indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Wer Deutscher sein will, darf seinem alten Leben nicht nachweinen

Oliver Fritsch | Mittwoch, 10. Oktober 2007 Kommentare deaktiviert für Wer Deutscher sein will, darf seinem alten Leben nicht nachweinen

Die Weigerung Ashkan Dejagahs, in Israel für Deutschland anzutreten, wird zum Politikum – Kritik und Beruhigungsversuche in der Presse

Ludger Schulze (SZ) besänftigt die Debatte, auf das Alter und die mögliche Unbedachtsamkeit Dejagahs hinweisend: „Der Beschluss eines 21-Jährigen hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, bis hin zu der Forderung der Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, den jungen Mann aus der Nationalmannschaft auszuschließen. Diese Forderung ist apodiktisch, populistisch und überzogen. Denn sie berücksichtigt in keiner Weise die persönlichen Beweggründe Dejagahs. Die iranische Führung ist ein erklärter Todfeind Israels und die Staatsdoktrin verbietet jedweden Kontakt mit dem verhassten Land. Reisen nach Israel sind in Iran per Gesetz untersagt, und man braucht wenig Phantasie, um sich vorzustellen, was geschehen könnte, wenn sich Dejagah diesem Verdikt widersetzten würde. In Teheran lebende Familienmitglieder hätten mit Sanktionen, möglicherweise mit Gefahr für Leib und Leben zu rechnen, der junge Mann jedenfalls könnte sich vermutlich zeitlebens nicht mehr in seiner alten Heimat sehen lassen. (…) Natürlich muss sein Verband dafür Sorge tragen, dass seine Spieler als Repräsentanten des Landes die grundsätzlichen Werte und Ziele der Nation teilen. Er sollte bei der Neubewertung aber nicht reflexhaft in den Chor jener einfallen, die unerbittliche Konsequenzen für Dejagah fordern. Auf die Schultern eines 21-jährigen Fußballers die Last der Weltpolitik zu packen, wäre ganz einfach in hohem Maß unfair.“

Robert Ide (Tagesspiegel) kritisiert Dejagah unerbittlich: „Sein Verhalten ist ein falsches politisches Statement – ob er das beabsichtigt hat oder nicht. Sport soll verbinden, nicht trennen. Nur so kann er manchmal etwas in einem guten Sinne bewirken: Frieden stiften. Bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking wollen Nord- und Südkorea mit einer gemeinsamen Mannschaft antreten, vor einigen Jahren schon spielten der Pakistani Aisam-Ul-Haq Qureshi und der Israeli Amir Hadad in Wimbledon ein jüdisch-muslimisches Tennisdoppel. Dejagah dagegen setzt ein Zeichen der Trennung. Seine abgesagte Reise kann nur als Ablehnung des Staates Israel verstanden werden – und dürfte vom iranischen Regime als solche gefeiert werden.“

Fehlende Weitsicht

Volk ohne Raumdeckung stört sich an dem Reflexartigen vieler Wortbeiträge aus der Politik: „Was vor allem irritiert, ist die allzu große Bereitwilligkeit, Dejagahs ‚private Gründe‘ sofort für antiisraelisch oder antisemitisch zu erklären, ohne etwas Genaues zu wissen. Und wären ‚politische Gründe‘ falsche Gründe? Es ist schön, dass man Dejagah mitteilt, für seinen und den Schutz seiner Eltern werde in Deutschland gesorgt. Das Mykonos-Attentat ist ja auch schon fünfzehn Jahre her. Den ermordeten kurdischen Exilpolitikern hat man vorher sicher keine Versprechungen über ihre Sicherheit gemacht, die dann nicht eingehalten werden konnten. Was mit den Verwandten oder Freunden Dejagahs geschehen könnte, die noch im Iran leben, scheint überhaupt keine Rolle zu spielen. Wer Deutscher sein will, darf seinem alten Leben nicht nachweinen. (…) Der Ruf nach dem Ausschluss von Dejagah hat etwas von die Achselstücke von der Uniform reißen. National unzuverlässig, lautet das Verdikt. Etwas mehr Gelassenheit und Respekt vor den Schwierigkeiten einer Immigrantenbiographie würden die Diskussion nicht zu einem Kesseltreiben werden lassen.“

Ronny Blaschke (Berliner Zeitung) wirft dem DFB Versäumnisse und Schlafmützigkeit vor: „Wenn man dem DFB einen Vorwurf machen kann, ist es fehlende Weitsicht, schließlich liegen zwischen Nominierung, Abreise und Spiel mehrere Tage. Der Verband hat einen Sicherheitsausschuss, eine Task Force gegen Gewalt und Rassismus, eine Integrationsbeauftragte und viele Experten in seinem Beraterstab. Er hätte auf das Szenario und den öffentlichen Druck besser vorbereitet sein müssen, zumal es ähnliche Fälle oft gegeben hat.“

Tsp: Die Weigerung von Ashkan Dejagah, in Israel zu spielen, hat sich zu einem Politikum entwickelt; der Zentralrat der Juden fordert den Rauswurf des Spielers, der DFB muss sich mit der Politik auseinandersetzen
Portrait Dejagah (sueddeutsche.de)

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

110 queries. 0,575 seconds.