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Interview

Machtzentrum Ballack

Oliver Fritsch | Dienstag, 16. September 2008 Kommentare deaktiviert für Machtzentrum Ballack

Die deutsche Mannschaft erreichte das Finale der Europameisterschaft 2008. Bei den beiden letzten EM-Turnieren 2004 und 2000 war sie bereits in der Vorrunde ausgeschieden. Man kann also von einem sehr guten Ergebnis sprechen. Dennoch hat das Team die Experten nicht überzeugt oder begeistert, auch nicht Michael Horeni, FAZ-Sportredakteur und seit Jahren Beobachter der Nationalmannschaft. Wir haben mit ihm am Telefon über die Versäumnisse Joachim Löws vor und während der EM gesprochen, den Rang Michael Ballacks innerhalb des Teams und über die Aussichten Jürgen Klinsmanns bei Bayern München.

Herr Horeni, warum war die deutsche Mannschaft während der EM spielerisch so schwach?

Horeni: Dafür gibt es drei Gründe: Erstens, liefert die Bundesliga nicht das Niveau vieler anderer Ligen. Und man kann nicht dauerhaft über Liga-Niveau spielen, so wie das in der Ära von Klinsmann und Löw oft der Fall war. Zweitens war die Mannschaft nicht so fit wie zwei Jahre zuvor. Drittens schien es mir so, dass die Mannschaft nicht bis ins Letzte motiviert war, um über sich hinauswachsen zu können. Ihr hat ein gewisses Maß an Spannung gefehlt. Diese drei Gründe haben dazu geführt, dass die Mannschaft nicht das gezeigt hat, wozu sie in den letzten Jahren immer wieder in der Lage war. Es war mehr drin. Der entscheidende Faktor, der Schlüssel, war für mich aber die Fitnessfrage.

Joachim Löw hat im Frühjahr 2008 den geplanten Fitnesstest abgesagt. Ein Fehler?

Horeni: Es war ein großes Versäumnis von Löw, darauf zu verzichten und zu glauben, alleine mit spielerischen Mitteln zum Erfolg kommen zu können. So gut sind die deutschen Spieler im Vergleich mit anderen europäischen Spitzenprofis nicht. Die deutsche Mannschaft braucht großes Zutrauen in ihre körperliche Stärke, um Selbstbewusstsein entwickeln zu können, das notwendig ist, um letztlich auch spielstark zu sein. Eine gute Leistung war ja zu sehen: das 3:2 gegen Portugal. Dieses Match hatte eben auch eine psychologische Komponente, denn die Elf hatte nicht viel zu verlieren. Das galt für das Finale nicht mehr, da kann man sich nicht mehr einreden, dass man nichts zu verlieren hat.

Michael Ballack hatte eine starke Rückrunde für Chelsea gespielt. An seiner Fitness kann es nicht gelegen haben, dass auch seine Leistungen schwankten.

Horeni: Das liegt auch an der Umgebung, in Chelsea hat er wesentlich bessere Mitspieler. Er hat sicher nicht immer am Limit gespielt, aber das kann man auch nicht immer erwarten. Er hatte in der Nationalelf nicht die Unterstützung, die er braucht. Ein Mittelfeldspieler von internationaler Klasse ist einfach zu wenig. Ein Ballack reicht nicht! Er hatte übrigens schon vor der EM immer die Sorge, dass die Stärke des Teams nicht ausreicht und er im Misserfolgsfall zum Schuldigen gemacht wird. Und so ist es gekommen. Der einzige Spieler im deutschen Team außer ihm, der Weltklasse-Niveau erlangen kann, Philipp Lahm, hat es bei der EM auch zu selten erreicht.

Ballacks Führungskompetenz wird inzwischen von einigen Medien und Experten angezweifelt. Ist er zu dominant und undiplomatisch?

Horeni: Früher hieß es ja immer, er könne und wolle nicht führen. Bei der EM war genau das Gegenteil der Fall. Ballack war das Machtzentrum. Aber Ballack wird jetzt in der Mannschaft kritisch gesehen, er ist manchen Spielern zu dominant und einflussreich. Er muss um seine Rolle kämpfen. Es hat nun mal schon lange kein Spieler mehr an einem Turnier derartig Einfluss genommen – sowohl was die Taktik betrifft als auch die Begleitumstände. Nach der Kroatien-Niederlage hatte Ballack gefordert, sich auf den Sport zu konzentrieren. Doch stattdessen wurde am Familientag festgehalten. In solchen Fragen manifestieren sich die Unterschiede zwischen Ballack und Manager Oliver Bierhoff. Ballack ist ein Spieler mit Fußballstallgeruch, ihm sind die Ansätze Bierhoffs fremd.

Löw hat den Konkurrenzkampf unterbunden

Ist der Systemwechsel von 4-4-2 auf 4-5-1 während des Turniers auf Ballacks Mist gewachsen?

Horeni: Da wurden vom ersten Tag an Legenden gebildet. Entschieden hat es natürlich der Bundestrainer, doch ohne den Wunsch und die Zustimmung von Ballack wäre es wohl nicht passiert. Das ist das mindeste, was man in dieser spannenden und letztlich offenen Frage sagen kann.

Sie sind ein prinzipieller Befürworter Löws, sind aber während der EM als scharfer Kritiker aufgefallen. Wie lauten Ihre Vorwürfe?

Horeni: Ich mache ihm zwei Vorwürfe: erstens die Vernachlässigung der Fitness bei einem zu starken Augenmerk auf die Taktik – also eine falsche Prioritätensetzung. Zweitens mangelnde Führung während des Turniers. Christoph Metzelder sagte kurz vor Turnier-Ende in einem Interview mit uns, der Trainer habe weitgehend die Zügel aus der Hand gegeben. Das habe ich vom ersten Tag an so empfunden. Löw hat es versäumt, Spannung aufzubauen. Die Möglichkeit, die er sich zum Beispiel durch die Nominierung von Marko Marin, Patrick Helmes und Jermaine Jones in den vorläufigen Kader geschaffen hatte, ließ er ungenutzt, indem er die neuen Spieler dann doch nicht berücksichtigt hat. Diese Entscheidung habe ich nicht verstanden. Dadurch hat er den Konkurrenzkampf unterbunden und bloß alte Verdienste gewürdigt. Man denke an Metzelder, der während der EM – sagen wir es vorsichtig – umstritten gespielt hat. Da haben sich einige Verteidiger gefragt: „Was muss eigentlich noch passieren, dass ich spiele?“

Das mit Klinsmann wird funktionieren

Ein Blick in die Zukunft, bitte: Wird Löw das Ruder herumreißen können?

Horeni: Das ist die entscheidende Frage. Löw liegt die Qualifikation eher, weil die Mannschaft nur wenige Tage zusammen ist. Und in den knapp zwei Jahren bis zur EM gelang es ihm hervorragend, die Spieler und Mannschaft vorzubereiten und weiterzuentwickeln. Das ist eine der zentralen Aufgabe eines Nationaltrainers. Aber um ein gutes Turnier zu spielen, sind auch andere Fähigkeiten eines Trainers gefragt. Und es wird spannend sein zu beobachten, wie Löw das 2010 meistern wird – vorausgesetzt, die Elf qualifiziert sich für Südafrika. Schwer genug wird es ja, mit Russland in der Gruppe. Zumal sich die Mannschaft jetzt stärker verändern dürfte als nach der WM 2006. Es stoßen neue Spieler hinzu, etwa Marin und Helmes, und die Spieler aus der bisherigen zweiten Reihe, Piotr Trochowski, Simon Rolfes und Thomas Hitzlsperger drängen nach vorne. Ballack, aber auch Torsten Frings und Bernd Schneider waren ja wegen Verletzungen im letzten Jahr kaum dabei. Es wird zur Löws größten Aufgaben zählen, die Evolution des Teams zu lenken.

Letzte Frage: Sie haben eine Biografie Jürgen Klinsmanns geschrieben. Wie wird es ihm in Bayern ergehen?

Horeni: Das wird funktionieren, auch wenn viele Experten das Gegenteil voraussagen. Die andere Frage ist: Wenn es in England so weitergeht wie es sich jetzt andeutet [Stichwort der Scheich von Manchester City, if], wird der finanzielle Abstand zur Konkurrenz, und damit auch zu Bayern München, zu groß, als dass er durch moderne Trainingsmethoden und Führungspsychologie aufzuholen wäre. Um es deutlich zu sagen: Ich bin in den letzten Jahren Karl-Heinz Rummenigge & Co. nicht gefolgt, dass der Misserfolg deutscher Vereine nur darauf zurückzuführen sei, dass sie weniger Geld hätten als die Italiener, Spanier und Engländer. Ich hielt das für weitgehend vorgeschoben. Die Bundesligaklubs haben nicht gut genug mit ihren Spielern gearbeitet und sich neuen Konzepten viel zu sehr verschlossen. In Anbetracht jedoch dieser finanziellen Dimensionen, die sich nun abzeichnen, ist an dem finanziellen Argument einiges dran. Andererseits, bis die Milliarden Früchte tragen, werden noch ein paar Jahre vergehen. Bis dahin sollte das Champions-League-Halbfinale für Klinsmanns Bayern noch drin sein. Vielleicht sogar schon in dieser Saison.

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