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Ball und Buchstabe

Ohnmacht für alle

Oliver Fritsch | Mittwoch, 21. Juni 2006 Kommentare deaktiviert für Ohnmacht für alle

Thomas Kistner (SZ) läßt sich die Kritik am Ticketing nicht versagen: „Die Kraft des Fußballs wirkt berauschender denn je und legt weiter die Versuchung nahe, Unpopuläres durchzuboxen, wenn die Masse feiert. Es wird nach der WM beißende Rückblicke geben auf diese Zeit, als die größte Steuererhöhung aller Zeiten verfügt wurde, während glückstrunkene Menschen schwarzrotgoldene Fähnlein durchs Land schwenkten. Aber jetzt? Später, wir sind beschäftigt. Das bleibt das unschlagbare Erfolgsprinzip von Massenevents – die größten heißen WM und Olympia. Wie der Politik im Großen, kommt die öffentliche Betäubung den Regenten dieser Volkspartys im Kleinen entgegen. Was gab es Klagen wegen des Ticketsystems, die Personalisierung der Karten gilt als Staatsschutzprinzip: Ohne geht nicht, wer’s trotzdem riskiert, wird böse scheitern. Nun läuft die WM, die Stadien sind voll. Das ist erfreulich, wobei außer Frage steht, dass eine WM in diesen Zeiten stets ausverkauft sein wird, auch wenn sie 100 statt 64 Spiele hätte und fast egal, wo sie stattfindet. Bei dieser WM aber findet grobes Foulspiel am Publikum statt. Was nur nicht auffällt, weil sich viele Fans in ihr Schicksal ergeben haben. Sie folgten getreulich den offiziellen Wegen, surften zäh im Internet und jubelten, wenn sie überhaupt Karten für irgendwas ergatterten, sie ertragen Schlange stehend den Personalisierungswahn – um festzustellen, dass sie die Trottel sind. Weil es keine effektiven Kontrollen gibt, und dafür das, was ja zu verhindern war: blühende Schwarzmärkte. Es ist ein Gefühl der Ohnmacht für alle, die sich an Spielregeln halten. Aber die Veranstalter schützt zweierlei: eine alles plättende Hurra-Stimmung im Land sowie die beruhigende Tatsache, dass sich Hunderttausende, die nicht oder unter sinnlos verschärften Bedingungen zum Zuge kamen, nicht wehren werden. Denn diese Masse setzt sich aus Einzelnen zusammen, und der Einzelne ist chancenlos. Das Personalisierungskonzept ist gescheitert.“

SZ: WM-Tickets – der Ehrliche ist der Dumme

Man kann sich reinwaschen

Bernd Müllender (taz) kritisiert die Gelbsperren: „Holland gegen Argentinien, das klingt mindestens wie ein vorweggenommenes Halbfinale – auf dem Papier. Andere Papiere sprechen dafür, dass sich die beiden Teams, weil sie bereits für das Achtelfinale qualifiziert sind, eher zu einem Freundschaftsspiel zweier Reserve-Teams treffen als zum Topmatch einer Weltmeisterschaft. Diese Papiere sind die kuriosen Regelwerke der Fifa. Sie sehen vor, dass ein Spieler nach der zweiten gelben Karte in der Vorrunde gesperrt ist. Bei Holland droht sechs vorbelasteten Spielern diese Gefahr. Das unbedacht Groteske der tumben Regelausdenker: Nach der Vorrunde werden die Verwarnungen gestrichen. Das heißt: Man kann sich durch Nichteinsatz sogar reinwaschen.“

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