indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Internationaler Fußball

Nuancen, die den Unterschied ausmachen

Frank Baade | Donnerstag, 5. November 2009 8 Kommentare

Die SSC Neapel profitiert von ihrem herzlichen Trainer, Robin van Persie ist der Adebayor-Ersatz aus eigenen Arsenal-Reihen, der FC Sevilla etabliert sich „im Windschatten der Weltklasse“

Hanspeter Künzler (NZZ) weiß, wer verantwortlich ist, dass die Hoffnungen der Tottenham Hotspurs, endlich ganz oben mithalten zu können, in nur einer Partie gegen Arsenal zerstoben. „Fachleute hatten Arsenal schwächer eingeschätzt als in der Vorsaison. Der treffsicherste Stürmer Adebayor war von Manchester City abgeworben und nicht ersetzt worden. Nun hat der Manager Wenger die Pessimisten mit einem unerwarteten, simplen Schachzug ausmanövriert. Der Holländer van Persie ist seit fünf Jahren bei Arsenal. Bis jetzt galt er als hochbegabter, aber launischer Techniker, der das Versprechen seines Talentes nie eingelöst hat. Jetzt hat ihn Wenger von der Seite in die Mitte des Sturmes versetzt – und siehe da, in neun Spielen hat er acht Treffer erzielt, zwei davon gegen Tottenham. Selten hat ein Tor eine solche Wirkung erzielt wie sein erstes.“ Die Hotspurs ergaben sich in die Niederlage. „Wenger bezeichnete van Persie nach dem Match als ‚Mix aus Henry und Bergkamp‘. Wer würde es wagen, dem Meister zu widersprechen?“

Ende der „Lex Beckham“

Axel Kintzinger berichtet in der Financial Times Deutschland von einer Korrektur hin zu mehr Chancengleichheit im internationalen Fußball beim Verjubeln von Millionen: Die „Lex Beckham“, nach der nur vorübergehend in Spanien arbeitende Ausländer einen reduzierten Steuersatz zahlen mussten, wird aufgehoben. „Die heute regierenden spanischen Sozialisten haben sich jetzt mit anderen Linksparteien darauf geeinigt, dieses Gesetz wieder abzuschaffen – und es dürfte ihnen kaum jemand so laut applaudieren wie die CSU-nahen Großfürsten des FC Bayern oder die zumeist ebenfalls konservativen Klubchefs in England und Italien. Künftig sollen auch Fußballstars in Spanien wieder den Spitzensteuersatz von 43 Prozent entrichten müssen.“ Doch es bleiben andere Wettbewerbsvorteile: Die Umwandlung eines königlich-madrilenischen Trainingsgeländes in Bauland brachte 400 Millionen Euro und und finanzierte Zidane, Figo und Beckham. Die neue Generation Stars wird über Kredite bezahlt: Ronaldo, Kaká, Benzema und Xavi Alonso würden ohne diese Kredite an anderen Orten unter Vertrag stehen.

Herzensgemeinschaft in Freud und Leid

Tom Mustroph (NZZ) begeistert sich an süditalienischer Liebenswürdigkeit: Nach der Entlassung von Trainer Donadoni und Manager Marino laufe „die SSC Napoli“ zu Höchstform auf. „Zehn Punkte gewann die Mannschaft aus den letzten vier Begegnungen. Napoli setzt wieder Duftmarken. Monatelang gehemmte Spieler wie Lavezzi und Hamsik versprühen jetzt wieder jene Spielfreude, die das Team nach dem Wiederaufstieg vor zwei Jahren zu einem der großen Sympathieträger im italienischen Fussball gemacht hatte. Napoli ist erwacht – und spielerisch besser denn je.“ Hauptverantwortlich für den Erfolg sei Trainer Walter Mazzarri. Dessen Führungsqualitäten hätten schon den schwierigen Antonio Cassano in Genua gebändigt. In Neapel führe Mazzarri seine Strategie des ‚Seelen-Streichelns‘ erfolgreich weiter. Beste Illustration von Mazzarris Verständnis liefere eine kleine Episode, wie Mazzarri mit Verteidiger Hugo Campagnaro umging, der bereits ausgewechselt neben ihm stand, weil er ein Tor verschuldet hatte. Als kurz darauf der Ausgleich gelang, umarmte er den Unglücklichen mit großer Inbrunst. „Für eine kleine Ewigkeit schienen der Trainer und der Abwehrspieler miteinander verschmolzen. Wer so getröstet wird, wirft sich beim nächsten Mal ganz unverzagt in jeden Zweikampf. Napoli ist in Freud und Leid eine Herzensgemeinschaft.“

Vom Aufstieg des FC Sevilla

Wie nur allzu oft äußerst lesenswert für jene, welche etwas über die Feinheiten erfahren möchte, die den Unterschied ausmachen, vergleicht Ronald Reng in der Berliner Zeitung den Fußball und die Spieler der gestrigen Gegner: Der VfB Stuttgart und der FC Sevilla hätten ähnliches Niveau, was das Talent ihrer Profis oder ihre finanzielle Kraft angehe, doch während der Erfolg zum VfB nur unregelmäßig käme, habe sich Sevilla mit Uefa-Cup-Siegen 2006 und 2007 „im Windschatten der Weltklasse [etabliert]. In Stuttgart sehen viele begabte Spieler wie Irrtümer aus, in Sevilla werden aus guten reihenweise exzellente Spieler. Warum?“ — Der FC Sevilla kaufe nach einem Raster, zitiert Reng Julien Escudé, einen französischen Nationalspieler bei besagtem Klub: „‚Spieler zwischen 23 und 26, erprobt in Klubs der zweiten Reihe, der Wechsel nach Sevilla ein motivierender Sprung nach oben.‘ Diese Spieler entdecken beim FC Sevilla ‚das Wertvollste im Fußball: Kontinuität‘. Auch hier kommen und gehen Fußballer und Trainer, aber etwas bleibt. Sie bewahren die Spielidee, immer vehement über die Flügel anzugreifen, weit vorn zu verteidigen.“ Deshalb suche man für den FC Sevilla auch immer ähnliche Spielertypen, unter Anderem mitdenkende, mitspielende Innenverteidiger. Vergleiche man auf dieser Position, hier Julien Escudé, dort Matthieu Delpierre beim VfB, dann käme heraus, dass Escudé jene Position in der Nationalelf übernommen habe, für die Delpierre ebenfalls Kandidat war, denn: „Escudé lernte in Sevilla, auch im Bedrängnis präzise nach vorne zu passen, sowie weit aufgerückt zu verteidigen. Beim VfB verteidigt Delpierre ordentlich, aber sind die Mittelfeldkollegen bewacht, tritt er den Ball aus Angst oft spekulativ auf den Flügel und bringt das Pressing durcheinander. Es sind solche Nuancen, die sich summieren und den Unterschied zwischen Sevilla und Stuttgart machen.“

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Kommentare

8 Kommentare zu “Nuancen, die den Unterschied ausmachen”

  1. nedfuller
    Donnerstag, 5. November 2009 um 14:55

    Man meldet sich ja nur, wenn etwas nicht gefällt. Man kommentiert ja gerne, wenn etwas auffällt und korrigiert werden muß.

    Was man, was ich aber viel zu selten sage ist:

    Danke!
    Tolle Zusammenstellung, gerade weil es mal über die Bundesliga hinaus ist. Bitte mehr davon.

  2. Frank Baade
    Donnerstag, 5. November 2009 um 15:35

    Ich danke ebenfalls für diese Äußerung. Und hoffe, dass es dem Rest der Leserinnen und Leser ähnlich geht, dass sie sich – auch – mit dieser Themenauswahl angesprochen fühlen.

  3. Linksaussen
    Donnerstag, 5. November 2009 um 16:28

    Oh, absolut. Ich bin auch über jeden Artikel froh, der einen Blick auf Geschehnisse außerhalb der Bundesliga wirft. Über jeden Ronald Reng-Artikel sowieso.

  4. 96
    Freitag, 6. November 2009 um 12:14

    @ Linksaussen: Ein herrlicher Text von Roland Reng ist im aktuellen „11 Freunde“: Über Hannovers ehemaligen Sportdirektor Ricardo Moar.

  5. Linksaussen
    Freitag, 6. November 2009 um 21:12

    Hmja. Danke für den Hinweis, der dank Abo allerdings bei mir ins Leere trifft. Den Artikel kann ich aber weiter empfehlen.

  6. tafelrunde
    Samstag, 7. November 2009 um 09:07

    Kann den Vorkommentatoren ob des Lobes über den Blick auf den internationalen Fußball nur zustimmen. Als Mensch, der das Fußballspiel als solches liebt, gibt es jenseits des Horizonts auch immer ein wenig Trost.
    Ach, was muss es derzeit toll sein, ein Arsenal-Fan zu sein. Fußball kann so schön sein und so erfolgreich. Wer das nicht sympathisch findet, ist selber schuld. Diese Leidenschaft, dieser Esprit, dieses Können. Diese Leichtigkeit. Noch schöner als Barca. Nick Hornby muss es blendend gehen.
    Und dann sieht man im Gegensatz dazu einen unserer einheimischen sog. „Vorzeigevereine“, die Bayern. Man könnt nur noch heulen.
    Könnten die Bayern doch davon lernen. Seufz.

  7. Frank Baade
    Samstag, 7. November 2009 um 09:54

    Ich danke, tafelrunde, für den Zuspruch.

    Glaube aber nicht, dass Nick Hornby glücklich ist mit dem, wie es ist. Auch wenn er letztens noch sagte, dass er den Neubau total befürworte(te). Und auch wenn sich bei Arsenal ja nicht soo viel geändert hat in letzter Zeit. Man stumpft doch ab, wenn das Glück jeden Tag vor der Tür liegt. Und überhaupt, er mag noch vor der WM 2006 den Fußball unserer Nationalelf als „langweilig“ bezeichnet haben, woraufhin die Gegner ständig einschliefen, weshalb der deutsche Länderfußball dann so erfolgreich sei.

    Aber wie langweilig ist erst die Premier League in ihrer Vorhersehbarkeit seit 5-8 Jahren? Da wird Nick Hornby schön in seinem Kabuff sitzen und schlafen.

    Okay, der eine oder andere Spielzug, den wir so nie in der Bundesliga sehen werden, wird ihn dann vielleicht mal aufwecken. Aber Vieles ist auch dem geschuldet, dass man Videos von außerhalb, mit entsprechender Aufbereitung, immer als aufregender empfindet als die eigene grüne Wiese. Die misslungenen Spielzüge sieht man dann ja nie, die Fehlschüsse übers Tor usw.

    Dass Arsenal grundsätzlich einen ansehnlicheren Fußball spielt als es ihn in der Bundesliga gibt, will ich damit aber nicht abstreiten.

  8. tafelrunde
    Samstag, 7. November 2009 um 19:33

    @ Frank Baade: Danke für diese Antwort, auch für die wahrscheinlich zutreffendere Analyse von Nick Hornbys Gemütsverfassung. Man kann ja nicht alles wissen;-)
    Ein Nick Hornby würde sich wohl für diese Art des Fußballgenusses, sprich das Erfreuen am Spiel von anderen Mannschaften, zumal noch ausländischen, und die Berichte darüber nicht so richtig begeistern können. Wenn man Fever Pitch als sein Credo und die darin abgebildete totale Fokussierung auf einen, seinen Club zugrunde legt.
    Im Gegensatz zu den (meisten?) Lesern des indirekten freistosses eben.

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