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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2006

Beschleuniger

Oliver Fritsch | Donnerstag, 22. Juni 2006 Kommentare deaktiviert für Beschleuniger

Christian Eichler (FAZ) schildert das Alleinstellungsmerkmal Juan Riquelmes, des argentinischen Spielmachers: „Riquelme gilt vielen als zu langsam. Tatsächlich könnte die Schwäche der Argentinier in ihrer Abhängigkeit von ihrem Spielmacher liegen, der pro Spiel im Schnitt über hundert Ballkontakte hat, mehr als jeder andere bei der WM. Jorge Valdano, der Weltmeister von 1986, hat einen Freund, der Riquelme das ‚Zollhäuschen‘ nenne – weil der Ball bei ihm immer haltmachen müsse. So paßte er nicht ins System des direkten Spiels und hohen Balltempos, das man beim FC Barcelona pflegt. Dort ließ ihn Trainer Louis van Gaal, der den Argentinier nicht wollte, auf dem Flügel versauern. Er ist kein Treiber des Balles, eher ein Schlepper – der aber dann, aus der scheinbaren Schläfrigkeit, die seinen Bewegungen und seinen melancholischen Augen innewohnt, den überraschenden Tempowechsel holt. Denn nicht Schnelligkeit ist das wirklich Entscheidende im Offensivspiel, sondern ‚Beschleunigung‘, wie Aime Jacquet sagt – und wie er es bei der heutigen französischen Equipe vermißt. Die Kunst des Tempowechsels versetzt Gegner oft mehr in Stress als das regelmäßige, berechenbare Tempo, das Teams wie Deutschland und England anstreben. ‚Unberechenbar‘ will Trainer Pekerman denn auch vor allem sein mit seiner Mannschaft. Er ist damit ein Bruder im Geiste von Jose Mourinho. Der predigt den Rhythmuswechsel, ein Spiel namens ‚press and rest‘: jagen und ruhen. Hat der Gegner den Ball, sind seine Spieler rastlos: Druck ausüben auf dem ganzen Platz, Ball gewinnen. Haben sie ihn, sollen sie die Wahl treffen: schnell attackieren – oder, häufiger, am Ball ausruhen, warten, bis der Jäger ruhig und das Opfer reif ist. Es ist das, was auch Argentinien vorführt: Man muß das Tempo nicht hoch halten, aber man muß es bestimmen. Es ist das Gegenteil der Hetzjagd, es ist die lauernde Art der Raubkatze: Ruhe haben, warten können, zupacken. Argentiniens Trainer fügt einen Satz an, mit dem schon ein anderer Meister der Verschleierung und Verschleppung, der Ruhe und des Rhythmuswechsels Weltmeister wurde, nachdem auch er alles um den einen Spielmacher herumbaute, nämlich Sepp Herberger: ‚Es ist der Ball, der laufen sollte, nicht der Spieler.‘“

taz: Warum bei der WM das angekündigte Hochgeschwindigkeits-Fußballspektakel ausbleiben könnte

SZ-Portrait Edwin van der Sar

Gruppe D

Leidenschaftlichen Jünglinge und abgeklärte Liebhaber

Thomas Klemm (FAZ) schenkt den Portugiesen und Mexikanern (2:1) Beifall: „Fast schien es, als hätten beide Mannschaften vor dem Spiel einen Pakt geschlossen, daß sie ihren Fans ein Schauspiel des Sturm und Drang bieten wollen. Die Mexikaner, die von Beginn an unbedingt den fehlenden Punkt zur gesicherten Achtelfinalteilnahme erkämpfen wollten, übernahmen die Rolle der leidenschaftlichen Jünglinge, die offensiv um ein Tor buhlten; die Portugiesen spielten wie abgeklärte Liebhaber der schönen Fußballkunst.“

Scheu vor dem Ausland

Frank Heike (FAZ) macht Bequemlichkeit als Grenze Mexikos aus: „Vereinsstrukturen nach europäischem Vorbild kennt man in Mexiko nicht. Der mexikanische Fußball gleicht in seiner Struktur eher den amerikanischen Unternehmen in den vier großen Sportarten Basketball, Football, Baseball und Eishockey. Geld verdienen kann man mit dem Fußball in Mexiko kaum, es ist eher eine Art von Öffentlichkeitsarbeit. Bis zu 15 Millionen Dollar pro Serie soll mancher Unternehmer in sein Spielzeug stecken. Auf diese für europäisches Verständnis ungewöhnliche Weise hat sich eine für die Profis höchst lukrative Liga herausgebildet. Bis zu 150.000 Dollar sollen die Spitzenverdiener im Monat einnehmen. So ist Mexiko eine Anlaufstation für Profis des ganzen Kontinents geworden. Befeuert wird das rasante Wachstum vom mexikanischen Wirtschaftswunder: seit das Freihandelsabkommen mit Amerika und Kanada vor zwölf Jahren in Kraft getreten ist, hat sich Mexiko zur zehntgrößten Volkswirtschaft und siebtgrößten Exportnation entwickelt und Brasilien als größte Wirtschaftsmacht der Region abgelöst. Kritiker des mexikanischen Fußballs prangern eine im gleichen Maß gestiegene Saturiertheit der in der Heimat verwöhnten Nationalspieler an. (…) Die Scheu der Mexikaner vor dem Ausland scheint aber auch eine nationale Eigenart zu sein.“

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