indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Unterhaus

Entkölschung rückgängig gemacht

Oliver Fritsch | Montag, 13. November 2006 Kommentare deaktiviert für Entkölschung rückgängig gemacht

Auf die Pressekonferenz des Boulevard-Lieblings Christoph Daum in einem Kölner Krankenhaus reagieren viele Journalisten allergisch und amüsiert

Oskar Beck (Welt) rezensiert die Burleske im Theater zu Köln: „Tatsächlich ist es einem frisch operierten und an heimtückischen Schluckbeschwerden leidenden Patienten einer Kölner Klinik gelungen, Scharen von Journalisten in die Cafeteria des Krankenhauses zu locken, um in einer Pressekonferenz bekannt zu geben, daß er nichts bekannt zu geben hat. Nein, wir schildern hier keinen unheilbaren Fall aus der Psychiatrie. Sofern die Einzelheiten stimmen, handelt es sich um die geschlossene Hals-Nasen-Ohren-Abteilung, jedenfalls hat Christoph Daum mitgeteilt, daß er nicht Trainer von Köln wird – danach hat er sich wieder hingelegt. Warum niemand eine sofortige Haaranalyse beantragt hat? Vermutlich, weil Klappern nicht strafbar ist, sondern zum Handwerk gehört. Bei Daum sowieso. Wenn kein Wind weht, fällt die Regatta aus, hieß schon immer sein Lebensmotto. Also sorgt er für Wind – und findet im besten Fall karnevalsreife Jecken, die ihm eine Bühne bieten. Er hat die Ober-Geißböcke Overath und Meier kommen – uns ins Messer laufen lassen.“ Der Grund, weswegen die Bild-Zeitung Daum dauernd ins Gespräch bringt und im Gespräch hält, sei (na sowas!) ein ökonomischer: „Vor allem die Boulevardpresse braucht ihn – denn mit den Sportsfreunden Veh und Slomka ist am Kiosk kein Krieg zu gewinnen. Daum wird als Lautsprecher und Stichwortgeber vermißt, der die schnelle Presse mit flotten Sprüchen und zündenden Nachrichten füttert – jedenfalls könnte den bunten Balkenblättern nach dem herben Verlust Assauers auf Schalke nichts besseres passieren als ein Trainer Daum. Bei jedem krisenhaften Ansatz der Königsblauen machen die Bild-Kollegen munter mobil oder lassen ihren Kolumnisten Günter Netzer trommeln, daß die Zeit für seine Bundesligarückkehr reif sei. Doch es läuft eher dumm: Schalke siegt wieder, Dortmund siegt wieder – und der HSV hält wie doll zu Doll.“

Ulrich Hartmann (SZ) interpretiert Daums Pressekonferenz als öffentliche Bewerbung, aber nicht bei Köln: „Christoph Daum kann zurzeit nicht Trainer in Köln werden, weil er krank ist. Doch das ist er nicht mehr lange. Bald ist er wieder fit für etwas, was er eigentlich lieber sein möchte als Trainer eines Zweitligisten, und das war das Wichtigste an dieser Ansprache. Seine Rückkehr in den deutschen Fußball hat Daum in aller Ruhe konzeptioniert. Er hat im Ausland Erfolge gefeiert, er hat seinen Umzug zurück nach Köln medial ausleuchten lassen, er hat als Assistenztrainer bei den Fußballern mit geistiger Behinderung auf der Bank gesessen und sich nun ins Foyer eines Krankenhauses gesetzt und einen Chefarzt sagen lassen: ‚Herr Daum war in einer bedrohlichen Situation.‘ Der Akt der Resozialisierung soll damit abgeschlossen sein. Die Pressekonferenz war zugleich ein live übertragenes Vorstellungsgespräch. Daum sagte: ‚Ich suche einen Verein mit internationalen Perspektiven Richtung Champions League.‘ Für eine Annonce mit vergleichbarer Streuwirkung muß ein Arbeitssuchender viel Geld zahlen. Daums Bewerbungsvideo wurde kostenlos übertragen.“

Das Streiflicht (SZ) fühlt die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen: „Am Samstag wurde im deutschen Fernsehen zum Teil live folgende Nachricht verbreitet: Christoph Daum wird nicht Trainer des 1. FC Köln, weil ihm die Mandeln rausgenommen worden sind. Daum hat nicht viel gerissen in der letzten Zeit. Köln ist ein mittelmäßiger Zweitligaverein. Mandeln werden jeden Tag zu Tausenden entfernt. Es war die unwichtigste Nachricht des Jahres. Daum lud zu einer Pressekonferenz ins Foyer des St.-Elisabeth-Krankenhauses in Köln. Viele Journalisten waren da, auch Patienten aus der Abteilung Hals-Nasen-Ohren; einige schoben Ständer, an denen Flaschen mit Kochsalzlösung befestigt waren. Wenn das Fernsehen im Altersheim von Springfield zu Gast ist, fällt einem Greis gern das Gebiß aus dem Mund und umklammert ein Kamerakabel. Diese Szene fehlte bei der Show mit Daum, sonst hätte alles genau so bei den Simpsons laufen können.“ Erik Eggers (FR) fügt an: „Nach Jahren der ‚Entkölschung‘, wie Dirk Lottner die Rationalisierung unter Manager Andreas Rettig einst nannte, bietet der FC wieder reichlich Stoff für Volkskundler und Folkloristen.“

FAS: Der Patient Daum sagt Jein

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

117 queries. 0,823 seconds.