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Wie ein vom Provinzfürsten geführter Dorfverein

Oliver Fritsch | Montag, 26. Mai 2008 Kommentare deaktiviert für Wie ein vom Provinzfürsten geführter Dorfverein

Avram Grant ist in Chelsea gefeuert worden – die deutschsprachige Presse kritisiert dies, besonders den Stil

Christian Eichler (FAZ) kommentiert, zwei Perspektiven abwägend, die Entlassung Avram Grants in Chelsea: „Das passt einerseits zu der ‚Daumen runter’-Mentalität im ‚Roman Empire’ des russischen Milliardärs. Andererseits bleibt fraglich, ob Grant nur ein verpasster Titel den Job kostete; ob es also der Fuß von John Terry war, der Grant den letzten Tritt gab. Mehr und mehr scheint es, als ob die Entscheidung, einen neuen Trainer mit größerem Renommee zu suchen, schon lange vor dem unglücklichen Ende der Saison gefallen war. Auch wenn er gewann, konnte Grant nicht gewinnen – ein Paradoxon, wie es die Medien- und Milliardärswelt des heutigen Fußballs erzeugt. Wenn es lief, war es immer noch das Team des brillanten Mourinho; wenn nicht, war es der dröge Nachfolger, der alles vermasselte. Fans und Medien behandelten Grant wie eine Übergangslösung, die Profis sowieso. Sie bemängelten Trainingsmethoden ‚wie vor 25 Jahren’. Es wurde kolportiert, bei Grants Motivationsreden spielten sie Karten. Laut Didier Drogba hat das Team irgendwann ‚auf Autopilot’ geschaltet. Es ignorierte also angeblich den Coach und spielte mit dem System und dem Selbstvertrauen, die es unter Mourinho verinnerlicht hatte, weiter. Aber letztlich, weil Chelsea ein absolutistisch geführter Klub ist, war es natürlich Abramowitsch allein, der entschied.“

Könnte Grants Vorgänger auch sein Nachfolger werden? Eichler hat ein Indiz gefunden: „Bekannt wurde nun, dass Abramowitsch Mourinho fünf Monate nach der Trennung ein Geschenk mit einem Marktwert von über zwei Millionen Pfund gemacht hat, einen von nur sechzig produzierten Ferrari 612 Scaglietti aus Anlass des 60-jährigen Ferrari-Jubiläums. Das kann man leicht so interpretieren, dass der Chelsea-Boss da schon auf Nachfolger-Suche für Grant war und dazu die diplomatischen Beziehungen mit Mourinho wiederaufnehmen wollte mit Hilfe des kleinen knallroten Präsents. Nun sehen einige englische Buchmacher den Portugiesen schon als einen der Mitfavoriten für den Chelsea-Job – hinter den üblichen Verdächtigen wie Rijkaard, Mancini, Hiddink.“

Barbara Klimke (Berliner Zeitung) rügt die Vereinsführung Chelseas: „Auf dem Heimflug wurde ihm ein Platz im hinteren Teil der Maschine zugewiesen. Zwei Tage später war er bereits entlassen. Der FC Chelsea mag ein millionenschweres Unternehmen sein. Was den Stil des Umgangs mit einem vermeintlich erfolglosen Trainer betrifft, aber handelt auch dieser Klub wie ein beliebiger vom Provinzfürsten geführte Dorfverein. Nicht John Terry also wurde die Finalniederlage gegen Manchester United angekreidet. Sondern dem Trainer. Er hatte Chelsea erstmals in der Vereinsgeschichte in ein Champions-League-Endspiel geführt. Aber einem Ziel so nahe zu kommen wie keiner vor ihm, ist für Chelseas Eigentümer keine Leistung, von der ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung abzuleiten wäre. Der FC Chelsea bleibt ein Klub, den das schnelle Geld regiert, nicht die langwierige Arbeit; das vor allem ist der Unterschied zu Manchester United, wo Alex Ferguson seit zweiundzwanzig Jahren wirken kann und nicht bei jeder Krise sofort in Frage gestellt wird.“

Hanspeter Künzler (Neue Zürcher Zeitung) schreibt zu dem Thema: „Die Statistik zeigt, dass Grant in der Premier League mindestens so erfolgreich gearbeitet hat wie zuletzt Mourinho. In den ersten sechs Premier-League-Spielen der Saison hatte Chelsea unter Mourinho sieben Punkte eingebüsst; am Schluss lagen die Londoner lediglich zwei Punkte hinter dem Meister Manchester United. Gegen Grant sprach – neben seinem bärbeißigen Auftreten – wohl in erster Linie, dass auch unter ihm der attraktive Fußball ausblieb, den bereits Mourinho selten geboten hatte. Ferner wurde Grant stets ein Mangel an taktischem Weitblick und Motivationskraft vorgeworfen. Dennoch gilt er schon als Kandidat, bei Manchester City Sven-Göran Eriksson zu ersetzen.“

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