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Ball und Buchstabe

Neue Karriere als Aufklärer

Matthias Nedoklan | Mittwoch, 13. April 2011 6 Kommentare

Teresa Enke hat ihm das Leben gerettet, sagt Ex-Profi Andreas Biermann. Erst durch die Pressekonferenz ist ihm seine Depression bewusst geworden. Es folgt die Therapie und damit das Karriereende. Und jetzt ein Buch über sein Leben: „Rote Karte Depression“, das auch an formalen Fehlern leidet

Mobbing in der Kindheit, Verletzungspech, Geldsorgen – fertig ist die Depression. Es ist eine interessante Geschichte, die Biermann zu erzählen hat, über sein Leben und, was bei Ronald Rengs überragendem Buch über Robert Enke zwangsläufig fehlt, der persönliche Blick auf den schwarzen Strudel im Kopf.

Verständnis für Profisportler

Dass Depressionen, mit mehr als 7.000 Suizidtoten jährlich, mehr Menschenleben fordern als HIV, Drogen oder der Straßenverkehr, ist beeindruckend. „Rote Karte Depression“ ist ein wichtiges Buch um aufzurütteln. Denn nach der Trauer, die Robert Enkes Suizid in ganz Deutschland ausgelöst hat, ist das Thema in Deutschland wieder aus der Öffentlichkeit verschwunden. Es geht darum, mehr Verständnis zu entwickeln für Profisportler, die wenig dem öffentlichen Bild des makellosen Gladiators entsprechen, sondern öfter das „Scheitern anstelle des Erfolges“ erleben, wie Biermann schreibt.

Leider fehlen Biermann und dem Autor Rainer Schäfer das Selbstbewusstsein zur Eigenständigkeit. Ganze Blöcke aus der Biographie Sebastian Deislers werden zitiert, immerhin hat Biermann mit dem gestürzten  Wunderkind in Berlin zusammen trainiert. Zudem ist es schlecht lektoriert, viele Kapitel sind unstrukturiert, Passagen wiederholen sich. Dass Biermann in seinem ersten Spiel ins Tor musste und vierzehn Treffer kassierte, dass der damalige Trainer Jürgen Röber für die Jugendspieler der Hertha nicht viel übrig hatte und dass mit dem Wechsel Sebastian Deislers ein gewaltiges Medieninteresse für den Club entstand, liest man mehrfach.

Stanislawski zeigt, warum er ein begehrter Trainer ist

Das Buch versucht zu viel. Spielsucht, Depression, Eheprobleme, Kritik am Profigeschäft auf 190 Seiten, es fehlt an Struktur und zu oft finden sich plakative Sätze wie: „Am Pokertisch ist der Einsatz sein Leben.“ Ohne Bezug stehen ein Interview mit Biermanns Psychologin Silka Hagena sowie Kommentare von Biermanns Frau Juliane nebeneinander, beides erzeugt eine teils unangenehm voyeuristische Nähe ins Privatleben des Profis. Dafür antwortet Biermanns-Trainer Holger Stanislawki klar und deutlich, allein das Interview zeigt, warum der Coach bei vielen Klubs Begehrlichkeiten weckt.

Biermanns Kritik am FC St. Pauli, der Verein habe ihn nach der Therapie fallen gelassen, wirkt dagegen einseitig. Denn Biermann war nicht nur depressiv, durch seine Karriere ziehen sich auch zahllose Verletzungen, selten war er körperlich in der Lage, eine komplette Saison zu spielen.

Für den Profi Biermann hat es nicht gereicht

So scheint durch, dass hinter dem noblen Ziel die Öffentlichkeit für Depressionen zu sensibilisieren, auch die persönliche Abrechnung steckt. Fest steht, dass es für den Spieler Biermann aus verschiedenen Gründen nie zur großen Karriere reichte. Als Aufklärer in Sachen Depression hat er jedoch eine ungleich wichtigere Karriere vor sich.

Andreas Biermann: Rote Karte Depression – Das Ende einer Karriere im Profifußball, Gütersloher Verlagshaus, 191 Seiten.

Kommentare

6 Kommentare zu “Neue Karriere als Aufklärer”

  1. Madder than Jens
    Donnerstag, 14. April 2011 um 11:53

    Schade, wenn das Buch tatsächlich nicht so gelungen ist, denn Andreas Biermann wirkt sehr sympathisch in den Videolinks.

  2. Pumukel
    Donnerstag, 14. April 2011 um 12:09

    Mag sein, aber gerade das könnte das Problem vieler Depressiver sein. Dieser extreme Anspruch an sich selbst, nach außen immer möglichst sympathisch zu erscheinen.

  3. Rodman
    Donnerstag, 14. April 2011 um 12:23

    Biermann hat in meinen Augen jegliche Kompetenz verloren, als er versucht hat, einen Verein und deren Menschen für sein Fehlverhalten an den Pranger zu stellen. Die Menschen und der Club sind nicht für sein Problem verantwortlich. Hätte er sich zum damaligen Zeitpunkt mit nur 10% dieser Intensität an Menschen seines Vertrauens gewandt, so hätten ihm diese sicherlich auch geholfen.

  4. Tam Tam
    Donnerstag, 14. April 2011 um 12:28

    Rodman,

    aber genau das ist doch ein Problem von Depressiven, wenn ich es richtig verstanden habe: Dass sie Angst haben, sich anderen zu öffnen.
    Und wenngleich St. Pauli natürlich nicht für seine Krankheit verantwortlich ist, wie Du richtig schreibst, heißt das nicht, dass der Verein sich ihm gegenüber korrekt verhalten hat. Ihm einen Vertrag über 1200 Euro im Monat anbieten und sich dann wie Schulte in der Öffentlichkeit hinstellen und sagen, sie hätten ihm doch ein ordentliches Angebot unterbreitet, ist, na ja, so wie es ist.

  5. Rodman
    Donnerstag, 14. April 2011 um 14:39

    Hallo Tam Tam,

    letzteres ist definitiv diskutabel, allerdings nicht unbedingt hier, da dies sicher nichts mit der Krankheit an sich zu tun hat.
    Möglicherweise hast Du recht und der „Depressive“ kann sich nicht öffnen. Mir ging es eher darum, dass er tatsächlich den Verein und die Verantwortlichen dort für seine Situation (Mit)Verantwortlich macht.

  6. Sasu
    Freitag, 10. Juni 2011 um 20:32

    Das Wegschauen ist echter Breitensport: Wenn sich Probleme häufen und Freunde einen nicht halten, wird auch der Stärkste depressiv. Und dann am Ende einem Depressiven noch zu sagen, er könne sich eben nicht öffnen, ist an Zynismus nicht zu überbieten. ;-(

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