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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2006

Ermüdendes Grundlinienduell

Oliver Fritsch | Freitag, 7. Juli 2006 Kommentare deaktiviert für Ermüdendes Grundlinienduell

Michael Eder (FAZ) findet zwei Vergleiche aus anderen Sportarten für den 1:0-Sieg Frankreichs gegen Portugal: „Die Begegnung bot eine vorläufige Zusammenfassung dieser WM, die vor allem eines ist: ein Festival der Defensive. Die Grundregel im aktuellen Verteidigungsfußball lautet: Wer das erste Tor schießt, gewinnt, wer den ersten Fehler macht, fährt nach Hause. Fast könnte man meinen, die Fußballstrategen von heute hätten die Schachtheorien von Steinitz studiert, der die Intuitiven und Kombinationsspieler mit der Lehre verschreckte, daß ein Angriff nur dann sinnvoll sei, wenn das ursprüngliche Gleichgewicht der Stellung gestört ist. Da dieses Gleichgewicht aber nur durch einen Fehler gestört werden könne, bliebe die Stellung so lange ausgeglichen, wie beide Parteien korrekt verteidigten. (…) Die Zuschauer sahen ein ermüdendes Grundlinienduell des Fußballs, weil auch die Portugiesen über eine erstklassige Defensive verfügen. Jeder Angriff, jede noch so gut gemeinte Attacke wurden abgewehrt und weggelaufen.“

Macher

Vereinigung des Schönen und Wahren – Christian Eichlers (FAZ) Hommage an Zinédine Zidane: „Er ist nicht der beste Spieler der WM 2006 – doch er ist der Spieler der WM 2006. Die Fußballwelt des 21. Jahrhunderts schwärmt für die leichtfüßigen Tricks, die schwebende Ballkunst, die oft nur Illusion bleibt. Zidane war schon im letzten Jahrhundert deren Meister. Doch am Ende, in den letzten zwei, drei Jahren, schien von Zidanes Kunst nur dieses Kunsthandwerk übrigzubleiben: die schwebenden Drehungen, die kleinen Gewichtsverlagerungen, die Verteidiger wie Säulen aussehen ließen. Kleine Feuerwerke großer Kunst – letzte Fingerübungen eines Virtuosen, der da und dort noch brillieren, aber nicht mehr dominieren kann? Die WM 2006 erlebt den alten Zidane. Das bedeutet: den ganzen Zidane. Und der hatte immer auch eine andere Seite: ein Macher, ein Entscheider, einer, der ein Spiel grimmig an der Gurgel packt und nicht mehr losläßt. Man sah es ihm oft nicht an, weil er immer so melancholisch und verletzlich dreinblickte. Aber er hatte und hat die Eigenschaft des wahren Weltstars, für die es in diesem Spiel nur ein unschönes, martialisches Wort gibt: den Killerinstinkt.“

Blick für das Spiel wiedergefunden

Christian Zaschke (SZ) beschreibt Zidanes Wandlung: „Gegen Portugal war Zidane nicht so effektiv wie gegen Brasilien, als er sein bestes Spiel seit Jahren zeigte. Erneut fiel jedoch auf, wie agil er sich über den Platz bewegte, und im Vergleich zu seinen müden Vorstellungen bei Real Madrid wirkte er wie Popeye nach dem Genuss von zwei Dosen Spinat. Oder war es das bisschen Höhentraining, das die Franzosen vor dem Turnier absolviert haben? Irgendwie hat er seinen Körper in kurzer Zeit in eine blendende Verfassung gebracht, was ihm auch das Denken auf dem Platz erleichtert. Er hat seinen Blick für das Spiel wiedergefunden, das er lenkt und dessen Rhythmus er bestimmt. Die Mitspieler suchen ihn nun wieder und liefern die Bälle pflichtschuldig bei ihm ab, auf dass der Meister sie über das Feld verteile.“ Benjamin Henrichs (SZ) hofft auf Zidanes Krönung: „Nachdem nun die Wunderkinder und Märchenprinzen des Fußballs allesamt verschwunden sind (Robinho und Messi, Poldi und Schweini, der Kampfhund Rooney und der Tänzer Cristiano Ronaldo), gibt es nur eine Schlusspointe, die aus dieser hochstrapaziösen, manchmal begeisternden, oft nervenden Weltmeisterschaft doch noch eine Glücksgeschichte machen könnte: Zizous zweite Krönung. Es wäre ein Märchen. Ein altes Märchen zwar, aber immerhin ein Märchen. Denn wie kein anderer Spieler unserer Epoche hat uns Zinedine Zidane immer wieder daran erinnert, dass der Fußball eine dramatische Kunst ist, keine Party und erst recht kein patriotisches Hochamt. Dass die Fußballer die legitimen Erben von Aischylos, Shakespeare und Tschechow sind, nicht nur Entertainer und Popstars. Niemals werden wir Zidane als jämmerlichen Sänger in der ZDF-Arena erleben (wie soeben Pelé), niemals wird er auf der Tribüne herumtanzen und heulen wie gerade noch der Gockel Maradona. Zidane wird aufhören, und dann wird er weg sein. ‚Schön ist nur, was ernst ist‘, heißt es in der traurigen Komödie Die Möwe. Wenn das wahr ist, dann war Zidanes Fußball der schönste.“

Zurechtgewiesen

Die Welt wirft ein: „Als Zidane seinen Elfmeter verwandelt hatte, liefen Patrick Vieira und Claude Makelele auf ihn zu. Um zu gratulieren? Sie bauten sich vor ihm auf. Furchteinflößend der Hüne Vieira, mit dem Finger auf Zidanes Brust der kleine Makelele. ‚Wir haben ihm gesagt‘, erklärt Vieira hinterher, ‚daß er sich besser in die Defensivarbeit einordnen muß. Die Portugiesen hatten zuviel Platz.‘ Zidane, der beste Fußballspieler der vergangenen fünfzehn Jahre – zurechtgewiesen wie ein Schuljunge, unterworfen dem Diktat des Resultatsfußballs. Er trägt die Kapitänsbinde und gilt nach außen als Anführer der wiedergeborenen ‚Bleus‘. Deren Chefs sind freilich Vieira und Makelele. Zwei Giganten im defensiven Mittelfeld, mit brillanter Technik und famoser Spielintelligenz. Aber eben Defensivspieler.“

SZ: Das letzte Duell der alten Herren – zum Abschied tauschen Finalist Zinédine Zidane und Verlierer Luis Figo die Hemden

Keinen Torjäger

Peter Burghardt (SZ) vermißt portugiesische Durchschlagskraft: „Zu wenig versuchte Portugal in der Offensive. Zu oft sanken Scolaris Spieler wie vom Blitz getroffen ins Gras, statt sich aufrecht dem Ziel zu nähern, sie trugen erheblich bei zu einem einschläfernden Duell. Außerdem zeigte sich ein weiteres Mal, dass Deco und Figo kein Gespann bilden, obwohl die beiden technisch und taktisch dazu in der Lage sein sollten.“ Thomas Kilchenstein (FR) ergänzt: „Warum schafft es eine Nation, die derart brillante Fußballer hervorbringt, nicht, einen Torjäger auszubilden? Seit Jahrzehnten krankt der portugiesische Fußball am Fehlen eines klassischen Knipsers. Ihr letzter echter Torjäger saß auf der Tribüne, wie immer ein weißes Handtuch um die Schultern: Eusebio.“

Felix Reidhaar (NZZ) blickt sechs Jahre zurück: „Im EM-Halbfinal 2000 von Brüssel hatte die génération dorée (Juniorenweltmeister 1989 und 1991) dem Team aus dem Hexagon letztmals wirklich auf den Zahn gefühlt, war aber von der Spielleitung krass benachteiligt worden. Das hat die ohnehin schwermütigen Lusitaner in ihrem Defaitismus noch gestärkt. Und diese mentale Stimmung stutzte ihnen auch gegen die Franzosen sichtlich die Flügel.“

BLZ: Portugal ärgert sich über die Wiederholung von Elfmeter-Geschichte

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