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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

DFB-Pokal

Deftig provinzielle Dienstreisen

Oliver Fritsch | Sonntag, 5. August 2007 Kommentare deaktiviert für Deftig provinzielle Dienstreisen

Deftig provinziell ging es bei den Dienstreisen der Profivereine über Land zu

Ein paar Pressestimmen zur ersten Pokalrunde, also zu Stuttgarts roten Karten, zur Bremer Schwäche und zu den Schwierigkeiten der Berliner samt ihres neuen Trainers

Mieses Spiel

Ingo Durstewitz (FR) schreibt angewidert über das unfaire Spiel des VfB Stuttgart, 2:0-Sieger in Wehen: „Der Titelträger muss höllisch aufpassen, nicht seinen hervorragenden Ruf zu ramponieren. Der VfB ist drauf und dran, die sportlich erworbenen Sympathien zu verspielen – durch bösartige und mitunter heimtückische Attacken auf die Gegenspieler. Am Samstag machten die Stuttgarter exakt da weiter, wo sie im Mai aufgehört haben: mit schäbigen Attacken auf des Gegners Unversehrtheit. Sie präsentierten sich eines deutschen Meisters unwürdig. (…) Dass die Schwaben die Partie noch durch einen geschenkten Elfer gewannen, macht das miese Spiel fast unerträglich.“

Wie vorsichtig eine Regionalzeitung mit diesem kritischen Thema umgeht, entnehmen wir den Sätzen Mathias Schneiders (Stuttgarter Zeitung): „Dass der VfB sich zwei Undiszipliniertheiten durch Gledson und in abgeschwächter Form durch Meira leistete, beide mit Rot geahndet, dürfte Armin Veh nicht entgangen sein.“ Nee, ich glaub auch, dass er das mitbekommen hat.

Und auch seine Ausführungen über die Stuttgarter Spielbewertungen klingen so behutsam, als wollte es sich hier einer mit einem anderen nicht verscheißen: „Nun hat sich der VfB im Vorjahr nicht fehlender Selbstkritik verdächtig gemacht, so dass sich spontan die Frage aufdrängt, was einen ganzen Verein dazu drängt, einem auch bei Hinzunahme aller entlastenden Faktoren unterdurchschnittlichen Vortrag mit Emphase zu preisen, als hätte der Meister ein Signal an die Konkurrenz gesendet. Der zwischenzeitliche Ersatzkapitän Roberto Hilbert verstieg sich am Ende gar noch zu der Einschätzung, sie hätten doch ’super gestanden. Wir waren sehr kompakt. Wir müssen uns im Großen und Ganzen gar nichts vorwerfen‘. Bedenkt man, dass Wehens Simac beim Stand von 0:0 im Fünfmeterraum völlig frei zum Kopfball kam, der Stürmer Atem nach dem 1:0 für den Außenseiter allein dem Gehäuse Raphael Schäfers zustrebte, erschließt sich Außenstehenden nicht, auf welcher Grundlage Hilberts Einschätzung ruht.“ Man könnte also auch schreiben: Die Stuttgarter haben schlecht und foul gespielt und wollten am Ende nicht mal dazu stehen.

Fußball ist Ergebnissport

Ralf Wiegand (SZ) denkt angesichts des mageren 1:0-Siegs Werder Bremens gegen Eintracht Braunschweig über die besonderen Umstände der ersten Pokalrunde nach: „Die erste Runde erwischt die Profiklubs in einem seltsamen Zwischenstadium. Es ist nicht mehr ganz Vorbereitung, aber auch noch nicht richtig Saison. Entsprechend unrund greifen die Mechanismen einer auf Präzision getrimmten Fußballmannschaft ineinander, besonders bei einem prinzipiell technisch so versierten Ensemble wie Werder Bremen. Das wirklich Erstaunliche an solchen Pokalspielen ist ja nicht, dass eine kleine Mannschaft, wie sie Eintracht Braunschweig trotz aller Tradition heute ist, sich zu Leistungen aufschwingen kann, die niemand jemals in ihr vermutet hätte. Viel erstaunlicher ist, wie es international erfahrenen Profiteams gelingt, bei solchen Gelegenheiten die untere Grenze ihres Leistungsvermögens immer noch tiefer zu setzen. Wie Radrennfahrer, die das Stehen trainieren, ergaben sich die Bremer nach einer schwachen ersten Halbzeit in einer noch schwächeren zweiten dem Schicksal, an der Hamburger Straße zu Braunschweig abgeschossen zu werden. (…) Zum Glück für die Bremer ist Fußball ein reiner Ergebnissport, weswegen die Bilanz trotz einer beschämenden Leistung um Längen besser ausfällt als in der vergangenen Saison.“

Trainer ohne Elf

Christof Kneer (SZ) nimmt das 3:0 der Hertha in Unterhaching zum Anlass, darüber nachzudenken, wie lange es mit dem neuen Trainer gutgehen kann: „Ein paar Wochen erst ist Lucien Favre in Berlin, und schon hat er den Tonfall in der Stadt völlig verändert. Favre spricht wie ein moderner Sportlehrer, und es hat einen gewissen Charme, dass sich die Hertha den Ideen eines Trainers ausliefern möchte, der erkennbar einen Plan vom Spiel hat. Allerdings gilt es erst noch herauszufinden, ob sich die laute, fordernde Hauptstadt von einem leisen, fordernden Schweizer den Fußball erklären lassen möchte. Die Klubverantwortlichen scheinen einstweilen fest dazu entschlossen, ihnen bleibt auch nichts anderes übrig – sie wollten einen Taktiker mit Mut zum Tabubruch, und jetzt haben sie ihn. Favre ist außen Löw und innen Klinsmann. Er ist ein verbindlicher Mensch und ein knallharter Aufräumer. Als einer der ersten Amtshandlungen hat er eine Liste jener Spieler vorgelegt, die nicht zu seiner Idee von Fußball passen. So radikal hat sich Manager Dieter Hoeneß seinen Reformer aber doch nicht vorgestellt, offenbar hat es hinter den Kulissen erste Grundsatzdebatten gegeben. (…) Favre ist ein Trainer ohne Elf, das ist eine Woche vor Saisonstart keine beruhigende Nachricht.“

Kontrast zur Hochglanzwelt

Wenn Roland Zorn (FAZ) über Fußball schreibt, wird’s einem meist feucht um die Augen. In seinem Pokal-Kommentar schreibt der Romantiker: „Ehe vom kommenden Wochenende an wieder von den teuren Stars, den Millionen-Klubs, dem Luxusgut Bundesliga die Rede sein wird, hat die Expedition zurück an die Basis des Fußballs gutgetan. DFB-Pokal, erste Hauptrunde, das heißt alle Jahre wieder auch: Bühne frei für veraltete Stadien ohne Chic, aber mit Charme; großer Auftritt für Spieler ohne Rang, aber mit Eintagesruhm; Blick zurück nach vorn auf Traditionsvereine mit erstklassiger Vergangenheit und drittklassiger Gegenwart. Angenehm bodenständig, deftig provinziell ging es bei den Dienstreisen der Profivereine über Land zu. Der Kontrast zur Hochglanzwelt der wie eine geschlossene Gesellschaft anmutenden Bundesliga hätte nicht augenfälliger präsentiert werden können.“

Der FAZ entnehmen wir das Zitat des Tages: Heiko Bonan, Trainer des Drittligisten RW Essen, sei nach dem Erfolg gegen Energie Cottbus gefragt worden, ob dies der größte Erfolg in seiner Trainerkarriere gewesen sei. Darauf Bonan: „Meine Trainerkarriere ist heute gerettet worden – für eine Woche.“ Treffer!

SZ: St. Paulis Vorliebe für Gegner mit B: Das 1:0 gegen Bayer Leverkusen setzt eine Reihe von schönen Pokalsiegen fort

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