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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2014

Appetite for Destruction

Erik Meyer | Mittwoch, 25. Juni 2014 Kommentare deaktiviert für Appetite for Destruction

Das beherrschende Thema des Tages ist der Biss von Suárez, doch Prandelli beklagt mangelnden Patriotismus. Müssen wir dagegen beim nächsten Spiel der DFB-Elf mit einem Nichtangriffpakt rechnen?

Während in Deutschland bereits „Party-Patriotismus“ beklagt wurde, hält der zurückgetretene italienische Coach nach dem Ausscheiden seiner Mannschaft dort das Gegenteil für mitverantwortlich an der Misere, berichtet Daniel Theweleit (Spiegel Online): „‚Wir haben keinen Sinn für Patriotismus‘, zürnte der 56-Jährige. Die Gründe für das Scheitern sieht er nicht allein auf dem Rasen, sondern auch im angeblichen Widerstand in Teilen der italienischen Gesellschaft. ‚Wir wurden mit einer Aggressivität kritisiert, als wären wir eine politische Partei‘, sagte Prandelli.“

Vor dem Spiel Italien gegen Uruguay unterhielt sich Dominik Bardow (Zeit Online) mit Mauro Valeri, dem Autor einer Balaotelli-Biografie: „Den Rassismus habe Italien auch nach Ende des Faschismus nie überwunden, sagt der Forscher, der die Beobachtungsstelle für Fremdenfeindlichkeit im italienischen Fußball leitet.  Als Sohn ghanaischer Einwanderer müsse sich Balotelli doppelt beweisen, um anerkannt zu werden. Immer wieder sagen ihm Afrikaner, egal welcher Generation, dasselbe, berichtet Valeri: ‚Du musst 200 Prozent geben, um 100 Prozent zu bekommen.‘“

Christopher Farkas (taz) widmet sich dem Blackfacing, bei dem sich weiße Fans schwarz schminkten und den afrikanischen Gegner parodierten. Für ihn passt das als rassistisch kritisierte Verhalten allerdings in das Bild, das die Regie der FIFA von der WM entwirft: „Besonders gern zeigt man in den Übertragungen solche Fans, die dem globalen Klischee der Nation am ehesten entsprechen: Die Schweizer mit Käse auf dem Kopf, die Mexikaner mit Sombreros, als Frau Antje verkleidete Niederländer, Deutsche – na klar – im Dirndl. Oder den schamanenhaft weißgeschminkten Schwarzen mit Dreadlocks, der in den Ghana-Spielen ständig in Zeitlupe zu sehen war. Das Weltpublikum nickt mit dem Kopf und sieht sich in seinen Vorurteilen bestätigt – ganz wie im 19. Jahrhundert in den Shows der schwarzbemalten weißen Schauspieler.“

Gijón = Recife?

Philipp Selldorf  (SZ) sieht in seinem Kommentar auch strukturelle Gründe, warum ein „Nichtangriffspakt“ beim Spiel der DFB-Elf gegen das US-Team unwahrscheinlich erscheint: „Früher konnte eine Mannschaft den Ball beim Torhüter in Schutzhaft geben, wenn sie sich dem Spiel entziehen wollte. Das führte zu Qualen für Gegner und Zuschauer. Die Abschaffung des Rückpasses hat den Fußball von einem potenziell hochgiftigen Element befreit.“

Frank Herrmann (Der Standard) denkt über die Gründe dafür nach, dass Fußball bei dieser WM in den USA an Popularität zulegt: „Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Klinsmanns Truppe für ein uramerikanisches Erfolgsrezept steht. (…) Seit 300 Jahren schon lebe man nach dieser Formel, doziert Matthew Futterman, einer der bekanntesten Fußballreporter des Landes. ‚Wir nehmen Talente von überallher, um sie in unserem Namen an die Arbeit gehen zu lassen.‘“

Methusalem Mondragón

Mit seinem Kurzeinsatz beim Sieg Kolumbiens über Japan wird der kolumbianischen Torwart Faryd Mondragón zum ältesten Spieler, der jemals bei einer WM gespielt hat. Tobias Käufer (FAZ) rekapituliert das epische Ausmaß des Torhüter-Engagements: „Er war dabei als sich die mächtigsten Kartelle aus Medellin und Cali auch im Fußball duellierten, Schiedsrichter ermordeten und Präsidenten kauften. Er erlebte den Schock mit, als 1994 Andres Escobar in Medellin wegen seines Eigentors zuvor bei der WM in den Vereinigten Staaten ermordet wurde. Und er ist heute wieder dabei, wenn sich das neue Kolumbien als eine aufstrebende Wirtschaftsnation präsentiert, das versucht den jahrelangen Krieg zwischen linksgerichteten Guerillagruppen und dem Staat auf dem Verhandlungswege zu beenden.“

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