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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2014

Jogi Bonito statt Jogo Collapso

Erik Meyer | Donnerstag, 10. Juli 2014 Kommentare deaktiviert für Jogi Bonito statt Jogo Collapso

Argentinien schlägt die Niederlande und steht gegen Deutschland im WM-Finale. Doch die Presse verarbeitet noch den Niedergang der Seleção und den Auftritt der deutschen Mannschaft.

Marc Koch (Deutsche Welle) berichtet von der argentinischen Fußball-Euphorie: „In der spielfreien Zeit werden alle möglichen Gegner, die eigenen Spieler, deren Umfeld und selbstverständlich alle anderen Begleitumstände tiefenanalysiert. Die entsprechenden Sondersendungen im Fernsehen dauern gerne acht oder zehn Stunden – oder auch länger, wenn Messis Gemütszustand, di Marías Oberschenkel oder die finstere Miene von Trainer Alejandro Sabella es erfordern. Tagesaktuelle Nachrichten werden in Drei-Minuten-Blöcke gepresst und zur Not auch nur im Splitscreen-Modus auf dem halben Bildschirm gezeigt.“

Daniel Meuren (FAZ) analysiert die Defizite im Spiel der Elftal: „Die Niederländer schenkten die Möglichkeit der Spielgestaltung aus dem Zentrum heraus freiwillig her zugunsten der Nominierung eines destruktiven Defensivspieler wie Nigel de Jong. Bei den ‚Oranjes‘ galt einmal mehr das Prinzip Hoffnung: Ein langer Ball in die Angriffsreihe – und dort sollten die drei Kreativspieler Robben, Sneijder und van Persie schauen, was sie anstellen können.“

Frank Hellmann (FR) verabschiedet die Seleção: “Ihre Träume zerflossen schneller als jedes Eis in der prallen Sonne an der Copacabana. Und ergossen sich in ein Meer von Tränen. Doch wenn sie trocknen, täte der brasilianische Fußball gut daran, sich Gedanken über die Gründe für das Scheitern zu machen. Die liegen in der Talentförderung, in der Ausbildung, im Ligabetrieb.“

Der Schlüssel zum deutschen Erfolg? Lars Wallrodt (Welt Online) erklärt den Abschied vom Ideal dazu, das dem Bundestrainer eigentlich vorschwebt: „Er liebt das schnelle Passspiel, die Dominanz, und war früher bereit, dafür Risiken in der Defensive einzugehen. Doch dann dämmerte es ihm: Im tropenwarmen Brasilien funktioniert das laufintensive Spiel nicht, das ihm vorschwebt. Seine Spieler wären schneller platt als Reiner Calmund beim Crosslauf.“

Hartplatztreter

Der DFB-Präsident Niersbach wird für ein forsches TV-Interview kritisiert, notiert Benjamin Knaack (Spiegel Online): „Niersbach genoss ganz offensichtlich den Glanz, den der zweifelsohne beeindruckende Auftritt der Nationalmannschaft offensichtlich abstrahlte: ‚Auf der Ehrentribüne haben mich die Leute nur angeguckt‘, sagte Niersbach stolz: ‚Das war Fußball von einem anderen Stern.‘ Die deutschen Spieler vermieden größtenteils solche Superlative.“

Für Martin Kaul (taz) hat das Halbfinal-Debakel Brasiliens etwas zwangsläufiges: „Und so nannten einige sportliche Gründe für einen berechtigten Abschied, andere vor allem politische. Denn ebenso uneins, so wenig mannschaftlich, ebenso künstlich, wie diese Mannschaft mit ihren verschiedenen Charakteren zusammengeknebelt wurde – mit Hartplatztretern wie Fred und hoffnungsträchtigen Markenfiguren wie dem Ballettasketen Neymar – so ist auch dieses Land mit seiner wechselhaften Imperialgeschichte einer Kollektivkultur entsprungen, die sich niemals auf ein Homogenes, auf etwas so Absurdes wie einen Volkskörper reduzieren, vereinfachen lassen könnte.“

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