indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2006

Gruppe G

Oliver Fritsch | Mittwoch, 21. Juni 2006 Kommentare deaktiviert für Gruppe G

Flächendeckend tiefes Rot

2:0 gegen Togo – Richard Leipold (FAZ) meldet Schweizer Glück: „Mehr als 40.000 Schweizer feierten ihr Team im Stadion wie eine Heimmannschaft. In der Lautstärke war kein Unterschied zu spüren zum Auftritt der deutschen Elf in der gewaltigen Dortmunder Fußball-Kathedrale, deren Ränge an diesem Nachmittag beinahe flächendeckend in tiefes Rot getaucht waren. Hopp Schwiiz! Dieser inbrünstig intonierte Anfeuerungsruf half den Kickern nicht bloß über ihr spielerisches Tief hinweg, das vielleicht auch der unbarmherzigen Schwüle geschuldet war; das Stimmungshoch auf den Tribünen verriet auch eine Lebensfreude, die das Klischee von der Schweizer Langsamkeit des Seins korrigierte, wenigstens für neunzig Minuten.“ Ingo Durstewitz (FR) widmet sich der sportlichen Leistung der Schweizer: „Vielleicht gibt es doch ein, zwei andere Gründe für den schlappen Auftritt der Eidgenossen. Die mangelnde Kreativität etwa. Der Auswahl des Nachbarlandes fehlt ganz offensichtlich ein Spieler, der von der Norm des tadellosen Malochers abweicht, der einen dieser vielen vorhersehbaren Spielzüge mit einem unvorhersehbaren Pass zu etwas Außergewöhnlichem macht.“

Klischees von Korruption und Kungelei

Die Togolesen sind ein dankbarer WM-Teilnehmer für die Medien; es gab immer was zu schreiben – Richard Leipold (FAZ): „Aus sportlichen Gründen werden die Fußballspieler aus Togo die WM bald verlassen, aber sie werden noch eine Weile in Erinnerung bleiben – als einer der kuriosesten Teilnehmer der WM-Geschichte. Die Westafrikaner haben die gerade in ihrem Land besonders festen Klischees von Korruption und Kungelei derart zuverlässig bedient, daß ihr Auftritt sich stets an der Grenze zur Satire bewegte (…). Während ein Spiel läuft, ist mit Fehlurteilen immer zu rechnen, auch bei einer Weltmeisterschaft. Aber vorher müßte unter Profis alles glattlaufen. Um diesen Anspruch zu erheben, braucht man kein Fußball-Lehrer aus Deutschland zu sein. Nach der Niederlage gegen die Schweiz beklagte Pfister den Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit.“

taz: Wo geht das Fifa-Geld hin?

Gruppe H

Kollektive Alzheimer-Attacke

Nach dem 3:1 gegen Tunesien – Roland Zorn (FAZ) ist begeistert von der spanischen Nationalelf: „Mit den vom Torwart bis zum Linksaußen erstklassig besetzten Spaniern ist mehr als bei jedem Turnier zuvor zu rechnen. Die junge Aragones-Auswahl mit ihrem wiedererstarkten Kapitän personifiziert die Vorzüge des modernen Fußballs mit schnellen Paßfolgen, hohem Tempo bei der Ballmitnahme und einer frappierenden Beweglichkeit im mitreißenden Kombinationsstrom. Eine Halbzeit brauchten die Spanier, um sich vom Rückschlag des frühen Gegentors zu erholen und ihre Sicherheit wiederzufinden. Dann kam Raul, und das eigene Spiel wurde besser, druckvoller und erfolgreicher. Der Strafraumstürmer ist zurück, und Spanien darf weiter hoffen – auf mehr Raul-Tore und den ersten Triumph bei einer Weltmeisterschaft.“ Ronald Reng (SZ) hingegen schreibt, dass Raul nicht zum Spiel der Spanier passe: „Der Fußball besitzt nur ein Kurzzeitgedächtnis, vielleicht das kürzeste Gedächtnis der Welt: Ein einziges Tor lässt alle vergesslich werden. Schon erinnerte sich keiner mehr, wie Raul die ganze Saison gespielt hat, wie er auch vor und nach seinem Volltreffer agierte. Im Prinzip ist solch eine kollektive Alzheimer-Attacke auch nicht ganz falsch, denn ein Stürmer existiert vor allem für solche Augenblicke. Doch Spanien lebt mehr als alle anderen Teams bei dieser WM vom Zusammenspiel seiner Offensive, von den endlosen Passstafetten. Raul, dem in der Melancholie seines erfolglosen Vereins Real Madrid die Form abhanden kam, spielt ein anderes Spiel. Er versteckt sich im Niemandsland zwischen Angriff und Mittelfeld, er lauert, um dann plötzlich hervorzustechen.“

taz: über den neu entfachten Patriotismus in Spanien

Aquaplaning

Frank Heike (FAZ) berichtet das 4:0 der Ukraine gegen Saudi-Arabien: „Gegen einen derart schwachen Widerpart wie Saudi-Arabien genügte der Ukraine die durchschnittliche Vorstellung des verregneten Abends allemal. Das lag auch am saudischen Torwart Mabrouk Zaid. Er konnte einem leid tun. Zaid faustete, wo er fangen mußte, und versuchte zu fangen, wo er hätte fausten sollen. Das 2:0 verschuldete Zaid ganz allein, als er nach Sergej Rebrows Schuß ausrutschte und den Ball passieren ließ. Rebrow faßte sich an den Kopf – mit einem Tor aus 25 Metern hatte er selbst nicht gerechnet. Saudi-Arabien erspielte sich keine einzige Chance, weil seinem Spiel jegliche Antizipation fehlte, weil sich niemand bewegte, und weil Trainer Paqueta mit fünf Verteidigern gegen die zwei ukrainischen Angreifer spielen ließ. Es fehlte dann immer mindestens einer auf dem Weg nach vorn. Doch für eine sichere Defensive stand Paquetas Riegel-Taktik trotzdem nicht: Manchmal schien die Ukraine fast überrascht, wieviel Platz zum Kombinieren blieb. Auf einen Fehler des Gegners antwortete Blochins Team meist mit einem ebensolchen, und so entwickelte sich ein schwaches Spiel.“ Die SZ ist enttäuscht von den Arabern: „Für die saudischen Fußballer kann man angesichts der Leistung nur hoffen, dass die Berichte mehrerer Zeitungen stimmen. Danach hat der Präsident des Fußballverbandes von Saudi-Arabien, Prinz Sultan Bin Fahd Bin Abdulaziz, die Prämien für Runde eins bereits persönlich gezahlt. Die Freude über die Wiedergutmachung für jene Schmach von Japan 2002, als die Saudis mit 0:8 dem späteren Finalisten Deutschland unterlegen waren und mit 0:12 Toren und null Punkten hatten abreisen müssen, währte also nur ein Spiel. Die Araber wurden in voller Gänze Opfer des Hamburger Pisswetters. Das bisschen Wasser hatte auf die Wüstensöhne Saudi-Arabiens einen Effekt, als führen sie ohne Profil auf nassem Asphalt durch die Kurven – akutes Aquaplaning!“

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