indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Am Grünen Tisch

Torlinientechnologie – alles klar, keiner weiß Bescheid

Kai Butterweck | Montag, 9. Juli 2012 5 Kommentare

Die Einführung der Torlinientechnologie sorgt bei weiten Teilen der Presse für fragende Gesichter

Am vergangenen Donnerstag wurde von der IFAB mittgeteilt, dass die Torlinientechnologie zum Einsatz kommen soll. Ob Hawk Eye oder Chip im Ball bleibt aber weiterhin unklar. Bei Thomas Kistner (SZ) hält sich die Vorfreude in Grenzen: „Nimmt man hinzu, dass interessanterweise auch die Torlinientechnologie so funktionieren soll, dass „nur der Schiedsrichter, nicht aber das Publikum“ (Englands FA-Generalsekretär Alex Horne) das entscheidende Signal erhält, stehen plötzlich quälende Erkenntnisse im Raum. Transparente Entscheidungen sollen trotz (oder gerade wegen?) des Einsatzes neuer, unbestechlicher Hilfsmittel den Zuschauern nicht geliefert werden; andere Sportarten von Tennis über Eishockey bis Kricket haben mit dieser Offenheit kein Problem.“

Wenig Veränderung

Auch Andreas Rüttenauer (taz) winkt ernüchtert ab: „Ein Videobeweis, mit dem strittige Abseitsentscheidungen überprüft werden könnten, mit dem fiese Schwalbendarsteller überführt werden könnten, das Hände Gottes als mieses Menschenwerk erkennen würde, soll es auch weiterhin nicht geben. Davor scheut die Fifa genauso zurück wie die Uefa. In ein paar ganz, ganz wenigen Situationen in ein paar ganz wichtigen Spielen wird die Torkamera für mehr Gerechtigkeit im Fußball sorgen. Mehr nicht. Die Regelhüter haben der Torlinientechnik nur deshalb zugestimmt, weil sie nicht wirklich ins Spielgeschehen eingreift.“

Birger Hamann (Spiegel Online) beruhigt das Lager der Technik-Gegner: „Die Befürchtung, dass bald auch Abseits, Ecke oder Fouls technisch überprüft werden, erscheint aber übertrieben – zumindest derzeit. Der Einführung der Torlinientechnologie ging eine mehr als zehn Jahre dauernde Diskussion voraus. Und dabei stritten die Befürworter und Gegner um die bedeutendste Entscheidung in dieser Sportart überhaupt: Tor oder kein Tor? Eine Frage, die jedes Spiel mehr beeinflusst als die Frage nach Abseits, Ecke oder Einwurf. Und die künftig mit technischer Hilfe beantwortet werden darf.“

Es bleibt Raum für Diskussionen

Benjamin Steffen (NZZ Online) erwartet hitzig geführte Streitgespräche: „Dennoch bleibt Raum für Diskussionen. So ist nicht ausgeschlossen, dass nach Technik-Konsultation bald Tore anerkannt werden, denen umstrittene Situationen vorausgingen, die aber nicht visioniert werden dürfen. In der weltumspannenden Fußballgeschichte gibt es viel mehr aus Abseitspositionen erzielte Tore als Goals, die fälschlicherweise nicht anerkannt wurden.“

Peter Stolterfoht (Stuttgarter Zeitung) klatscht begeistert in die Hände: „Durch die Torlinientechnik wird der Fußball gerechter. Was spricht da dagegen? Tradition? Die Fehlentscheidung als schützenswertes Gut? Das kann nicht sein. Und wer damit argumentiert, dass sich die aufwendige Fußballtechnik nicht überall einführen lasse, der sollte einmal in der Kreisliga vorbeischauen. Solange dort die Linienrichter von den gegeneinander spielenden Teams gestellt werden, ist es ein untauglicher Versuch, die Torlinientechnik mit dem Verweis auf uneinheitliche Spielregeln für falsch zu erklären.“

Keine Zweiklassengesellschaft

Im Interview mit Zeit Online macht Torlinientechnologie-Mitentwickler René Dünkler (GoalRef-System) allen „Dorfvereinen“ Hoffnung: „Unser Ziel ist es, eine Zweiklassengesellschaft zu verhindern. Wir wollen das System in möglichst großen Stückzahlen produzieren. Technik wird rapide günstiger – dafür sorgt schon die Zeit, aber auch steigende Stückzahlen. Die Fifa hat das Beispiel Flachbildschirme genannt: Die haben auch mal 10.000 Euro gekostet. Heute gibt es sie für ein paar hundert.“

freistoss des tages

 

 

Kommentare

5 Kommentare zu “Torlinientechnologie – alles klar, keiner weiß Bescheid”

  1. Manfred
    Montag, 9. Juli 2012 um 11:23

    Ich bin voll und ganz der Meinung, die im fdt vertreten wird.
    Die seitens Herrn Dünkler (bzw der FIFA) vorgetragene Rechnung ist die eines extrem hinkenden Milchmädchens: 300.000 in Relation zu 10.000 Euro zu setzen und dann von ‚ein paar Hundert‘ für die Fernseher zu fabulieren vergißt die Erwähnung, dass das System 30x teurer ist. Das ist besänftigendes Marketinggeschwätz, aber extrem weit an der Realität vorbei.

  2. HUKL
    Montag, 9. Juli 2012 um 18:23

    Die Torlinientechnologie wird immer umstritten bleiben!

    Im Gegensatz zur Meinung des Mitentwicklers, Rene` Dünckler, wird es bei einer Einführung allein schon aus fehlenden praktischen und finanziellen Gründen vorerst nur dort Anwendung finden können, wo es aus den verschiedensten Gründen auch Sinn macht und eine materielle Grundlage vorhanden ist. Damit wäre eine Zweiklassen-(und weit mehr) Gesellschaft regelrecht vorprogrammiert.

    Aus völlig normalen Überlegungen hat sich UEFA- Präsident Platini, der selbst auf dem Rasen ein großer und überall verehrter Spieler war, dem Beschluss des FIFA-Komitees mit seinem langjährigen Freund J. Blatter an der Spitze beugen müssen. Das Umdenken des selbsternannten Korupptionsbekämpfers und Revolutionärs im Fußballweltverband hin zur Technik im Fußball ist für mich ein Akt der Ablenkung von seiner ihm nachgesagten schlimmen und weiterhin unaufgeklärten Vorgänge in der nach wie vor sehr umstrittenen langjährigen „Blatter-Vergangenheit“!

    Kein Dorfverein wird sich diese noch nicht einmal in der Praxis ausgewertete Torlinientechnik leisen wollen, weil die Anwendung in einem Spiel eigentlich gegen Null geht. Wenn zum Beispiel gerade einmal drei (3) Fälle von Torstreitigkeiten im europäischen bedeutenden Fußballtreffen der letzten fast fünfzig Jahre besonders bekannt wurden, war der „Torklau von Donesk“ vor ein paar Wochen wohl der ausschlaggebende Anlass zu dieser Entscheidung gewesen.

    Als langjähriger mittelmäßig in fast allen Klassen spielender Fußballer und auch als Dipl.-Ingenieur sehr für Technik Interessierter kann ich mich nicht ernstlich an richtige Streitigkeiten um eine fragwürdige Torerzielung in meiner Vergangenheit erinnern. Was würde das in der Praxis bedeuten?

    Im Gegensatz zum Tennis, wo die Bälle förmlich sekündlich um die Linien fliegen, wird es bei einem Fußballspiel aller Jahre eher sehr selten zu einer strittigen Entscheidung kommen, ob es ein Tor war oder nicht. Das Aufstellen von Videostationen, wie bei den Geschwindigkeitsmessungen der Polizei, würden schon in den Morgenstunden eines Fußballtages beginnen, um danach, ohne Anwendung in den meisten Fällen wieder abgebaut zu werden. Dann heißt es noch Ball im Chip, obwohl heute jeder weiß, dass bei etwas höher eingruppierten Spielen fast aller 20m rund um die Rasenfläche jeweils ein Balljunge steht, der bei einem normalen Ausball sofort dem Einwerfenden einen neuen Ball zuwirft und ihn dabei meistens dabei noch erschreckt. Wenn schon, dann müsste eine komplette Videoüberwachung erfolgen, das allerdings den Tod des Fußballsportes bedeuten würde!

    Durch den Kommerz wird eines der beiden angebotenen Systeme (Kamera/Chip) auf der Strecke bleiben. Es wird das sein, dessen Produktionsfirma mit den Wurzeln der FIFA noch nicht verknüpft sind, auch wenn die Herstellungspreise unterschiedlich hoch liegen…..

    Wie bekannt ist, gibt es vor einer strittigen Torszene genügend andere sehr wichtige Momente, die entscheidend sein können, wie z.B. Foul-oder Handspiel, Abseits, Markieren nach einer leichten Fremdberührung usw. Folglich wäre dann allerdings auch der nächste Schritt, nämlich das Anbringen/Einnähen von Sensoren in alle Fußballschuhe, an wichtige Stellen des Körpers, in die verschiedenen Kleidungsstücke der Spieler, um nach einer Liste in Tabellenform nach Signalübersendung die Entscheidungen des Schiedsrichters (mit der Pfeife) zu erleichtern……Das ist doch undenkbar! Wohin soll das noch hinführen?

    Woran wahrscheinlich noch keiner der Experten gedacht hat:
    Wie bei der gerade beendeten Europameisterschaft hat durch die perfekte Fernsehtechnik jeder Zuschauer zu hause und an den vielseitig in den Stadien angebrachten Videowänden durch die sofort eingespielten Wiederholungen alle wichtigen Szenen bestens serviert bekommen. Wenn der entscheidende Schiedsrichter (also der mit der Pfeife) nach seinem jeweiligen Pfiff seine eigene Wahrnehmung mit den öffentlich wiederholten Bildern nach nur ein paar Sekunden (!) verglichen hätte, so wäre auch der schon zitierte „Torklau von Donezk“ nicht entstanden , der ohne „Chip im Ball“-System und den armen, sich die Nase fast am Torpfosten platt gedrückten zusätzlich engagierten Torrichterkollegen aus Ungarn, der einfach einen menschlichen Aussetzer zu haben schien, trotzdem passierte!

    Da diese Fernsehtechnik schon völlig ausreichen würde, doch in den unteren Klassen kaum anwendbar ist, wird es aus meiner Sicht weiterhin eine zwei- und mehrklassige Gesellschaft geben, wo vordergründig allein die Schiedsrichterpfeife, seit über 130 Jahren im Fußballsport, ein bewährtes Hilfsmittel bleibt, statt evtl.“ verstrahlte“ Torhüter bemitleiden zu müssen, die im Käfig sich kaum noch bewegen können……

  3. Benjamin
    Dienstag, 10. Juli 2012 um 19:54

    Die große Stärke des Fußballs ist die Macht eines Tores und damit die relative Stärke des Zufalls. Zumeist gewinnt die bessere Mannschaft, aber der Außenseiter wird im Vergleich zu anderen Sportarten strukturell befördert, weil eben immer mal ein Ball reingeht.

    Gerade wegen dieser Bedeutung des Tores, muss alles getan werden, dass es auch verdient fällt! Die Fehlentscheidung mag beim positiv Betroffenen zwar ein schauderndes Wohlgefühl auslösen, das Opfer hingegen spürt nur rasende Wut. Dieser Zustand, vor allen Augen der Ungerechtigkeit ein solches Gewicht einzuräumen, ist unmenschlich. Funktionäre, die Technik ist da, tut eure Pflicht!

  4. Tobi
    Mittwoch, 11. Juli 2012 um 11:54

    Ich verstehe das Argument nicht, dass Technologie den Fussball spalten wuerde. In anderen Sportarten ist es doch auch voellig egal – im Rugby regt sich auch kein Amateurverein darueber auf, dass sie sich die Videoanalyse von strittigen Versuchsentscheidungen nicht leisten koennen.

    Und inwieweit im Fussball tatsaechlich Waffengleichheit herrscht ist auch mehr als fragwuerdig – wie der Artikel schon beschreibt, gibt es bei den meisten Amateurspielen nur Behelfslinienrichter, von diesen albernen Torrichtern braucht man gar nicht erst anzufangen, und so mancher Schiedsrichter hat mangels Kondition auch eher selten den vollen Ueberblick. Schadet das dem Sport? Die 12 jaherigen Kinder, die den schwergewichtigem und asthmatischem Schiedsrichter dabei zugucken, wie er Richtung Elfmeterpunkt trabt wollen doch nach wie vor in der Bundesliga spielen…

    Profisport ist kommerziell und kapitalistisch, da wird sich kein Kreisliga C – Kicker irgendwelche Illusionen darueber machen. Mit Chip im Ball oder ohne…

  5. Shileno
    Donnerstag, 12. Juli 2012 um 16:06

    Es gibt ja auch noch einen entscheidenden Unterschied zwischen Kreisklasse und Champions League etc. In ersterer wird die Partie nämlich nicht von Millionen von Zuschauern verfolgt, die jede Entscheidung des Schiedsrichters direkt am Bildschirm (und teilweise sogar auf den Videotafeln im Stadion) innerhalb von kürzester Zeit über Zeitlupe überprüfen können. Letzteres braucht eben größtmögliche Entscheidungssicherheit für den Schiedsrichter, der halt schnell vor der halben Welt als Volltrottel dasteht. Daher finde ich es allerdings auch sinnvoller, wenn man die schon zur Verfügung stehenden Kameraaufzeichnung als Entscheidungshilfe heranzieht, anstatt ein neues kostspieliges System aufzubauen. Wenn ein Spiel nicht von Kameras begleitet wird, braucht man eben auch den absoluten Nachweis nicht.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

113 queries. 0,518 seconds.