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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Unschuld bewahrt

Oliver Fritsch | Samstag, 7. Juni 2008 Kommentare deaktiviert für Unschuld bewahrt

Jörg Hahn (FAZ) schwelgt über die einzigartige Anziehungsmagie des Fußballs: „Es gehört zum Phänomen Fußball, dass diesem Sport offenbar nichts wirklich etwas anhaben kann: Er hat nahezu unbeschadet Zeiten der Gewalt, der Intoleranz und des bedrohlichen Nationalismus überstanden; Korruption und Betrug haben ihn nicht dauerhaft erschüttern können; und er verkraftet bislang die wachsende Zahl milliardenschwerer Investoren, die nicht nur im britischen Fußball die Spielpläne am liebsten ganz nach ihrem Gusto und ohne Rücksicht auf liebgewonnene und für das Wesen des Fußballs wichtige Gewohnheiten und Rituale der Fans gestalten würden. Das Spiel hat erstaunlicherweise seine Unschuld nicht verloren. Mit jedem Anpfiff geben sich die Besucher in den Stadien und die Zuschauer am Fernseher immer wieder aufs Neue dem Glauben an das faire Spiel und den unwägbaren Ausgang hin. Das unterscheidet Fußball von anderen Sportarten und die großen Fußballturniere von den Olympischen Spielen. Das Spiel Fußball, das im Regelfall wie ein abendfüllender Spielfilm neunzig Minuten dauert und eine Fernseh-Bearbeitung mit ausufernder Vor- und Nachbereitung wirklich nicht brauchte, hat eine Faszination, die andere Disziplinen zwar auch marktschreierisch für sich beanspruchen, die sie aber am Ende nicht bieten können. Die dichte Emotionalität, das ständige Überraschungspotential, die schnell wechselnde Dramaturgie des Fußballs kann man nicht herbeireden.“

Pop wie Monarchien

Gustav Seibt (SZ) sinniert verträumt über das Spielerische im Fußball: „Hätte man nicht das ganze 20. Jahrhundert mit seinem Völkerhass und seinen Toten überspringen und den Kampf der Nationen gleich als Spiel auf den Rasen verlegen können? Im Fußball und seinem Fanwesen hat der Nationalismus dieses ganze mörderische Jahrhundert überlebt, alle seine politischen Hoffnungen und seine totalitären Ideologien, selbst den Kommunismus, der angetreten war, gerade ihn, den exklusiven Glauben der Nationen an sich selbst, zu überwinden. Er lebt weiter an jedem Auto, auf dem ein Fähnchen im Fahrtwind flattert, in geschminkten Gesichtern und farbigen Perücken. Die Massen in den Stadien singen immer noch die Hymnen des 19. Jahrhunderts. Aber all das kommt nun als Spiel daher, locker und wuselig, nicht martialisch in Reih und Glied. Der Nationalismus ist im Fußball aus einer todernsten Sache zu einem gesunkenen Kulturgut früherer Zeiten geworden, zur Folklore, ja zu Pop, an dem auch die Intellektuellen gern teilnehmen. Dieses Schicksal teilt er nicht zufällig mit den Monarchien, die ihre einstigen politischen Aufgaben fast vollständig verloren haben, aber doch zentrale Gegenstände der Massenkommunikation geblieben sind.“

Zwei Mini-EMs mit halbiertem Wettbewerbsgedanken

Christof Kneer (SZ) durchdringt den reformierten Spielplan und erörtert Für und Wider: „Zum ersten Mal in der EM-Geschichte hält die Uefa zwei Turnierhälften so strikt voneinander getrennt, dass sie sich erst im Finale begegnen können. Im Grunde beginnen jetzt zwei getrennte Mini-EMs, die erst im Finale zu einem gemeinsamen Turnier zusammengeführt werden, und praktischerweise hat die Uefa ein einleuchtendes Argument gefunden für dieses seltsam kreative Tableau: Bei der EM 2004 wurden die beiden Halbfinalspiele von Teams gewonnen (Portugal, Griechenland), die je zwei Tage mehr Pause hatten als die Verlierer (Holland, Tschechien) – in der Tat eine Art Wettbewerbsverzerrung, die diesmal ausgeschlossen ist. Diesmal aber steckt die Wettbewerbsverzerrung in einem viel zentraleren Bereich des Spielplans, sie berührt den Kern des Turniergedankens, wonach sich idealerweise die beiden besten Teams im Finale treffen sollten. Diesmal aber steht schon vor dem ersten Anpfiff fest, dass eine Elf aus den Gruppen A/B und eine Elf aus den Gruppen C/D das Endspiel bestreiten. Es gibt für jedes Team nicht mehr fünfzehn Gegneroptionen, sondern nur noch acht – der Wettbewerbsgedanke wird sozusagen halbiert. Es liegt im natürlichen Interesse des ausrichtenden Verbandes, die Gastgeberteams so lange wie möglich im Rennen zu halten, und so verrät sich der wahre Kern dieser stillen Reform beim Blick auf die Setzlisten. Die Schweiz und Österreich wurden ja als Gruppenköpfe in die Nachbargruppen A und B platziert – sie haben ihre eigene Mini-EM mit acht Teams spendiert bekommen, was die Chancen erhöht, dass einer von beiden zumindest so weit durchkommt, dass es die Stimmung in den Ländern nicht belastet.“

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