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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2006

Konzeptfußball

Oliver Fritsch | Freitag, 23. Juni 2006 Kommentare deaktiviert für Konzeptfußball

Trotz dem 0:0 – Argentinien und Holland, besonders ihre Trainer, haben Christian Eichlers (FAZ) Herz und Kopf gestürmt: „In den letzten zwanzig Jahren ist Argentinien dem Glanz von damals nie so nahe gekommen wie heute. Gegen Holland haben sie auf diesem Weg eine kleine Pause eingelegt – und doch auch im Schongang gezeigt, welch gewaltige Aufgabe aufs deutsche Team im Viertelfinale warten könnte. Mehr noch war es eine einschüchternde Demonstration für alle, die es bei den nächsten zwei bis drei Weltmeisterschaften mit Argentinien zu tun bekommen werden. (…) Neue Spieler, neue Ideen – und neue Trainer, die in nicht mal zwei Jahren etwas aufgebaut haben, was man in der vorletzten Bundesligasaison noch als ‚Konzeptfußball‘ bejubelt hätte. Der Begriff ist zwar wieder aus der Mode, nicht aber die Idee dahinter. Denn anders als in der Bundesliga, wo Konzeptfußball hieß: hast du keine guten Spieler, brauchst du ein gutes Konzept, haben Argentinien und Holland natürlich beides. Pekerman und van Basten verfolgen eine präzise Idee von dem Spiel, das sie wollen, suchen ihre Spieler genau danach aus, und auch wenn die halbe Reserve spielt wie in Frankfurt, sieht man immer noch die Spielidee: bei den Argentiniern das Kombinationsspiel mit abrupten Tempowechseln, bei den Holländern kompakte Defensive plus Flügelspiel. Ein 0:0 ist natürlich kein Konzept für Fußball, aber wenn zwei Konzepte aufgehen, dann ist es manchmal das natürliche Resultat.“

Ulrich Hartmann (SZ) verteilt seine Gunst einseitiger: „Beim taktischen Sicherheitsfußball waren die technischen Unterschiede zwischen den filigranen Argentiniern und den rustikalen Holländern augenscheinlich. Deshalb ziehen die Holländer ihren Optimismus vor allem aus dem Umstand, dass sie ihre schwierige Gruppe ohne Niederlage überstanden haben. Zu Euphorie geben ihre Leistungen keinen Anlass. Die Holländer kämpfen, ackern, mühen sich – doch sie spielen keinen schönen Fußball.“

FR: Von Holland ist nichts zu hören – trotz Unterzahl sorgen die argentinischen Fans für die Stimmung

Verfrühter Abschied

Die Elfenbeinküste siegt gegen Serbien-Montenegro 3:2 – Elisabeth Schlammerl (FAZ) schnalzt mit der Zunge: „Kriterien für große Fußballspiele gibt es genügend. Spannung gehört dazu, hochklassige Spielszenen, schöne Tore und natürlich Tempo und Zweikämpfe. Die Partie bot zwar all dies, wird aber wegen Bedeutungslosigkeit trotzdem nicht eingehen in die WM-Historie. Die beiden Mannschaften hatten schon zuvor ihre Chancen auf ein Weiterkommen verspielt. Aber gerade weil die Partie nicht geprägt war von Taktik, sondern in erster Linie von der Leidenschaft, bot sie beste Unterhaltung.“ Andreas Burkert (SZ) fügt hinzu: „Man kann all diejenigen, die das letzte Spiel der Elfenbeinküste nicht gesehen haben, aufrichtig bedauern. Die Augenzeugen verabschiedeten die Mannschaft nach aufregenden 90 Minuten mit einem Applaus, der von tiefer Zuneigung und Begeisterung getragen war. Denn sie hatte mit der Wucht ihres athletischen und technischen Talents erneut ein Spektakel aufgeführt. Leider wiederholten sich auch ihre dramatischen Schwächen, welche die Schönheit ihres Spiels begleiten und die verantwortlich sind für den verfrühten Abschied: Unsicherheit in der Defensive und wenig Effizienz vor dem Tor. (…) Vielleicht sind die Ambitionen des dreimal brillant spielenden Teams ein bisschen zu groß gewesen.“

Gruppe D

Anfeindungen

1:2 gegen Portugal – Javier Cáceres (SZ) erforscht die Gehässigkeiten zwischen der mexikanischen Fußball-Öffentlichkeit und ihrem Trainer Ricardo La Volpe: „Es ist ein bei dieser WM wohl in dieser Form einzigartiges Spannungsfeld, das solche hysterischen Reaktionen gebiert; es nährt sich aus einem Wechselspiel aus Patriotismus, Arroganz, Machogehabe, Neid, Selbstüberschätzung und mexikanischem Hang zum Melodram. Die locker genommene WM-Qualifikation, der gute Auftritt beim Confederations Cup 2005, bei dem man Brasilien schlug, und der Umstand, dass Mexiko bei der Auslosung gesetzt wurde, hat die Ansprüche ins Unermessliche steigen lassen. Zudem werden die mit La Volpe fast schon aufs Blut verfeindeten Hugo Sanchez und Cuauhtemoc Blanco, legendärer beziehungsweise ausgebooteter Stürmer, nicht müde, kräftig Öl ins Feuer zu kippen. Immer wieder ist La Volpe wegen seiner argentinischen Herkunft Anfeindungen ausgesetzt, und La Volpe selbst ergötzt sich daran. Anders wäre nicht zu erklären, dass er sich wie die Karikatur nicht des Argentiniers, sondern seines Klischees verhält, dem nachgesagt wird, er lächle bei Blitzen in den Himmel, weil er glaube, Gott fotografiere ihn.“

„Kommet her/und seht/kommet her/und seht/dies ist doch kein Trainer/sondern eine Nutte/aus nem Cabaret.“ (Sprechchor mexikanischer Fans, gemünzt auf La Volpe)

Neuer Wettbewerb

Aus dem Siegerteam hat Thomas Klemm (FAZ) gegenteiliges zu berichten: „Mittendrin in der Weltmeisterschaft scheint innerhalb der portugiesischen Nationalmannschaft ein anderer, inoffizieller Wettbewerb begonnen zu haben: Wer findet den Trainer am tollsten, wer lobt ihn am meisten? Die Spieler bangen um Luiz Felipe Scolari, sie fürchten, er könnte seinen Vertrag nicht verlängern und ein Angebot eines europäischen Spitzenklubs annehmen. Die Seleccao ohne Scolari, das mag sich keiner vorstellen.“

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