! Roland Zorn (FAZ) porträtiert den pragmatischen Marco van Basten und nimmt uns ein Feindbild, den hochnäsigen Holländer: „Die Zeiten, da holländische Fußball-Lehrer der Welt glaubten verkünden zu müssen, wie dieser Sport im Idealfall auszusehen habe, scheinen fürs erste vorbei. Nachdem diese orangene Revolution gescheitert ist und die Welt noch immer auf ein Weltmeisterteam holländischer Provenienz wartet, führen nun auch im deutschen Nachbarland die Pragmatiker und nicht mehr die Programmatiker das Wort. Daß ausgerechnet Marco van Basten zum Wortführer der Machbarkeitsadvokaten geworden ist, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, hat doch der jüngste Trainer bei der Weltmeisterschaft sein Handwerk bei Ajax, in der Eliteschmiede des zum nationalen Kulturgut erhobenen 4-3-3-Systems, erlernt. Von missionarischem Eifer aber ist dieser Bondscoach anders als viele seiner Vorgänger weit entfernt. (…) Aufgewachsen in einem Land, in dem einerseits Systemtreue gepredigt und andererseits der Fußball als Abenteuer für Freidenker empfunden wird, besitzt eine der jüngsten Turniermannschaften bei dieser WM die Fähigkeit, sich nicht zu übernehmen, niemanden zu unterschätzen und den kostbaren Sieg über die Verlockungen des Spiels zu stellen. Dazu hat van Basten seine Spieler angestiftet. Mag er auch seine Grundausbildung in der hohen Ajax-Schule absolviert haben, seinen taktischen Feinschliff erwarb der Europameister von 1988 beim AC Mailand in der Akademie des Arrigo Sacchi. In Italien ist der Angreifer von Welt auch zum Bewunderer elastisch-stabiler Abwehrstrategie geworden. Bei seiner ersten WM präsentiert van Basten dem Publikum seine Version der Elftal unter den modernen Bedingungen des Tempofußballs.“

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