indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Die (Un-)Kultur der Fans

Christoph Asche | Freitag, 28. Oktober 2011 6 Kommentare

Die Ausschreitungen in Dortmund haben eine Generaldebatte über Gewalt in deutschen Stadien ausgelöst. Die Presse über Fehler des DFB, passive Fans in der Kurve und die wahren Verlierer der Debatte

An viel wird man sich rückblickend nicht mehr erinnern können, wenn man an die diesjährige zweite Runde des DFB-Pokals denkt – zumindest sportlich gesehen. In Erinnerung werden vielmehr die Bilder aus dem Dortmunder Gästeblock bleiben, in dem einige Anhänger von Dynamo Dresden die Grenzen der Legalität ausgereizt haben. Richard Leipold macht auf faz.net die Sachsen mitverantwortlich für das Chaos: „Die Verantwortlichen von Dynamo Dresden werden sich auch fragen lassen müssen, ob sie beim Verkauf der Karten mit der nötigen Sorgfalt vorgegangen sind. Mit Blick auf die schon länger bekannte (Un-)Kultur seiner Fans kann der Verein sich nicht auf vereinzelte schwarze Schafe berufen. Das scheint den Vereinsoberen allmählich zu dämmern. Die Fans ihres eigenen Klubs haben in Dortmund eindrucksvoll vor Augen geführt, wie schwer es ist, die Initiative ‚Pyrotechnik legalisieren, Emotionen respektieren‘ zu unterstützen, die für legale Knalleffekte im Stadion eintritt, also für den Einsatz von Pyrotechnik als Ausdruck von Emotion.“

Boris Herrmann kritisiert in der Süddeutschen Zeitung die Passivität der Fans in der Kurve: „Um wie viele Schwachköpfe es sich genau handelte, lässt sich schwer bemessen. Es ist auch gar nicht entscheidend. Fest steht, dass mehrere tausend Dynamo-Anhänger diese Gewaltorgie billigend, wenn nicht wohlwollend in Kauf nahmen, sich mit dem harten Kern sozialisierten, die Einzeltäter in der anonymen Masse verschwinden ließen.“ Grundsätzlich möge es grundsätzlich stimmen, was jetzt von den tapferen Sozialarbeitern des Dresdner Fanprojekts zu hören ist, dass sich nämlich die Lage bei Dynamo in den letzten Jahren eher entspannt als radikalisiert habe. „Aber derartige Differenzierungen nutzen nicht allzu viel nach einem solchen Auftritt wie in Dortmund, bei dem die alte Fratze Dynamo so schauerlich zu Tage trat.“

Christoph Ruf erkennt auf FR Online, wem die Ausschreitungen am meisten schaden: Die überwiegende Mehrheit der Dresdner Anhänger seien ganz normale Fußballfans, „denen das schlechte Image der Szene wohl am meisten wehtut. Schließlich gefährdet es das, was ihnen so viel bedeutet: Die Existenz des Vereins.“ Die Ultra-Bewegung befinde sich zudem bundesweit an einem Scheideweg, „Teile der Szene suchen zunehmend offen gewalttätige Ausschreitungen, ein Wettkampf um das Image der ‚härtesten‘ Szene ist entbrannt.“ Schon das Ligaspiel zwischen Frankfurt und Dresden vor einigen Wochen habe „trotz eines martialischen Polizeiaufgebotes“ zu Ausschreitungen geführt, die nach Ansicht des Autors hätten vermieden werden können: „All das war längst voraussehbar und wurde sowohl von den SKBs (den szenekundigen Beamten der Polizei) als auch von kritischen Fans schon Wochen vorher vorausgesagt. Schließlich ging es um einen szeneinternen Wettstreit, welcher Club die ‚härtesten‘ Ultras habe: Die Frankfurter aus dem Westen, die mit dem zweifelhaften Eigenlob ‚Randalemeister‘ mobilisierten oder die aus dem Osten, die in der Elbmetropole gleich flächendeckend Spuckis mit dem Aufruf ‚Wessi-Ultras aufs Maul!‘ klebten.“

Johannes Koop hat in der Berliner Zeitung mit dem Fan-Experten Michael Gabriel gesprochen. Gabriel leitet die Koordinationsstelle Fan-Projekte (Kos) in Frankfurt und relativiert das düstere Bild, das derzeit in Gazetten von der deutschen Fan-Kultur gemalt wird: „Verglichen mit anderen europäischen Ländern geht es in unseren Stadien sehr zivilisiert zu. Ursachen von Gewalt sind immer gesellschaftlich bedingt. Das kann man in Italien sehen, wo die Konflikte wesentlich brisanter sind und gewalttätiger ausgetragen werden. Auch in England gibt es in dieser Beziehung ein hohes Level. Über den Preis hat man dort die jungen Fans aus den Stadien heraushalten können. In Deutschland können Aggressionen noch symbolisch im Stadion ausgelebt werden. Das hat eine dämpfende Wirkung auf andere gesellschaftliche Konfliktlagen.“

Mike Glindmeier (Spiegel Online) sieht die Problematik differenzierter und wirft DFB-Boss Theo Zwanziger vor, zündelnde Ultra-Gruppen  mit randalierenden Hooligans gleichzusetzen. Damit beweise Zwanziger vor allem eins: „Er hat wenig Kenntnis von der deutschen Fanszene. Seine Logik: Wer vorgestern Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp als Hurensohn beschimpfte, hat gestern Pyrotechnik abgebrannt und ist heute schon ein Gewalttäter.“ Damit liege der DFB-Präsident allerdings falsch, „denn die Ursachen für die jüngsten Vorfälle könnten unterschiedlicher nicht sein. Die einen wollen den Einsatz von Pyrotechnik legalisieren – indem sie verstärkt zündeln. Die anderen setzen auf Gewalt, in Dortmund und Frankfurt etwa trugen durchgeknallte Hooligans eine inoffizielle Randale-Meisterschaft aus.“ Angesichts der abgebrochenen Verhandlungen des DFB mit Ultra-Gruppierungen aus ganz Deutschland sei es fahrlässig, „diese Gruppe jetzt per se als Gewalttäter hinzustellen. Genauso wie die Forderung von Frankfurts Manager Heribert Bruchhagen, man möge keine Dauerkarten mehr an bekennende Ultras ausgeben. Stattdessen wäre es angebracht, den Dialog wieder aufzunehmen.“

Reinhard Schüssler (derwesten.de) merkt an, dass es kontraproduktiv sei, die Auswüchse der Gewalt in Fußballstadien größer zu machen als sie eigentlich sind. „Gemessen an den 18 Millionen Fans, die allein die erste und zweite Fußball-Liga jährlich in die Arenen lockt, sind die Zahlen immer noch vergleichsweise gering.“ Das Zahlenmaterial der Polizei weise bei den Strafverfahren sogar einen Rückgang von 6043 auf 5813 aus, was den meisten Medien keine Schlagzeile wert gewesen sei. „Interessant wäre es, eine entsprechende Statistik über Zwischenfälle bei allen anderen Massenveranstaltungen dagegenzusetzen“, schreibt Schüssler. Nun gelte es weiter, intelligente Strategien zu finden, damit der großen Mehrheit friedliebender Fußballfans der Spaß nicht durch Chaoten verleidet wird.

Aufschlussreich auch der Beitrag von Juliane Richter und Denni Klein aus der Online-Ausgabe der Sächsischen Zeitung, in dem unter anderem Dresdens Erster Bürgermeister Dirk Hilbert zu Wort kommt. Der FDP-Politiker, der die Krawalle sogar live im Stadion miterlebt hat, sieht die Zuständigkeit nicht in der Politik: „Das ist zunächst eine dringende Aufgabe des Vereins mit seiner Fanszene.“

freistoss des tages

Kommentare

6 Kommentare zu “Die (Un-)Kultur der Fans”

  1. Uli Sturm
    Freitag, 28. Oktober 2011 um 13:23

    Komisch, ich lese zu 90% nur von den Ausschreitungen der Dynamo-Fans. Wer die DHB Pokal-Berichterstattung am Mittwoch in der ARD verfolgt hat konnte sehen, dass die Eintracht-Fans ebenso Pyrotechnik im Stadion abgebrannt haben. Das wurde dann kurz in einem Nebensatz erwähnt. Wogegen die Herren Steinbrecher & Co. am Dienstag gleich nochmal gern ein „Extra-Sportstudio“ eröffnet hätten, um nicht über Fussball reden zu müssen. Wenigstens Jürgen Klopp ist nicht auf die Fragen des Moderators eingestiegen und hat die Situation auch nicht noch extra angeheizt, sondern sachlich Stellung dazu genommen. Danke.

    Dass das Verhalten einiger Dynamo-Fans unterirdisch und nicht gut ist, weder für Verein noch für die Stadt bzw. Region, steht hier ausser Frage und ist auch nicht im geringsten zu entschuldigen.

  2. augelibero
    Freitag, 28. Oktober 2011 um 15:13

    Man kann angesichts des Medienechos nur staunen. Merkt denn niemand, was hier wirklich los ist?

    Die Akteure machen Poltik und nutzen die Mechanismen der dümmlich-willfährigen Medienlandschaft, um ihre Ziele nun zu erreichen.

    Wer will hier was?

    Die Bundesliga möchte…
    1. schlicht und ergreifend mehr Geld im Ticketing erlösen. Das geht besser mit Sitzplätzen. Darüber hinaus ist mit Popcorn für ein Familienpublikum leichter Geld zu machen als früher mit Alk für die Assis (die müssen jetzt ohnehin vorher und draußen vorglühen)
    2. sich der Werbewirtschaft noch mehr als sauberen Spaß anbieten

    Der Staat möchte…
    1. von seinem Totalversagen ablenken. Im Stadion sind genauso viele Kameras auf das Publikum wie auf den Platz gerichtet. Es ist ein unbegreiflicher Skandal, dass Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte offenbar nicht in der Lage oder willens sind, die Täter anhand der Bilder zu identitfizieren, sie festzunehmen und rechtskräftig zu verurteilen. Stattdessen sollen schwache Vereine wie Dynamo Dresden – übrigens aufgrund dieser Beweismittel und womöglich durch eigene „Ermittler“ und „Straftäterdatenbanken“ – die Sünder aus denm Stadion fernhalten. Wie rechtsstaatlich, wie praktikabel, wie vernüftig soll das bitteschön sein?
    2. der Staat schleicht sich feige aus der Verantwortung: Wenn die ersten zehn Hools rechtskräftig wegen Sachbeschädigung, Körperverletzung etc. verurteilt sind und einsitzen, hat sich das Problem schnell erledigt. Wo ist da die Stimme der 4. Gewalt, unserer sachverstandtotalverweigernden Fußballfeuilletoinisten? Kennen sie die Kollegen aus den anderen Ressorts? Gibt es dort einen Gerichtsreporter? Was sagt der?

    Die Fußballfeuilletonist möchten lieber
    1. einmal mehr Wut und Abscheu über die Verrohung der Menschheit ausdrücken
    2. den Vereinen in ihrem Kommerzstreben mal wieder eins auswischen (dass es nach hinten losgeht, ist für die Brüder schon zu komplex)
    3. endlich mal den netten Fanbeauftragten und Experten xy interviewen, weil sie vermutlich keinen Staatsanwalt, Polizisten oder Richter kennen
    4. einfach an einem Dienstag oder Freitag eine „andere“ Fußballstory haben, dass in Deutschland die sichersten Stadion der Welt sind, lässt man lieber unerwähnt.
    5. heute die Verrohung anprangenern, brutalstmögliche Maßnahmen fordern, cleanen Fußball unter Laborbedingungen durchsetzen – und dann natürlich die laue Stimmung kritisieren, von früher und Italien schwärmen. So schreibt sich über eine lange Zeit die Serie von selbst…

    Und was wollen die Fans?
    1. dass Staat (Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte) und Hausherrn (Vereine, Stadionbetreiber) endlich ihr Arbeit machen und dafür sorgen, dass man im Stadion keine Angst haben muss. Das geht nämlich! Mein Tipp: Gesetze anwenden und durchsetzen.
    2. dass man weiterhin im Stehen ein Spiel schauen und zuweilen ein Lied singen kann, dass nicht aus dem krichlichen Gesangbuch sein muss
    3. dass die Tickets bezahlbar bleiben und nicht nur Geschäftskunden ins Stadion kommen
    4. dass in den Zeitungsredaktionen ein Generationenwechsel stattfindet. Die heutigen Fußballfeuilletonisten haben abgewirtschaftet („fertig“). Sie sollten (bis auf wenige Ausnahmen) durch eine junge Generation ersetzt werden, die echten fußballerischen Sachverstand und ein paar Kenntnisse über gesellschaftliche Zusammenhänge mitbringt.

    Und wie geht jetzt weiter? Heute rollt wieder der Ball, bis Mai. Dann ist EM. Im Sommer schrauben Bruchhagen und Co. in aller Ruhe wieder ein paar Schalensitze in den Rund. Dann gibt es wieder weniger billige und mehr teure Tickets. Wer fragt zum Schluss noch, wie das zustande kam?

  3. Peter
    Samstag, 29. Oktober 2011 um 01:07

    Volle Zustimmung augelibero.

    Der DFB hat die Ultras beschissen, betrogen, verarscht, instrumentalisiert. Ich finde gut dass sie sich das nicht gefallen lassen. Nun wird es Zeit, dass die Medien das aufgreifen, damit der DFB die Ultras nicht nochmal ausnutzen und instrumentalisieren kann.

  4. Florian
    Samstag, 29. Oktober 2011 um 09:42

    ähm augenlibero, recht verwirrend, was du da von dir gibst. denn wenn die vereine (oder wer auch immer) die tickets teurer machen wollen, dann bieten ihnen die supertollen randalefans genau die vorlage. wie also kann das gewollt sein? eine fußballverschwörung, in der bruchhagen und co hools anheuern, damit die schön zündeln um wieder die tickets teurer zu machen? weiterhin forderst du, dass der staat seine arbeit tut, z.b. die polizei. was genau sollen sie tun? härter durchgreifen? wie groß wird dann das geschrei der ultras, die ja jetzt schon ‚demos‘ organisieren und „fußballfans sind keine verbrecher“ skandieren? (was für ein schwachsinn, im übrigen.)ich hab nix gegen ultras, gegen randalierer allerdings schon und denen sollten ein paar knüppel auf den kopf auch nicht wirklich schaden. nur da muss die polizei maß halten, kann das also nicht. wie sieht also deine form von staatsarbeit aus? warun können sich die leute im stadion nicht einfach entsprechend benehmen, dann stören auch ein paar bengalos nicht. es muss aber dabei bleiben. viele fans sind aber ganz offenbar zu große idioten, das zu kapieren.

  5. Augelibero
    Montag, 31. Oktober 2011 um 13:14

    @Florian: ließ bitte noch einmal nach. Habe nicht behauptet, dass die Randale von den vereinen inszeniert werden. Habe behauptet, dass die Vereine die von ihnen nicht inszenierten randale nutzen, um ihre Ziele zu verfolgen. Und dass die Vereine seit Jahrzehnten massiv an den ticketpreisen schrauben, duetfte außer Zweifel stehen.

  6. Augelibero
    Montag, 31. Oktober 2011 um 13:18

    @Florian, 2: habe nicht ein härtestes durchgreifen gefordert. Möchte nur, dass Strafbestände wie koerperverletzung oder sachbeschaedigung als das behandelt werden, was sie sind. Mehr nicht, aber auch nicht weniger. Man nennt das: Rechtsstaat.

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