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Am Grünen Tisch

Festredner Blatter im südafrikanischen Winter

Jan Vogel | Montag, 12. Juli 2010 Kommentare deaktiviert für Festredner Blatter im südafrikanischen Winter

Die Fifa präsentierte sich in Südafrika gemeinsam mit der politischen Beletage als Samariter, hinter der Rhetorik Sepp Blatters steckt nicht viel und die Kälte ließ selten ein echtes WM-Gefühl aufkommen

Roland Zorn (FAZ) rügt die Selbstgefälligkeit der Fifa in ihrer Kommunikationsweise: „Wohl noch nie war eine Fußball-Weltmeisterschaft derart politisch und propagandistisch aufgeladen wie diese, bei der Südafrika der Welt seine Weltklasse als Gastgeber vor Augen führen und die Fifa aller Welt ihren Mut zu neuen Wegen demonstrieren wollten. Wie in einem System kommunizierender Röhren spielten Blatter und seine Entourage sowie Zuma und sein ANC-Clan sich die Bälle zu, um am Ende gemeinsam als große Sieger dazustehen. (…) Blatter regierte seine Fifa während der WM aus den höheren Sphären des Elder Statesman, bereitete aber, in dieser Hinsicht noch recht irdisch, en passant seine Wiederwahl als Präsident im kommenden Jahr vor. In Südafrika präsentierte sich der schon in jungen Jahren als Festredner begehrte Blatter vor allem als Menschenbeglücker und wohlmeinender Entwicklungshelfer mit dem Anspruch, ein Erbe für die Zukunft zu hinterlassen. Gern identifizierte sich der manchmal arg salbungsvoll psalmodierende Sportführer wie ein Bruder im Geiste des südafrikanischen Nationalhelden und Friedensnobelpreisträgers Nelson Mandela. (…) Südafrika hat sich von seiner freundlichsten Seite gezeigt, und die Fifa-Bosse haben fröhlich mitgelächelt. So wie sie das 2014 in Brasilien tun werden, wenn auch dort alles gut geht und der kommende WM-Ausrichter seine Hausaufgaben zur Zufriedenheit aller erfüllt.“

Die Fifa packt ihre Koffer – die Kosten bleiben

Arne Perras (sueddeutsche.de) zieht eine positive WM-Bilanz, doch auch er kommt nicht ohne Kritik an der Fifa aus: „Der Erfolg der WM hat nun einige frische Gedanken angestoßen: Jenseits des schaurig-schönen Bildes vom Chaos- und Katastrophen-Kontinent muss es noch ein anderes Afrika geben. Wenn diese Einsicht weltweit durchgesickert ist, dann kann man die Fußball-WM tatsächlich als bemerkenswertes Ereignis der Völkerverständigung betrachten. Der Gastgeber war genauso wenig verantwortlich für die Idee einer Winter-WM wie für die monopolistischen Geschäftspraktiken, die ebenfalls der Weltfußballverband durchgesetzt hat. Damit grenzte er Zehntausende Kleinhändler im Lande aus. Wenn der Fifa die Entwicklung Afrikas so wichtig gewesen wäre, wie sie glauben machen wollte, dann hätte sie auch Raum schaffen müssen für diese kleinen Geschäfte. Südafrika weiß nun, wie wenig hinter der Rhetorik der Fifa steckt. Das Land wird noch lange darüber diskutieren, ob sich die hohen WM-Investitionen tatsächlich gelohnt haben, und wie man künftig die Stadien unterhalten und nutzen soll. Die Fifa aber packt wieder ihre Koffer, sie zieht weiter, zum nächsten Milliardengeschäft in Brasilien. Dabei ist es überfällig, dass sich ein Unternehmen, das mit dem Fußball riesige Gewinne macht, auch an den Kosten des Gastgebers seiner Turniere beteiligt – zumal wenn es um ein Land wie Südafrika geht, das jeden Dollar braucht, um seine Entwicklungsprobleme zu lösen.“

Südafrikanische Schattenspiele

Jan Christian Müller (FR) lobt die Organisation des Gastgebers, aber macht den südafrikanischen Winter für die teils mangelnde Stimmung verantwortlich. „Die Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika war überladen mit Erwartungen, die sie nicht erfüllt hat, aber auch gar nicht erfüllen konnte. Atmosphärisch litten die Schattenspiele zwischen Kapstadt und Polokwane erheblich an der Dunkelheit und der Kälte des südafrikanischen Winters. Sepp Blatter ist ein mächtiger Mann, aber der Fifa-Präsident ist nicht mächtig genug, um den internationalen Wettkampfkalender mal eben umzuwerfen. Dieses Turnier hätte jedoch zu einer anderen Jahreszeit bei entsprechenden Temperaturen an lauen Abenden viel bunter, fröhlicher und atmosphärisch dichter erlebt werden können. Allenfalls in der Metropole Kapstadt und in Sandton entwickelte sich internationale WM-Stimmung. Johannesburg und Pretoria dagegen präsentierten sich bis auf ein, zwei kurze Straßenzüge durchweg als jene Geisterstädte, die sie auf absehbare Zeit nach Anbruch der Dunkelheit leider bleiben werden.“

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