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EM 2016

EM 2016 – Was erlauben Scholl?

Kai Butterweck | Montag, 4. Juli 2016 Kommentare deaktiviert für EM 2016 – Was erlauben Scholl?

Nach einem dramatischen Elfer-Krimi zieht Deutschland ins EM-Halbfinale ein. Alle sind happy. Nur einer poltert los. Sein Name: Mehmet Scholl. Die Presse watscht zurück

Mehmet Scholl wertet Joachims Löw Taktik gegen Italien als Zeichen von Schwäche. Lukas Rilke (Spiegel Online) sieht das anders: „Der ehemalige Bayern-Spieler regte sich darüber auf, dass Löw seine Mannschaft anders als in den bisherigen EM-Spielen mit drei Innenverteidigern und zwei Außenverteidigern hatte spielen lassen. Er verkannte dabei, dass Anpassung nicht gleichbedeutend ist mit dem Eingeständnis von Unterlegenheit. Im Gegenteil, Variabilität ist das größte Zeichen von Stärke, das ein Trainer und seine Mannschaft im modernen Fußball demonstrieren kann.“

Was für eine überholte Vorstellung?

Oliver Fritsch (Zeit Online) verweist auf Trophäen-Sammler Pep Guardiola: „Oliver Bierhoff reagierte verärgert. Scholl habe den ganzen Trainerstab angegriffen, sagte der DFB-Manager. Aber über Stilfragen ließe sich hinwegsehen. Nicht jedoch über Inhaltliches. Scholl lehnt es ab, dass sich Trainer am Gegner orientieren. Was für eine überholte Vorstellung! Pep Guardiola reagiert ständig auf das gegnerische Team und schraubt an den Details, sogar während des Spiels.“

Lars Wallrodt (Welt) haut auf den Tisch: „Es zeugt schon von einem gehörigen Schuss Arroganz, diese Debatte anzustoßen. Besagt sie im Kern doch nichts anderes, als dass die deutsche Mannschaft so meilenweit über allen anderen steht, dass sie sich nicht nach dem Gegner zu richten habe. Leider verkennen Anhänger dieser These, dass mit Italien keine Laufkundschaft als Gegner kam, sondern das bis dato vielleicht beste Team der EM.“

Ein Erfolg der Mentalität

Noch zwei Siege bis zum Titel. Sebastian Fischer (SZ) konzentriert sich auf das Wesentliche: „Ein Erfolg im ersten Elfmeterschießen überhaupt gegen eine italienische Mannschaft, ein Erfolg nach einer flammenden Ansprache auf dem Rasen von Joachim Löw, ein glücklicher Erfolg im Angesicht des Ausscheidens, ein Erfolg der Mentalität – so etwas kann in einem Turnier große Kräfte freisetzen. Doch noch etwas anderes bleibt von diesem Abend von Bordeaux, das Löws Mannschaft nun bis ins Finale tragen kann: Sie ist am Samstagabend am Ende besser gewesen als der bestmögliche Plan ihres Trainers.“

Jan Christian Müller (FR) atmet erst einmal tief durch: „Am Ende waren nicht mehr taktische Kriterien entscheidend, sondern die Kraft und Kondition, Glück und Nervenstärke. Und da erwiesen sich die Italiener am Ende doch nicht, wie vorher insgeheim erwartet, heillos unterlegen, sondern erstaunlich widerstandsfähig. Kein Zweifel, die deutsche Mannschaft und ihr Trainerteam hatten sich das eigentlich leichter vorgestellt.“

Auch Michael Horeni (FAZ) wischt sich den Schweiß von der Stirn: „Vom Ziel, die Italiener schnell knacken zu wollen, waren die Deutschen bis zur Pause weit entfernt. Mit Özils herrlich herausgespielten Treffer in der 65. Minute schien dann alles zu laufen wie geplant. Dann führte Boatengs Missgeschick zum Handelfmeter – und den Klassiker entschied danach kein taktischer Plan mehr. Sondern allein die Unwägbarkeit des Fußballs, auf die Deutschland gegen Italien zum ersten Mal eine Antwort gefunden hatte, als es so spannend darauf ankam wie noch nie.“

Ex-Nationalspieler Thomas Helmer (derwesten.de) bereitet der Ausfall von Mario Gomez große Sorgen: „Mario hat an Ballfertigkeit zugelegt, die Vorbereitung zum Führungstor war großartig. In seiner Form können wir ihn nicht gleichwertig ersetzen. An Löws Stelle würde ich Thomas Müller in die Zentrale schicken, das Experiment mit Mario Götze als falsche Neun, also als spielender Stürmer, hat nicht funktioniert.“

Spiele werden im Kopf entschieden

Anno Hecker (FAZ) adelt jeden einzelnen Elfer-Helden: „Spiele werden im Kopf entschieden. Deshalb ist es kein Pech, wenn der Ball in den Nachthimmel fliegt oder an den Pfosten klatscht. So wie es kein Glück ist, wenn er im Winkel landet oder unter den Armen des Torwarts hindurch ins Netz fliegt. Es gibt keinen Modus, ein Spiel nach 120 Minuten zu entscheiden, der fairer ist. Beim Elfmeterschießen gewinnt selbst nach vielen Fehlschüssen hüben wie drüben immer der – für einen Moment – Bessere.“

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