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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

EM 2008

Sehr hübsch und erfolgreich

Oliver Fritsch | Dienstag, 10. Juni 2008 Kommentare deaktiviert für Sehr hübsch und erfolgreich

Ronald Reng (SZ) gesteht Portugal beim 2:0 gegen die Türken eine starke Leistung zu, empfiehlt aber weniger Theatralik: „Im Gesicht von Cristiano Ronaldo sieht jedes Fußballspiel hochdramatisch aus. Er kennt, wenn er im Flutlicht steht, keine zurückhaltenden Gesten. Nach jedem banalen Fehlschuss schlägt er die Hände vor das Gesicht und hebt sein verdecktes Antlitz leidend zum Himmel. Nach jedem profanen Foul lässt er aus den offenen Augen und Mund Entrüstung sprechen. Nach dem Schlusspfiff sank er langsam auf die Knie, streckte noch langsamer die Arme mit den Fäusten in die Luft, schloss die Augen und gefror für eine Ewigkeit zum Denkmal des triumphierenden Sportlers. Wie will er erst entscheidende Siege bei dieser EM feiern? Der ausufernde Rummel vor der EM um den meist beobachteten Fußballer der Welt hatte die Sehnsucht der Massen entfacht, ihn nun endlich spielen zu sehen, und wer mit dem Enthusiasmus hinsah, jedes außergewöhnliche Detail von ihm aufzusaugen, wurde nicht enttäuscht. Ronaldo und Portugal zeigten ein munteres Auftaktspiel. Die großen Gesten, die das Spiel Ronaldo entlockte, und den Hype, der nach einem einzigen gelungenen Auftritt bei solchen Turnieren jedes Mal ausbricht, kann man sich allerdings sparen.“

Christian Eichler (FAZ) korrigiert ein Portugal-Klischee: „Gern wird Portugal als Lustmannschaft wahrgenommen, als Team, das einen fast schon altmodisch schönen Pass- und Kombinationsfußball spielt. Und das sich einen Mann wie Deco leisten kann, der oft wie ein Regisseur wirkt, den eine Zeitmaschine aus den siebziger Jahren ausgespuckt hat: beinahe behäbig, aber immer mit Zeit am Ball und mit weiträumigen Pässen aus dem Stand, wie sie sonst kaum einer spielt; offensiv überraschend, aber defensiv so lahm, dass er mehrfach, als ihn ein Gegenspieler überlief, wie ein Verkehrspolizist seine Hintermänner herbeiwinkte, diesen Mann zu übernehmen. Die Partystimmung hat die Portugiesen, anders als die Brasilianer bei der letzten WM, nicht die Konzentration gekostet. Dafür bürgt der No-Nonsense-Trainer Scolari, dessen Teams immer Biss haben. (…) Sehr hübsch, das Ganze. Die Türkei ließ sich mit schönem Fußball besiegen. Aber es wird Gegner geben bei diesem Turnier, gegen die man schmucklos spielen muss oder gar hässlich, so wie es die Portugiesen bei der ‚Schlacht von Nürnberg’, dem 1:0 gegen die Niederlande im WM-Achtelfinale, in extremer Weise taten. Scolari hatte schon bei seinem nüchternen WM-Sieg mit Brasilien 2002 gezeigt, dass er ein knallharter Ergebnisdenker ist.“

Stephan Ramming (Neue Zürcher Zeitung) lobt Ronaldo: „Die Probleme in der türkischen Mannschaft wurden vor allem deshalb offenkundig, weil ihr ein starkes Team gegenüberstand. Zwei Tore, drei Treffer ans Gehäuse: Allein diese Bilanz sagt viel. Aber nicht alles: Die Innenverteidigung mit Pepe und dem magistralen Carvalho leistete sich ebenso keinen Fehler wie die auch in der Vorwärtsbewegung starken Außenbacks Bosingwa und Ferreira; Nuno Gomes opferte sich in der Spitze auf, und das Mittelfeld wuchs unter der Regie des zuletzt in Barcelona formschwachen Deco zu einer gut geölten Kombinationsmaschine zusammen. Auch Portugals Ausnahmekönner Ronaldo enttäuschte nicht: Hielt er sich anfänglich zurück, nutzte er in der zweiten Hälfte geschickt die größer werdenden Räume. So leitete er beide Tore mit klugen Pässen ein. Zuletzt schien es, als hätte er sich vom großen Druck freigespielt, der auf seinen Schultern als designierter Top-Spieler dieser Euro lastet. Das Publikum dankte ihm die Vorstellung mit frenetischem Applaus.“

Hoffnungen auf Eis gelegt

Daniel Theweleit (taz) leidet, weil die Schweiz leidet: „Genau 43 Minuten hat es gedauert, da hatte diese Europameisterschaft eines jener berühmten Bilder, die hängen bleiben von solchen Ereignissen. Bei der WM 2002 saß der fassungslose Oliver Kahn nach verlorenem Finale, 2006 war es Zidanes Kopfstoß, nun präsentierte die traurige Schweiz der Welt ihren weinenden Alexander Frei. Er ist das Symbol dieses ersten EM-Tages. Und vielleicht wird es sogar zum Symbol dieses Schweizer Fußballsommers. Die 0:1-Niederlage hat die nunmehr über Jahre gepflegten Hoffnungen auf eine Kopie des deutschen Euphoriesommers von 2006 bis auf weiteres auf Eis gelegt. Intensiv war dieser Tag in Basel auf jeden Fall, und damit diente er wenigstens als Gegengewicht zu dem skeptischen Bild, das in den Tagen und Wochen vor Turnierstart gezeichnet worden war. Nein, feiern können die Schweizer. Es fehlt ihnen einzig am deutschen Glück und an Fußballern von europäischem Spitzenniveau.“

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