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Bundesliga

Klinsmann, der Ackermann des Fußballs

Oliver Fritsch | Donnerstag, 30. April 2009 Kommentare deaktiviert für Klinsmann, der Ackermann des Fußballs

Der rasante Abstieg Jürgen Klinsmanns wird von Häme statt Mitgefühl begleitet (Welt) / Trainersuche – Vorbild Hamburg (FAZ) / Bayern München, kein Verein für Lucien Favre (BLZ) / Wechselgerücht um Felix Magath zum „denkbar ungünstigsten Zeitpunkt“ (SZ) / Martin Jol, ein aussagefreudiger Interviewpartner

Mit Erschrecken beschreibt Oskar Beck (Welt), wie Jürgen Klinsmann in München seinen Ruf verspielt hat und wie wenig Mitgefühl ihm zuteil wird: „2006. Ach, war das ein sorgloser Sommer. Die Sonne hat gelacht, die Wirtschaft gebrummt, die Leute waren gut drauf, der Deutsche als solcher hatte seinen Neid im Griff, der Klinsmann die Gegner, jeden Euro haben wir diesem Bundestrainer gegönnt, er war sein Geld wert und seiner Zeit voraus, die Leitartikler haben ihn gefeiert als Visionär, als Erneuerer, als Triebfeder der Deutschland AG, und sogar der Beckenbauer und die Bild-Zeitung haben sich von ‚Grinsi-Klinsi‘ am Ende anstecken lassen. Klinsmann war der Nabel der großen Gefühle, und das Größte war das Schweigen seiner Feinde. Vorbei. Vergessen. Verjährt. 2009. Ach, was für ein grässliches Jahr. Das Sommermärchen ist dem Albtraum der Wirtschaftskrise gewichen, und die Menschen leiden nicht mit dem Klinsmann, sie haben genug mit sich selbst zu tun. Jeden Tag malen die Leitartikler den Teufel an die Wand, und der geplagte Deutsche als solcher hat auf alle Besserverdiener, Leistungsträger, Manager oder Großkopferte einen solchen Generalgroll, dass er jeden Sündenbock dringend brauchen kann, vom Ackermann bis zum Klinsmann. Was, murren viele Sorgenbeladene, bleibt von dessen alten Verdiensten, wenn sie verglichen werden mit den fünf Millionen, die er jetzt als Abfindung von den Bayern kassiert? Beim Geld hört der Spaß der ehemaligen Spaßgesellschaft auf, da kapitulieren über Nacht die besten Gefühle – jedenfalls ist zuletzt rasend schnell die Zahl derer gewachsen, die schon immer wussten, dass Klinsmann nur ein Westentaschen-Obama ist.“

Stefan Hermanns (Tagesspiegel) rät Klinsmann zur dualen Ausbildung: „Klinsmann ist nicht endgültig gescheitert, aber nur wenn er sich eingesteht, dass er als Trainer immer noch ein Lernender ist, wird er in diesem Job erfolgreich arbeiten können. So wie Frank Rijkaard, der jetzt als Kandidat für seine Nachfolge bei den Bayern gilt. Rijkaard war als Spieler ähnlich erfolgreich wie Klinsmann, auch er hat als Nationaltrainer begonnen – und sich danach bei Sparta Rotterdam im grauen Alltag verdingt. Sparta stieg mit ihm aus der Ersten Liga ab, Rijkaard wurde Trainer beim FC Barcelona. Jürgen Klinsmann sollte mal eine Bewerbung an Arminia Bielefeld schicken.“

Vorbild Assessment Center Hamburg

Bei seinem Kampf gegen die Dummheit das Establishment im deutschen Fußball erinnert Michael Horeni (FAZ) aus aktuellem Heynckes-Anlass daran, wie über die aufwendige, aber letztlich erfolgreiche Trainersuche des HSV gemotzt wurde: „Wenn es ein Klub doch mal anders macht, als die alten Nummern im Handy durchzugehen, ist der Spott immer noch beträchtlich. Man erinnert sich lebhaft, wie der Hamburger SV vor gut einem Jahr verlacht wurde, als er monatelang mit einem strukturierten Ansatz fast wie im Assessment Center den wichtigsten sportlichen Arbeitsplatz in seinem Unternehmen zu besetzen versuchte. Herausgekommen bei der langwierigen Findung ist bekanntlich Martin Jol, ein heute in Deutschland balkengroß gefeierter Trainer, der nun wiederum in den Sportteilen als Kandidat beim FC Bayern gilt.“

Reinredner-Triumvirat

Michael Jahn (Berliner Zeitung) hält einen Wechsel Lucien Favres von Berlin nach München für unwahrscheinlich, weil Favre nicht die richtigen Bedingungen vorfände: „Favre gehört zu denjenigen Fußballlehrern, die sich jegliche Einmischung in ihre Aufgabengebiete verbitten, was auch in Berlin schon zu heftigen Diskussionen mit Dieter Hoeneß geführt hat. Den Luxus der totalen Eigenständigkeit kann selbst Favres ehemaliger Zimmerkumpel Rummenigge nicht garantieren, so lange er mit Uli Hoeneß und Franz Beckenbauer ein bekanntes Reinredner-Triumvirat bildet.“

Schwer erklärliches Gerücht

Wird und will Felix Magath nach Schalke wechseln? Von Daniel Theweleit (Berliner Zeitung) erfahren wir, dass Magath sein Gehalt von 2,5 auf 5 Millionen erhöht wissen wolle: „Eine Forderung, auf die die Vereinsführung angeblich nicht einging. Beim Mutterkonzern VW muss gespart werden. Sollte Magath allerdings tatsächlich noch mit Wolfsburg verhandeln, könnte sein Flirt mit Schalke sich auch als Teil eines taktischen Spielchens entpuppen. Er hat die Gelsenkirchener 2003 schon einmal benutzt, um einen besseren Vertrag beim VfB Stuttgart zu erhalten.“

Von Rudi Assauer, dem Magath damals eine Nase gedreht haben soll, ist nach Theweleit überliefert: „Felix sollte vorsichtig sein. Wenn er den Namen Schalke 04 durch den Schmutz zieht, dann packe ich aus. Ich weiß eine Menge über ihn – Dinge, die ich beweisen kann und deren Veröffentlichung ihm nicht gut tun werden.“

Dass das Wechselgerücht nun öffentlich wird, könne weder im Sinne Wolfsburgs noch im Sinne Schalkes sein, schreibt die SZ über „den denkbar ungünstigen Zeitpunkt“. Denn beide Klubs befinden sich in einer Erfolgsphase, Wolfsburg steht sogar vor dem möglichen Titelgewinn. „Sollte Magath Wolfsburg tatsächlich verlassen, wäre das auf den ersten Blick schwer erklärlich“, heißt es weiter. Auf den zweiten Blick soll Magath „die Ansicht vertreten, dass der sportliche Erfolg der laufenden Saison in der nächsten kaum ein zweites Mal zu erreichen sei“.

Was sagt Herr Magath dazu? Nichts sagt Herr Magath dazu. Was bedeutet es, dass Herr Magath nichts dazu sagt? Das bedeutet, dass Herr Magath es nicht dementiert? Was bedeutet es, dass Herr Magath es nicht dementiert? Die VfL-Pressestelle gibt Auskunft: „Das bedeutet nicht, dass Herr Magath die Meldung nicht dementiert.“

Ich habe nie Angst, das habe ich von meiner Mutter

Martin Jol gibt der Berliner Zeitung vor dem Uefa-Cup-Spiel in Bremen ein offenherziges Interview, in dem er die große Belastung seiner Mannschaft bejaht: „Das ist verrückt, wenn man alle drei Tage ein Spiel hat. Das kann Chelsea wegstecken und Liverpool. Das sind solche starken Mannschaften, mit fantastischen Kadern, dass sie leicht in der Woche drei Spiele machen können. Wir haben das nicht, trotzdem sind wir mit ein bisschen Zufall, viel Charakter und Mentalität lange in drei Wettbewerben dabei gewesen. Und wenn es mich auch manchmal wundert: Meine Spieler leben immer noch.“

Über die Aussichten des HSV auf Erfolg sagt er: „Wir sind noch in zwei Wettbewerben gut dabei. Wir richten uns immer wieder auf. Wenn man Angst hat vor dem Erfolg, dann wird man nie erfolgreich sein. Ich kann jetzt doch keine Angst davor haben, dass wir am Ende mit leeren Händen dastehen. Ich habe nie Angst, das habe ich von meiner Mutter.“

Nachgereicht ein drei Wochen altes spox-Interview mit Jol, das fachlich sehr aufschlussreich ist. Ein liebenswertes Portrait von Thomas Schaaf in der FR, einem der wenigen Fußballlehrer, „die sich unwichtiger nehmen, als sie in Wirklichkeit sind“. Grüße an JK.

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