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WM 2018

WM 2018 – Finalic!

Kai Butterweck | Donnerstag, 12. Juli 2018 3 Kommentare

Nach Frankreich kickt sich Kroatien als zweites Team ins WM-Finale. Die Presse macht große Augen

Frankreichs WM-Endspielgegner heißt Kroatien. Christian Spiller (Zeit Online) ist gespannt: „Das kleine, sportverrückte Land mit seinen nur gut vier Millionen Einwohnern schickt sich nun also an, auch im Fußball so richtig erfolgreich zu sein. Und wenn man vor und teilweise auch während des Spiels noch dachte, dass Frankreich schlicht zu gut sein wird im Finale, so beeindruckt doch der Wille und die Hingabe der Kroaten, die nun auch die dritte Verlängerung hintereinander überstanden. In Verbindung mit den strategischen Fähigkeiten des Mittelfeldduos Modrić und Rakitić könnte das WM-Finale spannender werden, als viele denken.“

Die Alten sind nochmal davongekommen

Jan Scheper (Berliner Zeitung) steht mit Blumen vor der Kabine der Kroaten: „Die Alten sind nochmal davongekommen. Die Jungen können trotzdem stolz sein. Sie haben Geschichte geschrieben – so oder so. Die gesetzten Herren aus Kroatien treffen im WM-Finale auf Frankreich. Das ist fraglos verdient. Dieses zweite Halbfinale war ein Sieg der Konzentration, der Etablierten um Luca Modric.“

Oliver Fritsch (Zeit Online) adelt Luka Modrić: „Eine rasche Drehung nach rechts, eine schnelle Drehung nach links, ein Hüpfer, ein Zucken, mal eben beschleunigt, dann wieder verzögert, immer beäugt, aber nie beeinträchtigt von seinen englischen Gegnern. Modrić ist der prägende Spieler Kroatiens, vielleicht sogar der gesamten WM. Wie in den Spielen zuvor leuchtete er vor Klugheit. Gäbe es einen Band Asterix bei den Kroaten oder Asterix auf dem Balkan, hieße er Luka Spielvić.“

Christoph Wolf (n-tv.de) klopft den Verlierern anerkennend auf die Schultern: „Seit ihrem WM-Triumph 1966 haben die Engländer das Scheitern unfreiwillig zur Fußballkunst erhoben. Der K.-o. in Moskau nach früher englischer Führung samt beeindruckender erster Halbzeit, akrobatischem Ausgleich für Kroatien durch Ivan Perisics Zirkus-Volleytor und kroatischem Lucky Punch in der Verlängerung schmerzte, aber er schmerzte anders als so oft zuvor. Auch wenn der unerbittliche Zähler für die Jahre seit der letzten englischen Finalteilnahme jetzt von absurden 52 auf noch absurdere 56 Jahre springen wird: England hat zwar erneut verloren, aber gescheitert ist die junge Mannschaft in Russland nicht. Weder am Turnier noch an sich selbst.“

Echter Zusammenhalt, Euphorie und Hunger

Pascal Jochem (dw.com) bestellt sich ein England-Trikot: „Echter Zusammenhalt, Euphorie und Hunger. England hat bei dieser WM all das gezeigt, was der deutschen Mannschaft gefehlt hat. Anders als Bundestrainer Joachim Löw hat England-Coach Gareth Southgate die richtige Ansprache gefunden, die richtigen Charaktere zusammengestellt und den Schwerpunkt seiner Arbeit aufs Teambuilding gelegt. Herausragende Einzelspieler hatten die Engländer schon immer, doch diesmal sind sie tatsächlich auch als Mannschaft aufgetreten.“

Wer erklimmt am Sonntag den Fußball-Gipfel? Tom Steinicke (ksta.de) stellt schon mal den Champagner kalt: „Raphael Varane, Samuel Umtiti, Kylian Mbappé, Paul Pogba und Antoine Griezmann zaubern, glänzen – und taktieren. Die Ausnahmespieler können auch Taktik – Erinnerungen an 1998 werden wach. Auch dank Deschamps, der als Spieler Teil des großen Triumphs im eigenen Land war. Er hat die richtige Mischung aus erfahrenen und ambitionierten jungen Spielern gefunden, denen eins gemeinsam ist: der Hunger nach Erfolg.“

Alex Veiel (FR) singt und tanzt auf der Champs-Elysées: „Ein Hauch von „Black-Blanc-Beur“ liegt in der Luft, jenem nach dem WM-Sieg 1998 beschworenen Schulterschluss zwischen Schwarzen, Weißen und Nachfahren arabischer Einwanderer, die einander im Alltag oft erschreckend fern sind. Wie damals haben die Spieler ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft erfolgreich gemeinsame Sache gemacht. Im Freudentaumel geeint, eifern die Fans ihnen 20 Jahre später von Neuem nach.“

Andreas Bock (Tagesspiegel) bestellt sich eine Riesenportion Pommes Frites: „Was bleibt einem, wenn man seit den Achtzigern auf ein WM-Finale mit Belgien wartet? Auf den Tag wartet, den Guy Thys versprochen hat? Ein paar Dribblings von Eden Hazard, ein paar Zauberpässe von Kevin de Bruyne – und die Erkenntnis, dass Belgien wie immer das schönste Trikot der WM hatte. Und eine Floskel von Trainer Roberto Martinez: „Einer muss gewinnen, einer verlieren.“ Dabei ist die Sache eigentlich ganz schön tragisch.“

Das Saarland Europas

Michael Setzer (Stuttgarter Zeitung) setzt sich dazu: „Bis vorgestern noch belief sich mein Fachwissen über Belgien auf Folgendes: Belgien ist so etwas wie das Saarland Europas und ein Land, das meist von Leuten besucht wird, die sich auf dem Weg nach Holland verfahren haben. Nun weiß ich: Ich möchte Eden Hazard und Romelu Lukaku viel öfter noch bei der Arbeit zusehen. Danke, Fußball.“

Johannes Aumüller (SZ) beschäftigt sich mit dem tristen Nach-der-WM-Dasein der russischen Turnier-Stadien: „Die mangelnde Nutzung von Arenen und Wettkampfstätten nach sportlichen Großveranstaltungen gehört zu den klassischen Problemen, unter denen Ausrichterländer zu leiden haben. Die sogenannten weißen Elefanten prägen die Landschaft von Athen (Sommerspiele 2004) bis Südafrika (WM 2010). Und jetzt drohen ein paar dieser Exemplare auch in den insgesamt elf russischen Austragungsorten zu entstehen, in denen in den Um- und Neubau von Stadien für die WM zirka sechs Milliarden Euro flossen.“

Ganze drei Bundesligaspieler (Kramaric, Rebic, Pavre) werden am kommenden Sonntag beim WM-Finale „live“ dabei sein. Sven Flohr (Welt) ist enttäuscht: „Nur alle vier Jahren finden Fußball-Weltmeisterschaften statt. Sie bilden die ultimative Leistungsschau dieses Gewerbes, machen aus Spielern Weltstars oder stufen eben solche zu gewöhnlichen Profis zurück. Auch für die großen Ligen ist die WM ein wichtiger Gradmesser im internationalen Gerangel um Aufmerksamkeit, TV-Gelder und Transferbemühen. Und da lässt das aktuelle Turnier nur einen Schluss zu: Die WM 2018 ist auf allen Ebenen ein Tiefschlag für die Bundesliga.“

Powered by Wella

Stephan Reich (11Freunde) amüsiert sich über den Fifa-Strafenkatalog und stellt gleich noch ein paar weitere Warnschilder auf: „Im Zuge eines Sponsoring-Deals mit einem Haarpflegemittel-Hersteller hat die Fifa exklusiv die rechte Hand als offizielle Fifa-Durch-die-Haare-fahren-Hand powered by Wella vermarktet. Sollten Spieler auf dem Spielfeld oder im Innenraum die linke Hand zum Haare richten benutzen, drohen empfindliche Strafen.“

Daniel Theweleit (Berliner Zeitung) beschäftigt sich mit Fifa-Präsident Gianni Infantino: „Nie ist ein Präsident geschickter durch die WM-Wochen geschwebt, immer im Bild bei den wichtigen Spielen, als diplomatische Instanz auf dem Sessel zwischen Staatspräsidenten, weltmännisch nonchalant, neutral. Und die TV-Regie  folgt brav der Anweisung, den Präsidenten in Szene zu setzen: Bei Toren gratuliert er dem einen, spricht Trost an den anderen aus, die Fifa inszeniert sich als friedfertiges Verbindungsstück zwischen den Nationen in einer Welt, die mehr und mehr auseinanderzubrechen scheint.“

Kurz vor Ende der WM tauscht Andreas Rüttenauer (taz) das Trikot gegen die Regenjacke: „Das Blau ist vom Moskauer Himmel verschwunden. Seit die russische Nationalmannschaft ausgeschieden ist, hängen meist schwere Wolken über der Stadt. „Der Sommer geht zu Ende“, so heißt eines der berühmtesten Lieder der russischen Rockgeschichte. Es passt ganz gut zu diesen Tagen, in denen mit dem Ende der Weltmeisterschaft auch die Gedanken darüber zurückkehren, dass Russland vielleicht doch nicht dieses lässige, schöne Land ist, als das es sich während der WM so gerne hat beschreiben lassen.“

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Kommentare

3 Kommentare zu “WM 2018 – Finalic!”

  1. Van Kuchen
    Donnerstag, 12. Juli 2018 um 22:21

    Die mangelnde Nutzung von Arenen und Wettkampfstätten nach sportlichen Großveranstaltungen gehört zu den klassischen Problemen, unter denen Ausrichterländer zu leiden haben. Die sogenannten weißen Elefanten prägen die Landschaft von Athen (Sommerspiele 2004) bis Südafrika (WM 2010)

    Tja, das nennt sich Kapitalismus.
    Im Grund könnte man die WM ja imemr am gleichen Ort austragen, dann würde sich das Bauen der Stadien wenigstens lohnen.

    Wir leben im Kapitalismus und wir sollten anfangen, uns darüber klar zu werden, was das genau bedeutet…
    UND: darüber diskutieren, wie wir leben wollen.

  2. Van Kuchen
    Donnerstag, 12. Juli 2018 um 22:22

    Die mangelnde Nutzung von Arenen und Wettkampfstätten nach sportlichen Großveranstaltungen gehört zu den klassischen Problemen, unter denen Ausrichterländer zu leiden haben. Die sogenannten weißen Elefanten prägen die Landschaft von Athen (Sommerspiele 2004) bis Südafrika (WM 2010)

    Tja, das nennt sich Kapitalismus.
    Im Grunde könnte man die WM ja immer am gleichen Ort austragen, dann würde sich das Bauen der Stadien wenigstens lohnen.

    Wir leben im Kapitalismus und wir sollten anfangen, uns darüber klar zu werden, was das genau bedeutet…
    UND: darüber diskutieren, wie wir leben wollen.

  3. Van Kuchen
    Donnerstag, 12. Juli 2018 um 22:24

    Ich bin dafür, ab der nächsten WM die Zahl der teilnehmenden Nationen auf 32 und dann schrittweise immer weiter zu reduzieren und diesen (ökologischen und gesellschaftlichen) Unsinn bis zum Jahr 2030 auszuschleichen

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