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Am Grünen Tisch

Versuchung

Oliver Fritsch | Dienstag, 17. Juni 2008 Kommentare deaktiviert für Versuchung

Christian Eichler (FAZ) beklagt den Turniermodus, der Frankreich und Italien, aber auch Holland (und eigentlich auch Rumänien) in eine missliche Lage bringe: „Natürlich macht das Zittern und Zagen strauchelnder Favoriten einen der Reize eines solchen Turniers aus. Doch sollte das Scheitern (oder die Angst davor) immer auf einer rein sportlichen Ebene passieren, unter gleichen Voraussetzungen für alle. In dieser Hinsicht hat die Uefa einen Rückschritt gemacht. Denn die beiden Tableau-Hälften der EM sind, wie bei einem großen Tennisturnier, wo ein Federer und ein Nadal sich erst im Finale begegnen können, strikt separiert. Anders als bei früheren Fußballturnieren gibt es keine Kreuzungen der verschiedenen Wege Richtung Finale mehr, mit allen möglichen Kombinationen, sondern nur noch eine gradlinige, trichterförmige Verengung der Pfade bis zum Endspiel. Das sollte Ungleichgewichte im Zeitplan austarieren: verhindern, dass in einem Viertel- oder Halbfinale zwei Teams mit unterschiedlichen Ruhezeiten stehen. Doch führt das nicht nur zu einer Beschränkung reizvoller Kombinationsmöglichkeiten. Vor allem ist dieser Modus auch ein Rückschritt für die Wettkampfgerechtigkeit. Er führt dazu, dass ein Team sich bestimmte Gegner durch eine taktische Niederlage zum Abschluss der Vorrunde als mögliche Halbfinalgegner vom Hals halten kann. Dass die Niederländer in diese Versuchung geraten und eine großartige EM mit einem unsportlichen Beiklang versehen könnten, ist Schuld der Turnierplaner. Dass Italiener und Franzosen dabei die Opfer sein könnten, ist ihre eigene Schuld.“

Eine Anmerkung: Das Problem würde sich übrigens auch mit dem gewohnten Modus stellen, wenn auch in etwas anderer Form. Auch dann könnten die Holländer in die Klemme geraten, sich mit einer Niederlage zwei mutmaßlich starke Konkurrenten vom Leib halten zu können.

Partielle Langeweile

Johannes Aumüller (sueddeutsche.de) fordert, den direkten Vergleich zugunsten der Tordifferenz abzuschaffen: „Selten ist ein großes internationales Turnier mit so wenigen offenen Fragen in den letzten Vorrundenspieltag gegangen. Alle vier Gruppensieger stehen schon fest. Auch zwei Gruppenletzte sind schon fix. Einzig bei den zweiten Plätzen gibt es noch ein paar Fragezeichen. Schuld an dieser partiellen Langeweile ist die Uefa-Regel, dass bei Punktgleichheit nicht das Torverhältnis, sondern der direkte Vergleich zählt. Wenn die Trefferdifferenz noch entscheiden würde, müssten zumindest drei der momentan Gruppenersten (bis auf Holland) noch fürchten, diesen ersten Platz noch zu verlieren, auf Position zwei zurückzufallen und in der Runde der letzten Acht einen stärkeren Gegner zu erwischen. Die Zuschauer, die teilweise viel Geld für ein EM-Spiel bezahlt haben, könnten sicher sein, Mannschaften zu sehen, die alles geben. Natürlich schließt kein Reglement der Welt aus, dass eine Mannschaft schon vor dem letzten Spieltag als Gruppensieger feststehen kann. Doch man muss ja nicht gerade Kriterien fürs Weiterkommen entscheiden lassen, die solch eine Situation in besonderem Maß provozieren.“

Zwei Mini-EMs mit halbiertem Wettbewerbsgedanken

Christof Kneer (SZ) durchdringt den reformierten Spielplan und erörtert Für und Wider: „Zum ersten Mal in der EM-Geschichte hält die Uefa zwei Turnierhälften so strikt voneinander getrennt, dass sie sich erst im Finale begegnen können. Im Grunde beginnen jetzt zwei getrennte Mini-EMs, die erst im Finale zu einem gemeinsamen Turnier zusammengeführt werden, und praktischerweise hat die Uefa ein einleuchtendes Argument gefunden für dieses seltsam kreative Tableau: Bei der EM 2004 wurden die beiden Halbfinalspiele von Teams gewonnen (Portugal, Griechenland), die je zwei Tage mehr Pause hatten als die Verlierer (Holland, Tschechien) – in der Tat eine Art Wettbewerbsverzerrung, die diesmal ausgeschlossen ist. Diesmal aber steckt die Wettbewerbsverzerrung in einem viel zentraleren Bereich des Spielplans, sie berührt den Kern des Turniergedankens, wonach sich idealerweise die beiden besten Teams im Finale treffen sollten. Diesmal aber steht schon vor dem ersten Anpfiff fest, dass eine Elf aus den Gruppen A/B und eine Elf aus den Gruppen C/D das Endspiel bestreiten. Es gibt für jedes Team nicht mehr fünfzehn Gegneroptionen, sondern nur noch acht – der Wettbewerbsgedanke wird sozusagen halbiert. Es liegt im natürlichen Interesse des ausrichtenden Verbandes, die Gastgeberteams so lange wie möglich im Rennen zu halten, und so verrät sich der wahre Kern dieser stillen Reform beim Blick auf die Setzlisten. Die Schweiz und Österreich wurden ja als Gruppenköpfe in die Nachbargruppen A und B platziert – sie haben ihre eigene Mini-EM mit acht Teams spendiert bekommen, was die Chancen erhöht, dass einer von beiden zumindest so weit durchkommt, dass es die Stimmung in den Ländern nicht belastet.“

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