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Frankreichs Identitätskrise, Vuvuzela-freie Zone und gebratene Hühnerfüße

Kai Butterweck | Donnerstag, 24. Juni 2010 Kommentare deaktiviert für Frankreichs Identitätskrise, Vuvuzela-freie Zone und gebratene Hühnerfüße

In Durban hinterlassen Einbrecher ein sauberes Parkett, im Krügerpark herrscht Vuvuzela-Verbot und Frankreich gerät immer tiefer in eine Identitätskrise

Harald Martenstein (Zeit Online) wundert sich über das Verhalten südafrikanischer Krimineller: „Meine Zimmerwirtin in Durban hat ein Problem. In der Gegend, wo sie wohnt, wird ständig eingebrochen. So etwas passiert meistens am Samstagnachmittag. Am Samstag sind oft Sportfeste der Schulen, da gehen die Eltern hin, um ihren Kindern zuzuschauen, auch das Dienstmädchen hat frei, das Haus ist also menschenleer, die Gangster müssen deswegen niemanden mühsam fesseln, niederschlagen oder erschießen. Gangster sind nämlich auch nur Menschen und machen es sich gerne einfach.“ In einer Hinsicht würden sie sich sogar vorbildlich verhalten. In Südafrika darf nahezu nirgends mehr geraucht werden. Das habe sich auch bis ins unterste Milieu herumgesprochen: „Ich erzählte der Zimmerwirtin, dass ich bei der Fahrt von Johannesburg nach Durban, wenn es hochgeht ins Gebirge, hinter mir diese gewaltige Abgasglocke gesehen hätte, die ständig über Johannesburg hängt. Zigarettenrauch sei sehr wahrscheinlich gesünder als die Luft von Johannesburg. Und dann habe ich die Wirtin gefragt, ob sich denn auch die Gangster an das Rauchverbot halten. Sie sagte, soweit sie wisse, treffe dies zu. Sie nehmen den Flachbildfernseher mit, gewiss, aber im Gegensatz zu den meisten deutschen Einbrechern lassen sie keine einzige Kippe zurück, sie aschen auch nicht aufs Parkett. Und der Qualm, der beim Schießen entsteht, ist, zumindest als Qualm, völlig legal.“

Stellvertretend für ein ganzes Land?

Antonio Jiménez Barca (El País) sieht im Auftritt der Èquipe Tricolore bei der Weltmeisterschaft in Südafrika den Auslöser einer französischen Identitätskrise: „Jenseits der sportlichen Katastrophe, nicht ein Spiel gewonnen zu haben und sich in der Vorrunde von der WM in Südafrika zu verabschieden, der Empörung und Enttäuschung sowie den Attacken auf Raymond Domenech, den nur seine Mutter verteidigt – vor zwei Tagen wurde sie interviewt und sie weinte – fragen sich die Franzosen: Ist diese Mannschaft ein Spiegelbild unserer selbst? Repräsentiert diese unerzogene, arrogante, unorganisierte, unglückliche und unsympathische Verlierermannschaft unsere Gesellschaft? 1998, als Les Bleus, angeführt von Zidane, Thuram und Barthez, die WM im eigenen Land gewannen, beeilten sich alle, diese Mannschaft als Sinnbild des modernen Frankreichs zu bezeichnen. Jacques Chirac, den Fußball nicht das Geringste interessierte, empfing die Spieler nicht nur als Sieger, sondern auch als Repräsentanten des Französischen, und das ganze Land sprach von der équipe black-blanc-beur, der schwarz-weiß-arabischen Mannschaft, zusammengesetzt aus Spielern aller Bevölkerungsgruppen. Zidane persönlich, Sohn algerischer Eltern, geboren am Stadtrand von Marseille, verkörperte diesen französischen Traum in Perfektion. Seitdem ist in Frankreich viel passiert. Darunter der explosive Rücktritt Zidanes im Jahr 2006 und die Unruhen in den banlieues 2007. (…) Der Philosoph Alain Finkielkraut sagte in einem Artikel der Zeitung Le Journal du Dimanche: ‚Die heutige Mannschaft gibt Frankreich das Spektakel seiner Uneinigkeit und Unbeständigkeit wieder. (…) Auch wenn sie Frankreich nicht repräsentiert, bildet sie Frankreich leider ab: mit ihren Grüppchen, ihren ethnischen Spaltungen, der Hatz auf den Klassenbesten, Yoann Gourcuff. Es ist ein schreckliches Abbild.’ (…) Es gibt Politiker, wie François Bayrou, die die Schwäche der französischen Nationalelf mit ‚der Schwäche Frankreichs’ verbinden. Es gibt andere, wie den Kultusminister, Frédéric Mitterrand, die sich weigern, dies zu tun. Doch die Debatte – dieses Land liebt kollektive Debatten – wird weitergehen: Inwieweit verbirgt sich die Identität eines Land in seiner Nationalmannschaft?“

Keine Konkurrenz für die Elefanten

Johannes Dietrich (StZ) hat in Südafrika doch tatsächlich eine Vuvuzela-freie Zone ausmachen können: „Sie liegt rund 400 Kilometer östlich von Johannesburg, in einem Territorium, das weltweit als der Krügerpark bekannt ist. Die Verwaltung des 19.000 Quadratkilometer großen Gebiets hat dort ein Verbot der umstrittenen Tröte erlassen. Offenbar soll dem afrikanischen Elefanten keine Konkurrenz erwachsen.“ Doch der Frieden täusche. Die Leitung des Tierparks fühle sich von der Fifa im Stich gelassen: „Match, die vom Weltverband Fifa für die Weltmeisterschaft beauftragte Reiseagentur, buchte im Vorfeld sämtliche Betten der drei größten Camps des Tierparks, insgesamt fast 3000 Liegeplätze. Doch die Match-Prognose erwies sich als völlig unrealistisch, oder sie war nicht von den nötigen Marketinganstrengungen begleitet worden. Jedenfalls wurde die Agentur kaum ein Bett los und gab nur zwei Monate vor dem Anpfiff fast das gesamte Kontingent – minus 115 Buchungen – wieder zurück. `Plötzlich saßen wir auf fast 2900 freien Unterkünften`, erinnert sich der Krügerpark-Sprecher William Mambasa: `Und das wenige Woche vor dem Großereignis, von dem wir uns alle so viel versprachen.` Doch womit ebenfalls keiner gerechnet hätte, ist, dass die freien Betten auf dem lokalen Markt angeboten wurden – und innerhalb weniger Tage bis auf die letzte Unterkunft gebucht waren.“

Mageninnereien von Schafen

Ronny Blaschke (Berliner Zeitung) hat das kulinarische Angebot Südafrikas genauer unter die Lupe genommen: „WM-Reporter brauchen auch mal eine Pause, wenigstens einen Tag, und wie ließe sich diese Pause besser gestalten als mit einem Experiment? Eine Reise durch die Küchen von Kapstadt, ein Test des kulinarischen Angebots, das fast so viel über die Kontraste der Stadt Auskunft gibt wie ihre Menschen.“ Er beginnt mit „Boerewors, Bauernwurst, eine traditionelle Speise der Buren. Zum Dessert gibt es Koeksusters, eine Kalorienbombe, süß wie Sirup.“ Weiter geht es mit „Zitronensuppe aus Nigeria, ein Fleischgericht namens Chapati aus Kenia. Unwiderstehlich und günstig. Die Mägen werden gut gefüllt.“ Doch es geht auch anders: „Amanqina, gebratene Hühnerfüße, und Ulusu, Mageninnereien von Schafen. Das Gericht würde als Requisite für einen Horrorfilm durchgehen. Hier sind die Grenzen erreicht, ich muss zur Verköstigung überredet werden. Irgendwann gebe ich nach – mit geschlossenen Augen und Gedanken an den nächsten Urlaub.“ Sein Fazit: „Ungewöhnlich und fast bedrohlich war nur die Gastfreundschaft, nun ja, und der Schrecken der Hühnerfüße.“

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