indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

EM 2012

High Noon in Kiew

Matthias Nedoklan | Sonntag, 1. Juli 2012 2 Kommentare

Spanien oder Italien – wer wird Europameister? Die Aufmerksamkeit der Presse ist jedoch gespalten: Porträts und Analysen der Kontrahenten, und die Frage warum Deutschland nicht dabei ist.

Peter Hess (FAZ) war bei der spanischen Pressekonferenz: „Professionell managt die Pressebeauftragte die Fragen der Journalisten, professionell antworten ihre Nationalspieler. Dabei machen sie im Gegensatz zu manchem deutschen Nationalspieler nicht den Eindruck, dass sie sich belästigt fühlen. Spanier halten nicht nur den Ball länger in den eigenen Reihen, sie reden auch länger darüber.“

Javier Caceres (SZ) blickt auf Andres Iniesta: „An diesem Sonntagabend bestreitet Iniesta mit der spanischen Nationalelf das dritte Turnierfinale innerhalb von vier Jahren – und steht damit vor der Chance, die eigene Legende noch viel größer zu machen, als sie jetzt schon ist. Gegen Italien, den Vorrundengegner Nummer eins.“
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Iniesta macht alles richtig

Auch Peter Hess (FAZ) lobt den Star der Spanier: „Mit den Füßen kann Andrés Iniesta alles. Mehr als Lionel Messi. Der Argentinier setzt sein begnadetes Talent nur für Offensivaktionen ein, der Spanier ist sich auch zum Verteidigen nicht zu schade. Was ihn zum Universalgenie des Fußballs macht, ist schwer zu beschreiben. Am einfachsten mit einem Satz: Iniesta macht einfach alles richtig, er findet in jeder Spielsituation ganz schnell die richtige Lösung.“

Italien-Expertin Birgit Schönau (SZ) schreibt – natürlich – über Mario Balotelli: „Balotelli, 21, steht erst am Anfang seiner Karriere. In Italien spielte er für Inter Mailand, in England derzeit bei Manchester City. Mit beiden Klubs hat er Landesmeistertitel gewonnen, mit Inter wurde er 2010 gar Champions-League-Sieger. Aber seinen größten persönlichen Triumph feierte er jetzt: Den Sieg über den Rassismus der eigenen Landsleute.“

Balotelli – ein Mann der Extreme

Selbstverständlich porträtiert auch Dominik Bardow (Tagesspiegel) Balotelli: „Zwei Bilder genügen, um alle Extreme zu erfassen. Die geballten Fäuste, die gespannten Muskeln, dieser Blick voller Wut, Stolz, Verachtung. Und dann: die Umarmung, Wange an Wange, Tränen fließen, das Gesicht demütig an die weinende Mutter geschmiegt, ein Lächeln.“

Michael Horeni (FAZ) vergleicht die Finalgegner: „Es ist eine gute Nachricht für den Fußball, dass nun wieder alternative Modelle um die Vorherrschaft in Europa konkurrieren. Und dass dabei jetzt auch zwei wirtschaftlich gebeutelte Nationen im Endspiel um die Euro stehen und Deutschland nicht die Kraft hatte, dies zu verhindern, ist eine hübsche europäische Pointe, die nebenbei auch viel billiger kommt als Eurobonds.“

Spanien verkörpert das Postheroische

Deniz Yücel (taz) schreibt einen Liebesbrief an die Furia Roja: „Sie verkörpern auch deshalb das Postheroische, weil ihre Stärke auf einer kollektiven Ästhetik des Zusammenspielens beruht. Sie haben ihre offensichtlichen Nachteile – die fehlende Athletik, die chronische Abschlussschwäche, die sie auch mit Villa im Sturm hatten – kompensiert oder gar zu Stärken umgewandelt. Ihr Spiel ist nicht deshalb überlegen, weil sie ein Tor nach dem anderen schießen würden; ihre Stärke kommt aus ihrem Passspiel, eine kollektive Kraft, die sich erst im Laufe des Spiels entfaltet, selbst wenn dies, wie im Halbfinale gegen Portugal geschehen, bis zur Verlängerung dauert.

Arnd Zeigler (Facebook) hat einen Offenen Brief an alle Fans und Kritiker der Nationalmannschaft geschrieben, die nach dem Ende des „Sommermärchens“, ihrem Unmut nicht ganz so charmant Luft machen: „Wer jetzt so tut als seien die deutschen Spieler nach der ersten Niederlage nach 16 Siegen hintereinander (oder wie viele waren es?) plötzlich alles Vollpfosten, Totalversager und Nullen und ihr Trainer ein Nichtskönner, der hat den Fußball nicht mal im Ansatz verstanden.“

Manchmal gewinnt der Böse

Holger Gertz (SZ) hat mit Marcel Reif das Halbfinale geguckt: „Die Unzähmbaren in Blau gegen die braven Jungs in Schwarz-Weiß. Aber die Guten gewinnen nicht immer. Und der Böse hat Charme, kennt man ja von früher. Ein Gescheitelter gegen einen mit „ner Zigarette im Mundwinkel. Wer kriegt das Mädchen? Eben.“
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Christian Eichler (FAZ) analysiert: „Denn aus einer Spielsituation mit elf Mann hinter dem Ball, alle in der eigenen Hälfte, ist mit einem einzigen Pirlo-Pass eine Folge von Eins-zu-eins-Situationen entstanden, in denen die Deutschen immer zu spät kommen. Und all das, weil fünf Mann im Zentrum sich auf einen einzigen Spieler konzentriert haben – indem sie ihn aus sicherer Distanz beobachteten. Dilettantischer kann man defensives Positionsspiel im Mittelfeld nicht betreiben als das deutsche Nationalteam in dieser Szene.“

Kinesio-Tapes leben vom Placebo-Effekt

Werner Bartens (SZ) hat Experten befragt, was die vielen bunten Pflaster, neumodisch Kinesio-Tapes den Sportlern bringen: „Allein, der wissenschaftliche Beweis für die angegebenen Wirkungen steht trotz mehr als 100 Studien aus. Über den Placebo-Effekt hinaus und die damit verbundenen subjektiv erlebten Verbesserungen hat sich kein Vorteil der Klebe-Therapie nachweisen lassen“

Philipp Selldorf (SZ) schreibt über personelle Veränderungen: „Mertesacker wird es schwer haben, seinen alten Platz zurückzuerobern, und Podolski könnte es schwer haben, seinen Platz zu verteidigen. Der Einsatz gegen Italien war ein geradezu rührender Vertrauensbeweis des Bundestrainers, allerdings auch einer zu viel.“

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Kommentare

2 Kommentare zu “High Noon in Kiew”

  1. HUKL
    Sonntag, 1. Juli 2012 um 20:49

    Kurz vor der Ziellinie der Europameisterschaft gibt es natürlich die oben erwartete Frage nach dem Sieger. Eigentlich sollte sie klar zu beantworten sein, weil nur Spanien in Frage kommt! Warum?

    Wenn es gleich losgeht, werden die Jungs das von del Bosque bisher so erfolgreich eingeimpfte System im Endspiel kaum ändern und es so weiter durchziehen, bis die Entscheidung zu ihren Gunsten gefallen ist. Da spielt es keine Rolle, ob die Zuschauer das beklatschen oder mit Pfiffen belegen.

    Einzig und allein könnte Spanien nur scheitern, wenn sich die Mannschaft plötzlich primär auf die unerwarteten Stärken ihres Gegners einstellen sollte, wie es Deutschland getan hatte und dabei, kläglich scheiterte.

    Gewinnt Italien doch, wäre es mit Sicherheit ein verdienter Europameister, weil es eben den schönsten Fußball gezeigt hat.

  2. Knülle
    Mittwoch, 4. Juli 2012 um 17:57

    Tatsächlich hätte ich eher erwartet, dass Italien siegt. Vielleicht haben unsere letzten begegnungen mit dieser Mannschaft auch ihr Ansehen bei mir so gesteigert. Aber ich bin sicher, Deutschland und Italien werden sich auch nächstes Mal in einer Finalrunde gegenüberstehen, das Schicksal schreit danach! 🙂

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