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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Am Grünen Tisch

Die vielen Tests sind Geldverschwendung

Oliver Fritsch | Mittwoch, 2. Juli 2008 Kommentare deaktiviert für Die vielen Tests sind Geldverschwendung

Kritik an der angeblich so strengen Anti-Doping-Politik der Uefa / Kritik an der Uefa wegen der Vergabe 2012 / Kritik an dem Uefa-Plan, die EM-Teilnehmerzahl aufzustocken / Lob für die Uefa, weil die Spieler zu politischen Botschaften im Stadion verpflichtete

Doping im Fußball – ein Thema, über das man wenig liest und über das wenig recherchiert wird. Ronny Blaschke (Berliner Zeitung) folgert nach Gesprächen mit Experten, dass die Uefa Alibihandlungen vollzogen hat, indem sie die Zahl der Wettkampftests erhöhte: „Werner Franke hält die Maßnahmen für Geldverschwendung. Diejenigen, die dopen wollten, könnten es auch tun. Seiner Meinung nach ist der Zeitpunkt der Kontrolloffensive falsch gewählt worden, in der Aufbauphase hätte angefangen werden müssen, in der Winterpause. Die EM-Spieler wurden wenige Tage vor dem ersten Anstoß überprüft, das deutsche Team bekam am 30. Mai Besuch von den Kontrolleuren. Danach wurde nur noch nach den Spielen getestet, stichprobenartig. Testosteron oder Epo sind aber höchstens zwei Tage nachweisbar, trotzdem wirken sie lange und intensiv. (…) In der Leichtathletik und im Radsport, den mit am meisten betroffenen Sportarten, wird um ein Vielfaches mehr kontrolliert, aber auch nicht immer mit der gewünschten Aufklärung. (…) Die Anforderungen an das Kraft- und Ausdauervermögen im Fußball sind enorm gestiegen. In den sechziger und siebziger Jahren legten Spieler in neunzig Minuten 4 bis 6 Kilometer zurück, allein im Viertelfinale gegen Holland schafften vier Russen fast 15 Kilometer, allerdings inklusive Verlängerung. Die Höchstgeschwindigkeit vieler Spieler überschreitet inzwischen 30 Stundenkilometer, in verkehrsberuhigten Zonen hätten sie ein Problem mit der Polizei. Alles Zufall? Eine Errungenschaft des Sports? Und das, obwohl die Kicker von Spieltermin zu Spieltermin hetzen? (…) Die Fifa zerstörte lange seine wenigen Dopingproben, wohl wissend, dass diese in einigen Jahren mit moderneren Tests neue Erkenntnisse bringen könnten. Auch der DFB war lange kaum interessiert. Vor kurzem veranstaltete er dann ein Symposium zum Thema, künftig lässt er die Kontrollen von der Nada durchführen, auch die Zahl der Proben wird steigen. ‚Gemessen an früheren Jahren ist die Entwicklung positiv’, sagt Ulrike Spitz, Pressesprecherin der Nada. ‚Aber rundum zufriedenstellend ist sie nicht.’ Dass bei der EM niemand enttarnt wurde, bedeutet nicht, dass niemand gedopt hat.“

Andreas Burkert (SZ) stellt klar: „Immer werde auf den Radsport gezeigt, klagen die Radsportler. Und es stimmt schon: Auf die Puerto-Akten zum Fußball wartet man immerzu vergebens, und die Rüpeleien, die sich etwa vor einem Jahr der Bayern-Torwart Kahn beim Dopingtest leistete und nun, in einem viel gravierenderen Fall inklusive des Ignorierens der Anti-Doping-Regeln durch Verband und Bundestrainer, der Eishockey-Nationalspieler Busch – all diese Vorgänge erreichen selten Skandalwerte. Das hat sicher vielerlei Gründe, und einer von ihnen lautet: So dreist wie das System Radsport heucheln wenige.“

EM in der Schlammlandschaft?

Wo wird das Turnier 2012 stattfinden? In Polen und der Ukraine anscheinend eher nicht. Kommt also doch wieder das kleinere Übel Italien ins Spiel, lobbystark, aber zunächst mit dem Moggi-Handicap belastet, wie Thomas Kistner (SZ) vermutet? „Bis zur Kür 2007 hatten es Italiens sportpolitische Seilschaften geschafft, alle Brocken aus dem Weg zu räumen. Schotten und Iren nahmen Abstand von der Bewerbung wie das Trio Dänemark/Schweden/Norwegen, weil Sondierungen ergaben, dass die Uefa eine Allergie gegen Gemeinschaftskandidaturen hege. Dann stieg Russland aus; Türken und Griechen wurden 2005 per Vorauswahl rausgekegelt – um ‚ganz sicher’ zu gehen, so ein Uefa-Manager, dass Italien die EM kriegt. Ein Witz: Im Ring verblieb nur etwas Kanonenfutter, Polen/Ukraine und Ungarn/Kroatien. Die Spielwiese war gemäht für Italien. Dann entpuppte sich der Calcio als Schlammlandschaft: Spiele waren en gros gekauft worden. Juventus Turin verschwand in Liga zwei, Titel wurden umgewidmet, Krawalle garnierten das Chaos, 48 Referees und Funktionäre wurden angeklagt. Unter den Augen der EU-Politiker konnte es sich die Uefa nicht leisten, ihre EM einer Fußballmafia unbekannter Größenordnung auszuhändigen. Nun hat sich die Szene beruhigt, und Korruption wie Spielbetrug kennt man auch in Polen und der Ukraine. Polens Verband wollte sogar die eigene Regierung das Handwerk legen. Ukraines Verbandsboss Grigorij Surkis war als Klubchef von Dynamo Kiew in einen Bestechungsfall involviert, bei dem es um Pelzmäntel für den Referee ging. Jetzt aber sind die Oligarchen von Kiew in die politische Opposition geraten, sie hissen angeblich schon von sich aus die weiße Fahne: Wir schaffen’s nicht. Also Italien? Da bedürfte es einer Kernsanierung aller Stadien. Aber das käme Platini, Franzose mit nie verleugneten italienischen Wurzeln, von Herzen gelegen.“

taz: Wo 2012 das Turnier stattfinden wird, ist gerade fraglich. In Polen und der Ukraine laufen die Vorbereitungen schleppend. Jetzt rückt die Uefa an

Ramschverfahren

Andreas Lesch (Berliner Zeitung) warnt die Uefa davor, die Teilnehmerzahl an Europameisterschaften aufzustocken: „Die EM in ihrer Kompaktheit zeigt: Klasse schlägt Masse. Wird die Europameisterschaft künftig mit 24 Teams ausgespielt, verliert sie ihre Identität. Sie ist dann eine Art WM, nur ohne den Glanz der Argentinier und Brasilianer und ohne die Exotik, die Mannschaften wie Trinidad & Tobago einbringen. Die Exoten, die Europa zu bieten hat, heißen im Zweifelsfall Schottland, Albanien und Lettland und sind vergleichsweise gewöhnlich. Ihre Teilnahme führte dazu, dass in der Vorrunde täglich drei statt zwei Spiele ausgetragen werden – eine Menge, die kaum zu konsumieren ist. Auch der Modus geriete zum Problem: Es gäbe sechs Vorrundengruppen mit je vier Teams; die Ersten und Zweiten kämen ins Achtelfinale, dazu die vier besten Gruppendritten. Welch spannungsfreie Farce die erste Turnierphase dadurch wird, haben andere Ballsportarten schon leidvoll erfahren. (…) Die EM muss bleiben, wie sie ist.“

Klaus Hoeltzenbein (SZ) ergänzt: „Fraglich wird sein, ob das Turnier eine Verwässerung verkraftet. Der Reiz der aktuellen EM lag auch darin, dass es ein tolerables Niveaugefälle gab, mehr von Mut als von Angst diktierte Spielstrategien sowie kaum Partien mit gesicherter Ergebnisprognose. Wenn aber künftig halb Europa das Startrecht im Ramschverfahren übereignet bekommt, kann aus hartem Wettbewerb zumindest in den Gruppenduellen ein Sichtungsturnier für Fußballzwerge werden. Im Gegensatz zu einer WM, die ihren Anfangsreiz aus der Exotik bezieht.“

BLZ: Michel Platini droht den EM-Veranstaltern 2012, Polen und Ukraine, und will die das Turnier ab 2016 aufstocken

Die Olympier besiegt

Die Uefa verpflichtete die Spielführer der K.o.-Runden-Teilnehmer, im Stadion kurz vor Anpfiff Botschaften für den Einhalt der Menschenrechte vorzulesen; an den Trikotärmeln trugen während des Turniers alle Teams „Respect“-Buttons. Thomas Hahn (SZ) schickt das IOC in den Nachhilfeunterricht: „Nach all den Debatten über die Olympischen Spiele, welche die KP-Diktatur Chinas im August zur Feier ihres neuen Anspruchs als Weltwirtschaftsmacht veranstaltet, ist das ziemlich peinlich gewesen für das IOC. Die Menschenrechtssituation in China ist kritikwürdig, viele Sportler überlegten, wie sie als Olympia-Teilnehmer in Peking ein Zeichen setzen konnten für die allgemeingültigen Werte einer aufgeklärten, freien Gesellschaft. Prompt präzisierte die juristische Kommission des IOC unter Vorsitz Thomas Bachs die Charta-Regel 51.3 so, dass im Grunde gar keine Möglichkeit mehr blieb, irgendwelche Zeichen zu setzen. Ausgerechnet der durchkommerzialisierte Fußball ließ nun Raum für Banner und Bekleidungsgegenstände, die das Publikum sogar als Demonstration verstehen sollte. Mehr noch, er ließ die Sportler politische Reden halten, bevor sie das taten, weshalb auch Fußballfunktionäre sie am meisten schätzen: spielen, um der Unterhaltungsindustrie zu dienen. Und die Schweizer als Gastgeber, die das Problem der Ausländerfeindlichkeit auch kennen, applaudierten einmütig. Es wirkte in diesen Momenten, als könnte der Fußball mehr zu einer besseren und friedvollen Welt beitragen als das IOC, das sein teuer vermarktetes Feuer genau mit diesem Vorsatz durch die Welt tragen lässt.“

Der Schiedsrichter als Gouvernante

Jürgen Kaube (FAZ) ärgert sich über maßregelende Gelbe Karten wegen Trikotausziehen beim Torjubel, Ballaufdotzen und anderen Kleinigkeiten: „Das alles passt nicht zu einem Spiel, das von adrenalinüberfluteten Jugendlichen betrieben wird, von denen man auch genau dies möchte: dass sie lebendig sind, brüllen, Enttäuschung ausdrücken und überschnappen, wenn sie getroffen haben. Grob foulen sollen sie nicht, Schwalben sollen sie unterlassen, und wenn sie ständig Schmerzen simulieren, wünscht man sich einen Schiedsrichter, der dieses Getue als affigen Betrugsversuch unterbindet. Aber ständig mit dem Knigge unterm Arm herumzulaufen, verfehlt den Sport. Die Regeln sind für das Spiel da, nicht umgekehrt. (…) Ein Irrsinn, der seit Jahren den Fußball drangsaliert: die Moralisierung des Spiels, Betragensnoten für jede Aktion, der Schiedsrichter als Gouvernante.“

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