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Am Grünen Tisch

Größenwahn

Oliver Fritsch | Freitag, 1. Juni 2007 Kommentare deaktiviert für Größenwahn

Betrug und Bestechung sind dem wieder„gewählt“en Fifa-Präsidenten Joseph Blatter nicht nachzuweisen, folglich machen sich die Journalisten über die Esoterik des „Sonnengöttli“ (Financial Times) lustig

Peter B. Birrer (NZZ) hält der Einstimmigkeit, mit der Blatter wiedergewählt worden ist, das Votum der Fans entgegen: „Unter sich läßt es sich derzeit in Eintracht leben. Doch seit der WM in Deutschland ist es keine Vermutung mehr, daß der Weltfußballverband und dessen Präsident außerhalb ihres Zirkels um Sympathien kämpfen. Zumindest in der 1. Welt besteht ein Image-Schaden, was schrille Pfiffe gegen Blatter in den WM-Stadien verdeutlichten. Um Blatter und die Fifa ranken sich Geschichten der Macht- und Männerspiele, der Korruption, des Geldes, der Entwicklungshilfe, der Kumpanei, der Winkelzüge, des Verrats, des Vertragsbruchs.“ Robert Ide (Tagesspiegel) ergänzt sarkastisch: „Blatter ist der richtige Mann am richtigen Ort. Ein Mann mit brutalem Willen zur Macht, ein Mann mit gnadenlosem Sinn fürs Geschäft, ja, auch ein Mann mit dem Blick fürs globale Ganze. Wer kann die Fifa, die Millionen verdient und wie eine Weltfirma residiert, aber kostengünstig als kleiner Verein eingetragen ist, also besser repräsentieren als Blatter? Bei aller berechtigten und immer wieder nötigen Kritik am halbseidenen Gebaren des Fußball-Weltverbandes muß man feststellen: eigentlich keiner. Ohne Blatter wäre die Fifa ärmer. An Einfluß. An Geld. An Skandalen.“

Roland Zorn (FAZ) versucht, Blatters große Töne zu deuten: „Die Krönungsmesse für Blatter gab dem jahrelang vor allem ob seines Trickreichtums und seiner Hemdsärmeligkeit gerühmten oder gefürchteten Dynamiker mit dem rundlichen Profil des Lebens- und Machtgenießers endlich die Gelegenheit, die Niederungen auch des höchsten Funktionärsdaseins zu verlassen. Der gegen Widerstand und Opponenten mit harten Bandagen kämpfende Blatter, der davon träumen soll, eines Tages mit dem Friedensnobelpreis dekoriert zu werden, durfte endlich die Boxhandschuhe abstreifen und seine globalen Sehnsüchte artikulieren.“ Auch Jens Weinreich (Berliner Zeitung) befaßt sich mit Blatters Esoterik: „Bisher hat die Fifa zu den Themen Korruption oder dem Einfluß von Finanzinvestoren keine überzeugenden Antworten gegeben. Da bleibt zu vieles vage, zu wenige Informationen sind nachprüfbar. Doch die Fifa-Karawane zieht längst weiter. Man hat sich einen neuen Slogan (‚For the Game. For the World‘) gegeben und gibt nun ganz offiziell den Weltverbesserer. Man darf das ruhig Größenwahn nennen. Nüchternheit wird nicht mehr dominieren in der Fifa, so lange Joseph Blatter den Ton angibt.“

Thomas Kistner (SZ) erkennt in Blatter eine Art Adenoid Hynkel light, als er den Vorgang der Wahl beschreibt: „Wie so was abläuft? Raus mit dem Sepp vor die Tür. Der argentinische Finanzminister Julio Grondona stapft ans Rednerpult und gibt etwas umständlich bekannt, daß es nur einen Kandidaten gibt: den vor der Tür. Wolle mer‘n reinlasse? Donnernder Applaus, Fanfaren schmettern, die Klatschenden erheben sich, herein spaziert der kleine Fußballcäsar, busselt ein Kind ab, das Applausometer in der Halle kurz vorm Platzen, der Sepp reckt triumphierend Blumen in die Höhe und klappert dann seine Lieben auf dem Podium ab, schwerer atmend, schüttelt jedem – ‚merci, thank you, gracias‘ – die Hand. Da: Ein Bub eilt herbei und gibt ihm einen Globus! Die Inszenierung erreicht chaplineske Höhe – aber halt, stopp: Der Sepp läßt den Globus dann doch nicht über Kopf, Hüfte, Gesäß und Spann wandern, er gibt ihn weiter und eilt lieber zum Rednerpult.“ Ralf Köttker (Welt) resigniert in Anbetracht der Konkurrenzlosigkeit Blatters: „Die Fußball-Welt hatte keine Wahl.“

BLZ: Joseph Blatter tritt nach seiner Wiederwahl als Weltverbesserer auf

Gott sei Dank, er steht wieder

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