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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Lust an der Karikatur

Oliver Fritsch | Freitag, 23. Juni 2006 Kommentare deaktiviert für Lust an der Karikatur

Auszug aus seinem Buch „Deutschland, deine Lieblingsgegner“, erschienen im Eichborn-Verlag – Christian Eichler (FAZ) erläutert die Anziehungskraft von Typen und Typisierungen im Fußball: „Das ist das Eigentümliche, ja das Verrückte am Fußball der modernen Nationalmannschaften: Sosehr das Spiel sich im europäischen Vergleich der international besetzten Klubteams zum Kontroll- und Erstickungsfußball angeglichen hat, zum Spiel der Champions League, in dem nationale Unterschiede verwischen, so sehr zeigen dieselben Spieler bei Einsätzen in ihrem Nationalteam einen Fußball, dem man nationale Besonderheit, gewachsene Tradition, eigenes Profil immer noch anmerkt. Oder sagen wir ruhig: eigenen Fußballcharakter. Die Holländer, die Portugiesen, die Brasilianer, die Argentinier, die Engländer, auch die Deutschen spielen unter sich, als Vertreter ihres Landes, selbstverständlich: holländischen, portugiesischen, brasilianischen, argentinischen, englischen, deutschen Fußball. Es bleibt ein Moment kostbarer Ungleichheit. Nationalmannschaften lassen sich in ihrem Spiel nicht so automatisieren wie eine gut geölte Klubmannschaft. Dafür trainieren und praktizieren sie einfach zu selten. Sind es nicht genau die Unterschiede, die man schätzt? So wie man als Publikum in einem Film, Buch, Theaterstück unterschiedliche, ja unterscheidbare Typen will, Figuren mit Charakter, so will man das auch auf der Fußballbühne: Teams mit Charakter. Deshalb liebt man die kleinen und großen Klischees, die praktischen Vorurteile gegenüber anderen Nationen, die sich am Beispiel des Fußballs so griffig konkretisieren und zuspitzen lassen. Es ist die menschliche Lust an der Karikatur, und die ist nur für eins eine Beleidigung, für den Mangel an Humor. Der moderne Fußballfan hat ihn, diesen Humor. Deshalb versteht er mit seiner Lust am gepflegten Vorurteil verantwortlich umzugehen.“

Ein fesselndes Erlebnis

Der Economist ergründet die Faszination von Fußballweltmeisterschaften im Vergleich mit Olympischen Spielen: „Trotz dem unbezweifelbaren Prestige, das man erhält, wenn man Weltmeister wird, ist es für eine Regierung extrem schwer – falls nicht unmöglich –, einen Weltmeister zu kreieren. Wohl schafften es die Italiener in den 30er Jahren; und Argentiniens Weltmeister von 1978 erhielten reichlich Unterstützung von der militärischen Junta. Aber ein moderner Diktator, der seinen Lakaien den Auftrag gibt, ein Team zusammenzustellen das Brasilien schlagen kann, oder so spielt wie sie, würde schnell enttäuscht werden. Der Vergleich mit den Olympischen Spielen hinkt, wenn man an all die roboterähnlichen ostdeutschen Sprinter denkt, die rumänischen Turnerinnen und die chinesischen Schwimmerinnen, die von den staatlichen Programmen am laufenden Band produziert wurden. Im Gegensatz dazu braucht ein erfolgreiches Fußballteam nicht nur Athletik, sondern auch einen Funken Kreativität und Stil, die nicht von Sportplanern hergestellt werden können. Nicht einmal Doping scheint Fußballern zu helfen. Daraus resultiert, daß bei jeder Weltmeisterschaft plötzlich ein Überraschungsteam den sehr eingebildeten Favoriten schlägt. Das geschah zum Beispiel 1966, als Nordkorea Italien besiegte; dasselbe geschah 2002 mit Senegal, die den amtierenden Weltmeister Frankreich schlugen. Die Eigenschaft der Überraschung macht die Weltmeisterschaft zu solch einem fesselndem Ereignis. Und dies ist auch der Grund, warum wir bei dem endlosen Konkurrenzkampf zwischen den Olympischen Spielen und der Weltmeisterschaft um den Titel ‚Weltbester sportlicher Event‘ für die Weltmeisterschaft stimmen.“

Megamainzelmann

Benjamin Henrichs (SZ) entdeckt in Kerner und Klopp zwei rhetorische Gegenpole: „Das ZDF wünscht ja bekanntlich, dass Kerner weniger Werbung macht, also macht er jetzt eben wie entfesselt Werbung für sein altes, liebes ZDF. Man sollte ihm nicht böse sein, er kann nicht anders: Sein Deutsch ist ein Werbedeutsch, sein Lächeln ein Werbelächeln, sein journalistisches Leben ist längst ein einziger, niemals endender Werbespot geworden. Das ZDF und sein fleißigster Mitarbeiter, sie sind füreinander geschaffen: Kerner, das ist der Megamainzelmann. Fußball mit Kerner ist Fußball als Kindergeburtstag. Fußball mit Klopp ist Fußball als Orgie. Für Klopp ist Fußball immerzu geil, jedes Spiel ein Beischlaf, jedes Tor ein Orgasmus. Während Kerner der brave Junge ist, der sich rührend um seine Gäste bemüht, der schaut, dass sie immer mit Süßigkeiten und Himberwasser versorgt sind, spielt Klopp den wilden Kerl, der die Mädels ins Nachbarzimmer schleppt. Wenn Klopp sinnenfroh losröhrt, könnte man meinen, nicht Goleo, der geschlechtslose Löwe, sei das Maskottchen dieser WM, sondern Priapus, der griechische Gott der Fruchtbarkeit, der Gott mit dem allzeit gereckten Glied. Wie und wo aber soll dies alles enden? Wie kann Klopp sich noch steigern, da er doch schon in der Vorrunde ständig zum Höhepunkt gekommen ist? Als wären wir nicht die Zuschauer bei einer Weltmeisterschaft, sondern seine Jungs aus Mainz, die er immerzu heißreden muss. Damit sie nicht absteigen. Sollte Deutschland ausscheiden oder gar Weltmeister werden, bleibt Klopp nur noch ein einziger möglicher Exzess: der Tränenerguss. Weinen bis zum Abwinken. Und darum singen wir in der ZDF-Arena jetzt alle, laut und deutsch und im Chor: ‚Klopp, wir wolln dich heulen sehn!‘“

taz: Angela Merkel zeigt so viel Nähe zum Fußball wie nötig und verbiegt sich so wenig wie möglich

FAZ: Berliner Türken halten zu Deutschland

FR: Journalisten aus Entwicklungsländern erleben die WM – und ihre schwarz-rot-goldigen Gastgeber

FR: Wie wohl fühlen sich die WM-Gäste in Deutschland? Über eine Studie

Tagesspiegel: „Preiswertes Essen, kaum Taschendiebe“ – wenn nur die „ekligen Müllhaufen“ nicht wären: Wie ausländische Zeitungen Deutschland während der WM darstellen

SZ: Auch Fans aus wirtschaftsschwachen Ländern wollen nach Deutschland reisen – aber nur wenige Privilegierte können sich das leisten. Und selbst die sind nach der Weltmeisterschaft oft pleite. Die SZ spricht mit einigen von ihnen

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