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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Borussia Mönchengladbach – Bayer Leverkusen 2:2

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Borussia Mönchengladbach – Bayer Leverkusen 2:2

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 28.4.). „Sie müssen sich vorgekommen sein wie Kartenspieler. Alles sprach an diesem Tag für die Männer mit den Assen und Herzbuben in ihren Reihen. Und dann halten diese Leverkusener plötzlich doch noch den Schwarzen Peter in der Hand. So haben die Fußballprofis von Bayer 04 Leverkusen samt Anhang dieses 2:2 bei der Borussia auf dem Mönchengladbacher Bökelberg empfunden (…) Die Leverkusener haben in den letzten Wochen so viele Rückschläge erlebt, daß sie schon geübt sind im Interpretieren von Schockerlebnissen und der Gabe, die Fehler bei sich zu suchen und zu finden. Sie seien katastrophal in die Begegnung reingekommen, deutete Bayer-Trainer Thomas Hörster den Beginn der Partie, als Igor Demo bereits in der 6. Minute das Führungstor der Gladbacher gelungen war. Aber diese Szene blieb eine Momentaufnahme, denn von da an ergriff Bayer die Initiative. Immer wieder schaltete sich Lucio mit in den Angriff ein, überbrückte die Distanz zwischen den Strafräumen mit Siebenmeilenstiefeln. Auch Kapitän Carsten Ramelow und Yildiray Bastürk erinnerten in ihrer Außendarstellung an die vergangene Saison, als das Ensemble Champions-League-Qualität besaß. Wenn sie doch immer so gekämpft hätten! lautete der öffentlich gemachte Stoßseufzer von Manager Reiner Calmund (…) War das 2:2 nach den letzten drei Auswärtspleiten ohne einen einzigen Bayer-Treffer schon die Trendwende? Es sah so aus. Sportdirektor Jürgen Kohler legte sich auf einen gewonnenen Punkt fest, statt zwei verlorenen Punkten nachzutrauern. Schließlich habe man bei der heimstarken Borussia bestanden. Unter Trainer Ewald Lienen war es gar der erste Punktverlust auf eigenem Terrain. Darauf könnten sich die Leverkusener etwas einbilden, doch sie haderten statt dessen mit dem Rezept, sich zu früh aufs Ergebnishalten verlegt und mit dem Fußballspielen aufgehört zu haben. Trainer Thomas Hörster versuchte sich als strenger Zuchtmeister seiner schwierigen Patienten.“

Bernd Müllender (taz 28.4.). „Zu den tragenden Säulen der Fußballwelt gehört es, dass ein einziger Moment so ziemlich alles über den Haufen werfen kann: Stimmungen, Analysen, Gerechtigkeitsempfinden, Hochrechnungen, Planspiele und eine Banalität wie Tabellenstand sowieso. Ein plötzliches Tor in letzter Minute ist dafür das beste Beispiel. Morten Skoubos 2:2 kurz vor dem Abpfiff rettete den Borussen aus Mönchengladbach die Distanz zu den Abstiegsplätzen und schockte die überraschend stark auftrumpfenden Bayer-Mannen schwer. Leverkusen war eine richtig gute Mannschaft und das spieltechnisch bessere Team gewesen, konnte Gladbachs Trainer Ewald Lienen nachher mühelos zugeben. Tatsächlich: Bayer hatte leidenschaftlich gekämpft, dazu frisch und frech einige beste Chancen herausgekontert. Mit einem Sieg durch Berbatows 2:1 kurz nach der Pause wären beide Teams punktgleich gewesen. Man hätte von Leverkusens beeindruckender Wiederauferstehung berichtet. Vom ersten Schritt zur späten Rettung. Und von einer dürftigen Darbietung der Borussen. Die klitschnassen Massen hätten ausdauernd gepfiffen. So jubelten sie sich ausgelassen den Regen von der Seele (…) Reiner Calmund hatte gefallen, dass der Abstiegskampf in den Köpfen der Spieler heute angekommen ist. Ein ungewöhnlich kurzer Existenzkampf: Die Leverkusener könnten die große Bühne verlassen, bevor sie gemerkt haben, dass sie darauf standen. In der Musik ist das so, als würde sich ein Chor erst zur Zugabe einsingen. Aber, wer weiß, manchmal kommen in der Wohlklangwelt die besten Darbietungen ja auch zum Schluss. Von der Götterdämmerung zu Freude, schöner Götterfunken ist es kaum mehr als eine große Punkte-Terz.“

Christoph Biermann (SZ 28.4.). „Wäre die Partie am Bökelberg 80 Sekunden kürzer gewesen, hätte man dem Drittletzten der Bundesligatabelle ohne großes Zögern eine optimistische Prognose stellen können, dass der Himmel nicht so fern ist. Gut wie lange nicht trat Bayer auf. Die sonst so leicht zu verunsichernde Mannschaft ließ sich von Gladbachs früher Führung in der sechsten Minute durch Demo nicht irritieren, glich durch Bierofka schon elf Minuten später aus und ging kurz nach der Pause durch Berbatov in Führung. „Sie waren das spieltechnisch bessere Team“, gab Gladbachs Trainer Ewald Lienen zu. Bayer kombinierte mehr Torgelegenheiten heraus und ließ kaum welche zu. Vor allem aber war die Mannschaft kämpferisch stärker als die Gastgeber und hielt sich so konsequent wie diszipliniert an ihre Aufgaben. „Der Abstiegskampf ist endlich im Kopf angekommen“, resümierte Calmund. Doch der Abstiegskampf zeigte auch seine Tücken, weil die Leute von Bayer das Spiel nicht gewannen, das sie zu gewinnen verdient gehabt hätten. Den Ausgleich erzielte Morten Skoubo, auch noch einer, dessen persönliches Leiden bislang nicht geringer gewesen sein dürften als das kollektive in Leverkusen. Die Anhänger von Borussia Mönchengladbach maulten schon, als der 22-jährige Däne eine Viertelstunde vor Abpfiff eingewechselt wurde. Nach Saisonbeginn als erfolgreichster Torjäger seines Heimatlandes verpflichtet, hatte Skoubo in 16 Einsätzen noch nicht einen Treffer erzielen können. „Er ist schnell, auch wenn es nicht so aussieht, weil er riesengroß ist und komisch läuft“, sagte Ewald Lienen, „und er behält vor dem Tor die Ruhe.“ In der vorletzten Minute konnte der freundliche junge Mann beides endlich einmal belegen.“

Hans-Joachim Leyendecker (FAZ 28.4.). „Mit Dänen haben die Mönchengladbacher ausschließlich gute Erfahrungen in Mönchengladbach gemacht. Das war schon in Zeiten eines Günter Netzer so, als Allan Simonsen in der Fohlenelf stürmte. Simonsen war am Samstag unter den 34 000, um sich den Luxemburger Jeff Strasser näher anzusehen. Schließlich ist Simonsen Nationaltrainer des Kleinstaates. Er sah Strasser gehen, Morten Skoubo kommen und treffen. Da regte sich dann ein wenig Nationalstolz. Simonsen, die Nielsens, Le Fevre – das sind alles Importe aus Dänemark, mit denen der Norden den Fußball am Niederrhein bereicherte. 171 Tore aus dänischer Produktion für die Borussia hatten Statistiker vor Beginn dieser Saison errechnet. Jetzt sind es 172. Dank eines quasi Last-minute-Treffers eines spät gerufenen Dänen.“

Interview mit Wolfgang Holzhäuser, Bayer Leverkusens Geschäftsführer Tsp

VfB Stuttgart – Hansa Rostock 1:1

Peter Heß (FAZ 28.4.). “Die Jugend wird immer schöner, je länger sie zurückliegt. Die angenehmen Aspekte des Sturm und Drangs bleiben lebendig im Gedächtnis. Daß diese Zeit voller Kraft und Ungestüm von mancher Unsicherheit und manchem Zweifel durchmischt war, verliert sich im Dunkel der Erinnerung. Wenn die jungen Stuttgarter Fußballprofis später einmal auf die Saison 2002/03 zurückblicken werden, werden sie sich daran ergötzen, wie sie das Establishment aufmischten. Einerlei, ob ihre unverhoffte Erfolgstournee durch die 34 Spieltage in der Champions League, im Uefa-Cup oder im UI-Cup enden wird. Im Moment schüttelt sie die Furcht, die Chance auf den optimalen Ertrag ihres Talents zu verspielen. Durch das 1:1 gegen Rostock verteidigten die jungen Schwaben zwar noch einmal ihren zweiten Tabellenplatz. Aber der Zustand der Mannschaft läßt befürchten, daß am Ende weniger herauskommen könnte als die direkte Qualifikation für die Champions League. Trainer Felix Magath reagierte auf das zunächst mäßige und später völlig zerfahrene Spiel seiner Mannschaft wie ein gütiger Vater. Das ist halt so. Mit seinem Bekenntnis zum Jugendfußball in der Bundesliga handelte er sich nicht nur Dynamik, Spielfreude und Wucht ein, sondern auch einen kräftigen Schuß Unreife. Die Spieler denken viel zuviel an die Tabellensituation. Wie stehen wir, wenn wir so und so spielen? Was passiert, wenn die anderen dies oder jenes Ergebnis erzielen? beschrieb Magath, was seine Profis ablenkt. Ich kann nicht in die Köpfe der Spieler schauen, aber ich denke, da liegt das Problem, faßte er zusammen. Und der Kopf steuert die Beine. Was der VfB bis zur 60. Minute bot, war eine schwache Kopie seiner bisherigen Arbeitsproben. Zwar engagiert im Zweikampf und voller Mut zum Dribbling und zu gewagten Direktpässen, aber andererseits von einer Fahrigkeit befallen, die zu einer wirklich störenden Fehlerquote führte.“

Schalke 04 – VfL Bochum 1:2

Richard Leipold (FAZ 28.4.). “Weihnachten und Ostern auf einen Tag? Dieses Zusammentreffen gibt es nicht einmal in der verrückten Welt des kickenden Gewerbes. Aber Geburtstag und ein Fußball-Wunschkonzert als Ständchen, dargebracht von der eigenen Mannschaft: Das kommt vor, wenn auch äußerst selten und noch seltener unter Beteiligung des VfL Bochum. Peter Neururer, der Trainer des Revierklubs, feierte am Samstag seinen 48. Geburtstag, erst im Stadion, später im Golfclub Haus Leithe. Beim 2:1 in Schalke traten die Bochumer Profis als kickendes Festkomitee auf. Da sie einen so durchschlagenden Erfolg nicht erwartet hatten, hatte der Mannschaftsrat ein paar Flaschen Rotwein für den Trainer gekauft. Wer will an so einem Abend schon mit leeren Händen dastehen? Mit Blick auf das Ergebnis hätte Torhüter Rein van Duijnhoven den Wein am liebsten wieder mit nach Hause genommen, drei Punkte reichen eigentlich. So heftig das Glück den Bochumer Trainer geküßt hat: Der Start ins neue Lebensjahr war anstrengend, aufreibend: eine Belastung für Körper und Seele. Wenn es so weitergeht, weiß ich nicht, ob ich den 49. Geburtstag noch bei guter Gesundheit erlebe, sagte Neururer. Es war ein bißchen viel auf einmal – selbst für den streßresistenten Übungsleiter. Schalke ist seine Liebe, der VfL sein Beruf; in Gelsenkirchen wohnt er, in Bochum verrichtet er seine Arbeit. Das Führungstor, der Ausgleich, das Zittern um den einen Punkt, am Ende dieser unverschämt freche Siegtreffer des launischen Delron Buckley. Und überhaupt die ganze Saison: Der VfL hat sie im Steigflug begonnen, ist aus lichten Höhen in den Sumpf des Abstiegskampfes gestürzt und findet nun allmählich wieder Halt. Neururer ist zu emotional veranlagt, um solche Höhen und Tiefen ruck zuck, zu verarbeiten.“

Andreas Morbach (FR 28.4.). “Wenn Fußballer keine Lust haben, über ihr vorangegangenes Treiben auf dem Rasen zu sprechen, greifen sie gerne zu folgender Taktik: Sie schnappen sich einen Mannschaftskameraden und eine von diesen riesigen Aluminiumkoffern mit Schweiß getränkten Trikots und verdreckten Fußballstiefeln und machen sich auf den Weg. Seht her, wie schwer ich hier zu schleppen haben, sagen ihr Mund oder ihre Augen dann, wenn sie an den wartenden Journalisten vorbeikeuchen. Nach dem überraschenden 2:1 des VfL Bochum ist Kofferträger Delron Buckley in Begleitung des niederländischen Kollegen Anton Vriesde wortlos durch den Bauch der Arena gekeucht. Dabei hätte der Mann aus Südafrika doch so schöne Dinge erzählen können über seine wundervolle Bogenlampe aus 20 Metern in der 89. Minute, mit der er den kleinen Höhenflug der Schalker unter ihrem neuen Trainer Marc Wilmots so jäh gestoppt und die eigenen Farben in ein mittleres Delirium gestoßen hatte. Und irgendwo in einer dunklen Ecke gab der Kunstschütze später auch noch zwei Sätze von sich, die darauf hindeuteten, dass er in erster Linie das zu erwartende Freudengelage rund um Geburtstagskind Peter Neururer nicht unnötig trüben wollte. Denn Delron Buckley war sauer auf seinen Trainer, weil der ihn zuletzt zum Einwechselspieler degradiert hatte. Also, erläuterte der Offensivmann die Ursache für den zweiten erstaunlichen Bochumer Sieg binnen sechs Tagen, habe ich mich auf Schalke konzentriert, wollte dort etwas Besonderes machen. Bingo, Mister Buckley.“

1860 München – Borussia Dortmund 0:0

Christian Zaschke (SZ 28.4.). „Was machte der Haufen Kinder da? Etwa eine Stunde nach dem torlosen Spiel standen vor der VIP-Lounge im Inneren des Olympiastadions Kinder. Normalerweise gruppieren sie sich um einen der Spieler, die hier das Stadion verlassen. Aber diese Kinder standen, wie es schien, einfach im Pulk, es war nicht zu erkennen, warum. Dann, nach etwa einer Minute, löste sich Thomas Häßler aus dem Pulk. Er ist ein kleiner Mann, 1,66 Meter, er kann unerkannt zwischen den Kindern stehen und Autogramme schreibenZu diesem Zeitpunkt wusste er nicht, was später 1860-Präsident Karl-Heinz Wildmoser über ihn sagen würde. Es war wieder einmal ein schwieriger Nachmittag für Thomas Häßler. Er saß zunächst auf der Bank. Ab der 30. Minute forderten die Zuschauer seine Einwechslung. In der 81. Minute gab Götz nach: Er schickte Häßler aufs Feld, und im Stadion brandete Jubel auf, lauter als je an diesem Nachmittag. Die Fans verehren Häßler, sie kennen seine Verdienste, er ist 1990 Weltmeister geworden, er hat viele gute Spiele auch für 1860 gemacht. Nun läuft sein Vertrag zum Saisonende aus, die Sechziger geben ihm keinen neuen. „Will er 1,5 Millionen Euro für das, was er heute gezeigt hat?“, polterte Karl- Heinz Wildmoser, als Häßler bereits gegangen war. „Da kann ich auch spielen, denn nichts spielen kann ich auch.“ Hatte sich Wildmoser bloß im Ton vergriffen? „Ich sage das bewusst mit dieser Härte.“ Kurz nach seiner Einwechslung wich Häßler dem Ball aus, so dass dieser gefährlich in den Dortmunder Strafraum flog. Es war eine Körpertäuschung, er hatte so getan, als wolle er den Ball spielen. Indem er sich vom Ball wegbewegte, verlieh Häßler der Partie mehr Esprit als irgendein anderer Spieler zuvor, er kann so etwas (…) Im vergangenen Jahr wollte Häßler von sich aus aufhören, jetzt würde er gern weiterspielen. Im vergangenen Jahr hat Wildmoser ihn angebettelt, er möge doch noch eine Saison dranhängen. Jetzt hört man seinen Worten an, dass er ihn nicht mehr braucht. Vielleicht hat es Wildmoser nicht gefallen, dass er Häßler so bitten musste, er ist nicht der Typ, der gern bittet. Vielleicht ist er jetzt, ein Jahr später, ganz froh, austeilen zu können, statt bitten zu müssen. Häßler habe „nichts zustande gebracht“. Wildmoser wusste, was er da sagte. Er schob hinterher: „Wenn er jetzt beleidigt ist, kann ich das auch nicht ändern.“ Und schließlich, falls es jemand noch begriffen haben sollte, sagte er: „Im Mai wird er 37, da ist die Zeit für Hochleistungssport vorbei.“ Verabschiedet man so einen verdienten Spieler? Den Liebling der Fans? Die im Moment herausragende Indentifikationsfigur des Vereins?“

Hertha Berlin – Hannover 96 2:0

Friedhard Teuffel (FAZ 28.4.). „Einiges scheint sich Hertha BSC Berlin für diese letzten Spiele der Saison aufgehoben zu haben. Souveräne Siege zum Beispiel wie das 2:0 am Samstag gegen Hannover 96. Oder eine kleine Erfolgsserie, denn die Berliner haben nun schon dreimal nacheinander gewonnen. Und auch Luizão holt nun auf einmal nicht mehr für möglich gehaltene Kunststücke hervor. Bisher hatte der Weltmeister aus Brasilien erst ein Tor für die Berliner erzielt, und das war auch noch ein Elfmeter. Doch gegen Hannover gelang ihm ein besonders schöner Treffer, ein Seitfallzieher. Unerwartete Souveränität, unerwartete Stabilität und ein überraschender Torschütze – so sind die Berliner nun einem großen Ziel ganz nahe. Zwei Punkte trennen sie noch vom Tabellenzweiten Stuttgart. Wie sind die Berliner nur dort hingekommen? Gibt es jetzt endlich keine Mißverständnisse mehr zwischen den Spielern und Trainer Huub Stevens? Das ist für Stevens nicht die Antwort: Wir haben uns von Anfang an gut verstanden. Aber am Beginn der Saison waren die Spieler noch viel weiter entfernt von den taktischen Vorgaben ihres Trainers. Vor allem aber sind die Aufgaben nun viel besser verteilt. Denn bis vor kurzem noch stand und fiel die Leistung der Hertha mit der Form ihres brasilianischen Spielmachers Marcelinho. Hatte er einen guten Tag erwischt, zog er die anderen mit oder entschied das Spiel einfach alleine. Lief es dagegen nicht gut bei ihm, weil er Fieber hatte oder müde war, verließ auch seine Kollegen der Mut.“

Javier Cáceres (SZ28.4.). „Nicht nur verglichen mit den Stuttgartern darf den Herthanern Abgebrühtheit attestiert werden. Im Spiel gegen die Hannoveraner war der Hang zur Effektivität ein Wert an sich. Immerhin wurde die Pragmatik durch Kunst angereichert, vor allem bei den Toren. So war der Führungstreffer zwar in seiner Entstehung schmucklos (Einwurf Marx, Kopfballverlängerung Preetz), nicht aber in seiner Vollendung: Luizão veredelte die Sequenz durch einen Seitfallzieher (10.). Und selbst die immer etwas schnöde Begebenheit namens Elfmeter geriet zum kleinen Spektakel: Marcelinho trat die Kugel mit einer Chuzpe in den Winkel, die Erinnerungen an den Schaufel-Strafstoß des Tschechoslowaken Panenka beim EM-Finale 1976 gegen Deutschland weckte.“

Stefanie Kneer (FR 28.4.). „Ein bisschen erinnerte der schwüle Nachmittag im Berliner Olympiastadion an eine Casting-Veranstaltung. Der begabte Stürmer Fredi Bobic bewarb sich um die Hauptrolle Stürmer bei Hertha, und Hertha bot sich als neuer Arbeitgeber an. Bobics Vorspiel könnte Trainer Huub Stevens und Manager Dieter Hoeneß durchaus überzeugt haben. Listig, wie es seine Art ist, schüttelte er seinen aufmerksamen Bewacher Dick van Burik ab. In Minute 17 beispielsweise schlich er sich vorbei, mit einem kurzen Ballkontakt bewies er seine Torgefährlichkeit – auch wenn der Ball nur im Außennetz landete (…) Wer mit wem in der nächsten Saison auf der Bühne Bundesliga auftritt, darüber schwiegen sich am Wochenende alle Beteiligten aus. Herthas Manager Dieter Hoeneß, der Bobic 1994 beim VfB Stuttgart in die erste Liga geholt hat, bestätigte nur: Ja, es hat Gespräche gegeben. Fredi Bobic seinerseits lobte die Atmosphäre im Olympiastadion (hat mir gut gefallen), Huub Stevens (ein Trainer mit großer Reputation), und Dieter Hoeneß (in Stuttgart bin ich mit ihm immer gut ausgekommen und er ist ein absolut korrekter Manager). Dennoch will er erst verhandeln, wenn der Klassenerhalt von Hannover 96 klar ist. Ich hab die Ruhe weg, sagte der viel Umworbene, der am Mittwoch für die DFB-Elf im Freundschaftsspiel gegen Serbien-Montenegro stürmen wird. Und das Casting geht weiter: Am kommenden Samstag spielt Hannover gegen Stuttgart – der VfB gilt als weiterer Kandidat für die Hauptrolle im Stück Bobic und die Bundesliga 2003/2004.

Michael Jahn (BLZ 28.4.). „Manager Dieter Hoeneß würde sich am liebsten ein großes Schild mit der Aufschrift Bitte fragen Sie mich nicht nach der Champions League um den Hals hängen, und Trainer Huub Stevens würde gern in dessen Gefolge ein Transparent hochhalten mit der Losung: Die Tabelle interessiert mich nicht. Die ist erst nach dem 34. Spieltag wichtig. (…) Derweil bissen sich alle Berliner Spieler auf die Zunge, wenn sie nach der Königsklasse gefragt wurden. Michael Preetz sagte ganz im Stile eines künftigen Management-Vertreters: Wir dürfen uns nicht der Gefahr aussetzen, durch irgendwelches Geblubber über die Champions League am Ende mit leeren Händen dazustehen. Wenigstens Hoeneß ließ sich angesichts der aktuellen Tabelle doch noch zu einer Prognose hinreißen: Wenn wir nächste Woche in Bremen gewinnen, bin ich bereit, über die Champions League zu reden. Der Manager glaubt, dass man mit der bislang praktizierten Defensivtaktik im Umgang mit den Saisonzielen gut gefahren ist. Nach einer missglückten Hinrunde eröffnen sich plötzlich dank eigener Stärken und schwächelnder Konkurrenten neue Perspektiven. In Berlin, so scheint es, hat man aus der jüngsten Vergangenheit gelernt. Man kennt den verklärten Blick auf die Realitäten, die enormen Ansprüche und die schnelle Euphorie im Umfeld und bei den Fans.“

Hamburger SV – 1. FC Nürnberg 4:0

„Für diese Nürnberger ist die Bundesliga eine Nummer zu groß“, teilt Frank Heike (FAZ 28.4.) mit. „Der Zorn der Fans traf den Falschen. Als erster einer Mannschaft, die an diesem Samstag nachmittag nie eine war, machte sich Darius Kampa auf den Weg quer über das Feld zu den Anhängern in Rot und Schwarz. Sie hatten das 0:4 des 1. FC Nürnberg beim Hamburger SV relativ gutgelaunt verfolgt. Kampa hob die Hände zum Applaus, doch die Antwort aus dem Block waren ein Dutzend halbvolle Bierbecher, die auf den Platz flogen. Jeder der nach dieser abermaligen Niederlage nun über die Maßen abstiegsgefährdeten Profis aus Franken wurde so vertrieben – mit diesen Feiglingen im Trikot des Club wollten die treuen Fans nichts zu tun haben. Kampa indes hätten sie ruhig beklatschen dürfen. Er spielte am Ende nämlich fast allein gegen die Hamburger. Als alles schon verloren war, strengte sich wenigstens der bei allen Toren alleingelassene Keeper an, freute sich über seine Parade nach einem Schuß des Hamburgers Takahara und trat den Ball nach einem schmerzhaften Zusammenprall mit Meijer kurz vor Schluß selbst ins Aus, um behandelt zu werden – es war, als traute er seinen 80 Minuten lang völlig überforderten Kollegen nicht einmal das mehr zu.“

Jörg Marwedel (SZ 28.4.). „In Norddeutschland gibt es einen guten Brauch. Zu Beerdigungen wird Schnaps und Streuselkuchen gereicht. Ein solches Gedeck wäre wohl die richtige Stärkung für Klaus Augenthaler gewesen. Hätte der Trainer des 1.FC Nürnberg nicht zum dunklen Anzug eine leuchtend-rote Krawatte getragen, man hätte ihn für einen trauernden Hinterbliebenen gehalten. Jedenfalls verströmte er diese seltsam entrückte Gelassenheit, die viele Menschen überkommt, wenn sie die Gewissheit haben, dem Schicksal nicht mehr entrinnen zu können. Augenthalers Schicksal scheint es zu sein, den Club bei seinem sechsten Abstieg aus der Fußball-Bundesliga begleiten zu müssen. Das 0: 4 beim Hamburger Sport Verein ließ kaum einen anderen Schluss zu als jenen, den Torwart Darius Kampa zog: „Wenn wir so auftreten, haben wir in der Ersten Liga nichts zu suchen. Wir haben uns ja in der zweiten Halbzeit total aufgegeben.“ Und um dem Verdacht der Nestbeschmutzung vorzubeugen, fügte Kampa hinzu: „Das hat ja jeder gesehen.“ Ja, es hatte jeder gesehen.“

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