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Ball und Buchstabe

Gewalttätiger Widerstand

Oliver Fritsch | Mittwoch, 18. Oktober 2006 Kommentare deaktiviert für Gewalttätiger Widerstand

Die deutsche Presse interpretiert die vermehrten Fouls gegen Torhüter als Festhalten an einer der letzten Bastionen englischer Fußballtradition; Jens Lehmann, der sehr schlechte Erfahrung mit Giovane Elber gemacht hat, fordert, die Torhüter zu schützen

Das also, Fouls und Rücksichtslosigkeiten gegen Tormänner, lassen sich die Briten nicht nehmen – Josef Kelnberger (SZ) vermutet, daß es dem Deutschen Jens Lehmann nicht gestattet ist, die Werte des englischen Fußballs zu ändern: „‘It’s a man’s game‘, sagen sie auf der Insel; zurzeit ist ihr Spiel wieder besonders männlich. Innerhalb von drei Wochen haben in der Premier League vier Torhüter beim Zusammenprall mit Stürmern schwere Kopfverletzungen erlitten. Die Stürmer blieben unversehrt, auch verschont von Schiedsrichtern und Kommentatoren, die solche Attacken nie als Absicht werten, höchstens als ‚clumsy‘. Ungeschickt. Ungeschickterweise nennt Lehmann solche Kommentatoren nun ‚dumm‘. Er mahnt mehr Schutz für Torhüter an und erinnert daran, daß die Männerdarsteller Frauen und Kinder haben, die keine Familienväter mit Stahlplatten im Kopf oder im Rollstuhl fahrend haben wollen. Das hätte er nicht tun sollen, der deutsche Kauz. Natürlich hat Lehmann recht. Jeder Stürmer verfügt über ein feines Gespür dafür, wann er den Ball erreichen kann und wann nicht. Immer kommt es darauf an, wieviel Rücksicht der Stürmer auf den Kopf voraus heranstürzenden Torwart nehmen will. Im Fall Cech war es: null. Aber vermutlich steht es kontinentaleuropäischen Legionären nicht zu, sich über englische Fußballsitten zu erregen.“ Bemerkenswert! Raphael Honigstein (Tsp) deutet die sich häufenden Fouls gegen Torhüter als Widerstand gegen die Europäisierung des englischen Fußballs: „Der englische Fußball will nicht schön sein. Das Spiel wird unter dem Einfluß der ausländischen Trainer und Spieler immer technischer und feiner, dagegen regt sich ab und an gewaltiger, nein: gewalttätiger Widerstand.“

Jens Lehmann weiß, wovon er redet, allerdings hat er diese – schlechte – Erfahrung in Deutschland gemacht. Im November 2002 spielte Borussia Dortmund in München, und Giovane Elber trat den liegenden Lehmann, damals im Dortmunder Tor, mit aller Kraft, Wucht und Absicht gegen den Kopf. Elber sah nur Gelb, Lehmann wurde im selben Spiel wegen Lappalien mit Gelb-Rot bestraft. Der Bayern-Clan spielte dieses Foul, eines der brutalsten der jüngeren deutschen Fußballgeschichte, als Mißgeschick herunter. Ottmar Hitzfeld beschönigte nach dem Spiel im Clinch mit BVB-Trainer Sammer die Aktion, sodaß man sich Sorgen um seinen Charakter machen muß. Die wenigsten Zeitungen erkannten das Schändliche an den Entscheidungen des Schiedsrichters Weiner (der auch noch den Dortmunder Frings vom Platz schickte und auf einige Brazzo-Rollen reinfiel); Macht und Einfluß der Bayern auf die Urteile der Journalisten waren damals wegen ihrer internationalen Erfolge größer als heute. Und: Lehmann war zu dieser Zeit in den Augen der Öffentlichkeit kein Titan, sondern ein Schnösel. Was hätte es für Schlagzeilen gegeben, wenn das seinem Gegenüber passiert wäre? Den Lehmann hingegen durfte man in München damals treten.

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