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Eine Nase für den Fußball

Oliver Fritsch | Dienstag, 21. November 2006 Kommentare deaktiviert für Eine Nase für den Fußball

Christoph Daum beschäftigt und spaltet nach wie vor die Journalisten; zu laut ist er, ungeachtet seiner Qualität als Trainer, den meisten / Der Höhenflug des familiären Karlsruher SC / St. Pauli entläßt Trainer Andreas Bergmann

Im Tagesspiegel gibt’s heute Pro und Contra Christoph Daum. Friedhard Teuffel verweist auf Daums fachliche Qualität und verneint das Leitbild vom Trainer und Sportler als Vorbild: „Ein Trainer im Berufsfußball muß seine Spieler nicht zu besseren Menschen machen. Bis heute hält sich die Annahme, daß der Sport anständiger sein soll als der Rest der Welt. Doch warum sollte er? Längst ist wissenschaftlich widerlegt, daß der Vereinssport eine Charakterschule ist. Oft machen Jugendliche gerade im Sportverein ihre ersten Erfahrungen mit Alkohol und anderen Drogen. Das Argument, daß Daum in allererster Linie sittliches Vorbild für die Jugend sein müsse, ist daher falsch. Wenn sich diese Gesellschaft Spitzensportler wie Michael Schumacher und Lance Armstrong zum Vorbild nähme, würde sie hierzulande keine Steuern mehr zahlen und versuchen, Kollegen am Arbeitsplatz durch unfaire Methoden abzuhängen. Daum hat mit jungen Menschen zu tun, aber er ist kein Jugendtrainer. Die Bundesliga ist ohnehin ein Mischkonzern aus Sportbetrieb und Unterhaltungsindustrie. Daum ist deshalb ein doppelter Gewinn für den Fußball, weil er viel vom Fußball versteht und vielleicht beinahe genauso viel von der Inszenierung. Für sein Fehlverhalten, ja kriminelles Verhalten, hat Daum gebüßt. Der DFB, der sich von einer Brauerei sponsern läßt, hat sich fast mit Ekel von ihm abgewendet. Man hat sich in Deutschland jahrelang über Daum lustig gemacht, über seine verschnupfte Nase etwa. Aber Christoph Daum hat eine Nase für den Fußball. Eine der besten überhaupt.“

Bei Stefan Hermanns hingegen hat Daum seine Glaubwürdigkeit und Integrität verloren: „Es geht nicht darum, daß Daum Kokain konsumiert hat und auch noch so dumm war, sich anschließend selbst zu überführen. Es geht darum, daß er geglaubt hat, er könne koksen, aber gleichzeitig behaupten, er kokse nicht. Es geht darum, daß Daum sich sogar für klüger gehalten hat als die Wissenschaft; darum, daß er geglaubt hat, er allein könne bestimmen, nach welchen Regeln das Spiel ablaufe. Er hat belogen und betrogen, und was fiel ihm anschließend zu seiner Rechtfertigung ein: Tja, dumm gelaufen. (…) Daum nervt schon wieder, bevor er überhaupt mit seiner Arbeit angefangen hat. Daß er nun dreieinhalb Jahre mit dem 1. FC Köln gestraft ist, ist nur ein schwacher Trost.“

Auch Roland Zorn (FAZ) klagt, daß Daums Rentrée zu laut gewesen sei: „Wo Kollegen ihre neuen Arbeitsstellen zumindest anfangs erst einmal bescheiden, leise und ohne viel Gedöns drum herum antreten, hat Daum den Kölner Karneval am 11.11. persönlich im Hospital eingeläutet. Wer das Hin und Her um seine Unterschrift bei einem Klub verfolgt hat, der einst erstklassig geführt wurde, konnte je nach Humorbandbreite nur noch schmunzeln oder staunen. (…) Daum nach seinem Kokainfehltritt auf Dauer von der Berufsbühne Deutschland zu verbannen, fordern inzwischen nur noch die härtesten Moralwächter. Um so bedauerlicher mutet es an, daß er seinen Wiedereinstieg in den heimischen Profibetrieb zumindest im Vorprogramm schon vermasselt hat. Wer weiß, wie akribisch der Vorarbeiter und Motivator Daum auf dem Trainingsplatz und im Stadion bei seiner Sache sein kann, wundert sich immer wieder über die Kollateralschäden, die dieser allzu geltungssüchtige Mann hinterläßt.“

Neues Drehbuch

Oliver Trust (FAZ) befaßt sich mit dem Höhenflug des Karlsruher SC: „Karlsruhe ist nicht die große weite Welt, es ist gemütlich und überschaubar. Darin, so sagen viele im Klub, liege die große Stärke. Wo andere im Fußballzirkus mit kosmopolitischem Flair hausieren gehen, pflegt man hier Gemeinschaftsgefühl und familiäre Atmosphäre. Im Mai 2005 wäre der KSC fast abgestiegen. Aus Liga zwei. Lange stand nicht fest, wo der Klub landen würde. Der Absturz ins Amateurlager drohte, und die Posse um Reinhold Fanz bestimmte die Schlagzeilen. Der sollte Trainer werden, der Hauptsponsor legte ein Veto ein, und der Klub gab nach. Man hatte übersehen, daß Fanz und der Chef des Sponsors tief zerstritten waren und den Streit gar vor Gericht austrugen. Zoff hatte in Karlsruhe damals fast Tradition. Manche träumten noch von den Hoch-Zeiten im Uefa-Pokal unter Winfried Schäfer, als längst das meiste in Scherben lag. Eifersüchteleien in der Vorstandsetage und ein Klub in Schieflage. Seit rund zwei Jahren ist in Karlsruhe vieles wieder anders geworden. Kein Mitarbeiter der Geschäftsstelle muß mehr Angst haben, seinen Job zu verlieren, weil der Klub sportlich und wirtschaftlich in gefährliche Regionen abdriftet. Im Gegenteil, im neuen Drehbuch des Tabellenführers aus Baden steht der Aufstieg ins Fußballoberhaus.“

Ende des Nachwuchswegs

Marco Carini (taz) kommentiert die Entlassung des Trainers Andreas Bergmann in St. Pauli: „Für sportlichen Mißerfolg muß auch die sportliche Leitung in die Verantwortung genommen werden. Auch Sportdirektor Holger Stanislawski, dem viele Kenner des Vereins eine semiprofessionelle Ausübung seines Amts attestieren. Daß Stanislawski, dessen Aufgabe etwa die Personalplanung des Teams ist, sich bisher der Diskussion um sportliche Mißstände permanent entziehen konnte, zeigt: Er ist ein Medienfuchs. Es zeigt nicht, daß der Verein in alle Richtungen blickt, wenn es darum geht, die sportliche Krise zu analysieren. Mit Bergmanns Entlassung beendet der FC den eingeschlagenen Weg, mit einem Trainer, der vor allem auf Nachwuchs setzt, eine kontinuierliche Entwicklung anzustreben. Nun muß sich Stanislawski beweisen: Als Manager oder als Trainer.“

taz: Die Innenminister wollen mehr Sicherheitsfußball – die Amateur-Oberligen sollen stärker überwacht werden

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