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Internationaler Fußball

Neapel dürstet nach Fußball

Oliver Fritsch | Mittwoch, 8. November 2006 Kommentare deaktiviert für Neapel dürstet nach Fußball

Das 1:1 zwischen Neapel und Juventus in der zweiten italienischen Liga – eine große Oper muß es gewesen sein

Dirk Schümer (FAZ) schildert die Reaktion der Napoli-Fans beim Ausgleichstreffer: „Der Jubelschrei aus Kehlen klang zwar nicht so süß wie O sole mio, war dafür aber mindestens bis Ischia und Capri zu hören. Die Neapolitaner sind als sangesfreudig bekannt, zudem hatten sie ihre geliebten Knallkörper mit ins Stadion gebracht, um sich Jahre des Frusts von der Seele zu ballern. (…) Nur in Neapel konnte für die Juve einen Abend lang erstklassige Atmosphäre aufkommen.“ Die spielerische Überlegenheit der Turiner beschreibt Schümer mit eleganten Vergleichen: „Die Juve agierte gegen hölzerne, defensive Gegner wie ein englischer Gentleman, den es durch Zufall in eine Bahnfahrt dritter Klasse verschlagen hat: distanziert, höflich, aber etwas angeekelt. Allen voran Alessandro del Piero, der immer wieder mit Hackentricks, Körpertäuschungen und Flankenläufen seine technische Extraklasse aufblitzen ließ und dafür regelmäßig rüde umgetreten wurde – ein Virtuose, der gemeinsam mit einer Blaskapelle aufspielen muß.“ Und eine nette Anekdote obendrauf: „Die unfreiwillige Provinztour der ‚alten Dame‘ wird zum Triumphzug. Im kalabresischen Kaff Crotone mußte man gar ein Krankenhaus schließen; Simulanten lieferten sich reihenweise selber ein, weil man aus den Fenstern ins ausverkaufte Stadion sehen konnte.“

Sehr anschaulich erzählt Birgit Schönau (SZ), wie die Neapolitaner das Spiel erleben und wie es in ihren Alltag greift: „Endlich ein big match, ein Hauch von Glanz und Glamour in Camorra-City, der von brutalen Bandenkriegen und meterhohen Müllbergen gepeinigten, uralten Metropole. Vielleicht auch nur ein Hauch von Normalität. Einen großen Abend im Stadion – wann hatte es das zuletzt gegeben? Jungen ohne Helm, die zu zweit oder zu dritt auf ihren Mopeds durch den Tunnel von Fuorigrotta zum Stadion rasen. Distinguierte Herren, die nach vielen Jahren ihren Fan-Schal aus dem Schrank holen, und an einem milden Novemberabend im Mondschein Calcio Napoli ihre Aufwartung machen. Kinder, die mit Gegnern wie Albinoleffe und Crotone aufwachsen müssen, und ausnahmsweise aufbleiben dürfen, um wenigstens einmal Buffon zu sehen. Grenzen, die für ein paar Stunden anders gezogen werden, nicht zwischen Pracht-Palazzo und Vorstadt, Delinquenz und Legalität, sondern zwischen Napoli-Fan und Juventino. 65.000, das sind drei Mal soviel wie die durchschnittliche Zuschauerzahl bei einer Begegnung der Serie A. Während in Mailand und Rom die Tifosi spätestens nach dem Manipulationsskandal den Calcio satt haben, dürstet Neapel nach Fußball.“

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