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Ballschrank

Champions League nur noch ein Experimentierfeld

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Champions League nur noch ein Experimentierfeld

Beide im aktuellen Champions-League-Wettbewerb verbliebenen deutschen Teams verzeichneten Niederlagen an diesem Spieltag; doch die jeweiligen Perspektiven sowie die Bewertungen sind sehr unterschiedlich.

Während die Experten dem deutsche Meister Borussia Dortmund auch nach dem knappen 1:2 bei Real Madrid – die vom Spiel begeisterte NZZ sah ein „Offensiv-Festival“ – und dem Abrutschen auf Platz 3 noch alle Chancen einräumen, gilt die europäische Königsklasse den abstiegsbedrohten Leverkusenern „nur noch als Experimentierfeld“ (FAZ). Dabei hat der Trainerwechsel nach der Entlassung Klaus Toppmöllers noch keine Wirkung gezeigt. Der Tagesspiegel hat zur Stimmung unterm Bayer-Kreuz wenig beruhigendes zu berichten: „Nicht nur Trainer Hörsters wenig souveräner Auftritt, die ganze Atmosphäre zeugt mittlerweile von einer mittelschweren Panik in Leverkusen“, während die taz angesichts der schwachen ersten Halbzeit beim 1:3 gegen die internationalen Nobodies von Newcastle United in gewohnter Manier fragt: „Was war das denn gewesen? Eine Art kollektives Blind Date? Oder Bewerbungsbewegungen einer Schar Laienschauspieler am großen Boulevardtheater? Oder nur sehr mäßiger Fußball einer Zweitelf an eisigem Abend?“

Real Madrid – Borussia Dortmund 2:1

Angesichts des kuriosen Ausgleichstreffers erinnert sich Ronald Reng (FR 21.2.). „Bernd Hölzenbein hat 1980 in einem Uefa-Cup-Spiel für Eintracht Frankfurt ein ähnliches Tor geschossen, im Strafraum sitzend wie andere auf der Schwimmbadwiese, auch er übrigens hat den Treffer in den Jahren danach, wenn ihn die Erinnerung überkam, auf Restaurant- oder Hotelböden öfters nachgespielt. Ansonsten ist man schon bei Bayern Münchens Gerd Müller und weit in den siebziger Jahren angelangt, wenn man nach vergleichbare großartig-dreisten Toren sucht. Es ist kein Zufall, dass er den Treffer markierte: Raúl Gonzalez-Blanco, 25 und schon eine Legende, wie das Madrider Sportblatt Marca schreibt. Raúls Treffer war der Beweis, dass selbst auf dem höchsten Niveau des Fußballs immer noch die Klasse eines Einzelnen mit einem Mal die disziplinierte Leistung eines gesamten Teams ausradieren kann (…) 20 Minuten lang machte es sich Dortmund im Bernabéu selbst vor, wie man gegen das bestbesetzte Team des Fußballs spielen muss. Von der zehnten Spielminute bis zu Kollers Führungstor nach einer halben Stunde pressten sie Madrid hinter die Mittellinie, doch schon da deutete sich an, was sich später rächen sollte: Dortmunds offensives Flügelspiel ist zu schwach. Dortmunds Außen, Ewerthon und vor allem der nicht zum ersten Mal enttäuschende Marcio Amoroso, verloren den Ball zu oft zu leicht, wir da hinten hatten einen Puls von 200, berichtete Metzelder aus der Verteidigung, weil kaum, dass wir den Ball erobert hatten, Real damit schon wieder ankam.“

Roland Zorn (FAZ 21.2.) meint dazu. „Tor Nummer eins war beinahe eine Slapsticknummer, bei der der am Boden liegende Deutschen-Schreck Raúl – er schoß vor einer Woche zwei Tore beim 3:1-Sieg der Spanier über die deutsche Nationalelf – den stehengebliebenen Metzelder und Wörns eine lange Nase drehte. Raúl, mit nun 39 Treffern Rekordtorschütze der Champions-League-Geschichte, plumpste zwar zuerst auf den Po und schien damit seinen deutschen Widersachern im Kampf um den Ball hoffnungslos unterlegen. Doch dieser Stürmer gibt nie auf und sieht immer noch eine Lücke, wo andere längst klein beigeben. Also düpierte er Metzelder und Wörns und täuschte sogar den sonst guten Schiedsrichter Lubos Michel. Der Slowake nämlich erzählte Metzelder zu dessen Erstaunen in der Halbzeit, daß er gesehen habe, wie der lange Westfale den kleinen Madrider festgehalten habe. Er hat mir gesagt, daß er sonst Elfmeter gepfiffen hätte, wenn der Ball nicht drin gewesen wäre. Da kam sich der von Raúl schon beim Länderspiel in Palma de Mallorca verladene Metzelder zu allem Unglück auch noch vom Schiedsrichter veralbert vor. Beim Treffer von Ronaldo, den Figo mit einem Einwurf, der eigentlich den Dortmundern zugestanden hätte, und Zidane eingeleitet hatten, patzten Metzelder, Wörns und Frings. So viele Webfehler auf einmal kann sich keine Defensive gegen die offensiv vielleicht am stärksten besetzte Vereinsmannschaft der Welt erlauben. Und gegen den zweiten Deutschen-Schreck bei Real, der im WM-Finale 2002 gegen die Deutschen beide Tore zum brasilianischen Sieg schoß, schon gar nicht. Um brasilianisch dagegenzuhalten, hätte es schon eines Marcio Amoroso aus der vergangenen Saison bedurft, der seine Kunst und sein Können mit der Präzision des selbstverständlichen Torschützen verbinden konnte. Der Amoroso von Madrid war wie so oft in dieser Spielzeit nur ein einsamer Irrläufer. Hoffnung auf mehr Tore machten nur die Tschechen Koller und Rosicky. Diese beiden allein genügten aber nicht, um die Schlimmeres befürchtende Real-Abwehr in Unordnung zu bringen.“

Reiner Wandler (taz21.2.) schließt sich der Auffassung von Matthias Sammer an, dass für die Dortmunder mehr drin gewesen wäre. „Dabei scheint das Real der großen Namen die schwächste Mannschaft seit langem. In der Champions League will den Weißen nur wenig gelingen, der Sieg gegen Dortmund ist der erste seit sieben Spielen. Noch nie hat Madrid eine so schlechte Vorrunde gespielt wie in dieser Saison: Zwei Siege, drei Unentschieden, zwei Niederlagen hieß die Bilanz vor dem Spiel gegen Dortmund. Große Namen machen eben nicht immer eine große Elf. Real-Trainer Vicente del Bosque weiß das – und er weiß um den Schwachpunkt seines Teams. Alle Spieler gehen in der Mannschaft voll auf – bis auf einen, platzte dem ansonsten so besonnenen Coach bereits vor einer Woche der Kragen. Einer ist anders als die anderen. Und das ist Ronaldo, wetterte er da. Was Del Bosque damit meint, wurde auch gegen Dortmund wieder deutlich. Schon beim Warmlaufen sonderte sich der Brasilianer ab. Er macht seine Dehnübungen lustlos und abseits der restlichen Mannschaft. Auch im Spiel zeigte der Weltfußballer des Jahres alles andere als seine alte Hochform. Kämpfte er sich früher mit dem Ball schnell und geschickt gleich an mehreren gegnerischen Spielern vorbei, schaut er sich heute unbeholfen um – und schiebt den Ball lieber weiter, oftmals sogar nach hinten. Hinzu kommt, dass Ronaldo auch gegen Dortmund den größten Teil des Spiels eher gelassen über den Platz schlenderte, während sich sein Stürmerkollege Raúl um jeden Ball bemühte. Solch laxe Arbeitseinstellung Ronaldos bleibt nicht ohne Folgen: Keiner wird bei Real Madrid so oft ausgewechselt wie er.“

Walter Haubrich (FAZ 21.2.) fasst die spanischen Reaktionen nach dem Sieg Reals zusammen. „Die Millionen Anhänger von Real Madrid haben einen doppelten Grund zur Freude: Einmal machte ihre Mannschaft mit dem 2:1 über Borussia Dortmund einen großen, wenn auch noch nicht den entscheidenden Schritt zum Viertelfinale der Champions League – und dann war ihr Lieblingsspieler Raúl der unbestrittene Held eines spannenden und hochklassigen Spiels im Bernabéu-Stadion. Mit einem wunderbaren Vorstadttor, schreibt El País, so wie es früher Jungs auf den staubigen Plätzen der Madrider Vororte hin und wieder geschossen hätten, habe Raúl den wichtigen Ausgleich zwei Minuten vor der Halbzeit erzielt. Am Boden liegend mit dem Rücken zum Tor durch die Beine des gegnerischen Torwarts, während zwei neben ihm stehende Verteidiger mit erschrecktem oder vielleicht staunendem Gesicht zuschauten. (…) Das große Lob für Raúl in allen spanischen Zeitungen wird von herber Kritik an Ronaldo begleitet. Zu viele Bälle, hieß es, habe Ronaldo von vorneherein als aussichtslos aufgegeben. Sein Tor verdanke er der genauen und langen Vorlage Zidanes. Es war übrigens das zweite Tor Ronaldos in der Champions League. Das erste hatte er im Oktober 1998 für Inter Mailand geschossen. König Juan Carlos I., der sich auf der Ehrentribüne angeregt mit Franz Beckenbauer unterhielt, freute sich immerhin, bei einem so wichtigen Tor von Ronaldo dabeigewesen zu sein. Borussia Dortmund, so wurde in praktisch allen spanischen Zeitungen geurteilt, sei ein gleichwertiger Gegner gewesen. Die spanischen Kommentatoren, aber auch Jorge Valdano, der kluge Generaldirektor Reals, blicken deshalb mit Sorge auf das Rückspiel am nächsten Dienstag. Borussia könne trotz der Niederlage stolz und hoffnungsfroh im heimischen Stadion antreten, meint El País. Der deutsche Meister habe in Madrid gezeigt, daß er einen sehr guten Fußball spielen könne, indem sich drei Stile – der brasilianische, der deutsche und der tschechische – harmonisch zusammengefunden hätten. Koller und Ewerthon werden allgemein als die besten Kräfte der Borussia bezeichnet. Ewerthon, der zunächst wie ein aus Versehen aufs Fußballfeld gekommener Basketballspieler aussieht, ist für alle Verteidiger eine öffentliche Gefahr, schreibt El Mundo.“

Spielbericht SZ

Die NZZ (20.2.) ist vom Spiel begeistert. „Oft war es ein ungetrübtes Vergnügen, den Protagonisten bei der Ausübung ihres Jobs zuzusehen. Der deutsche Meister verkaufte sich übrigens dank grosser Solidarität hervorragend, und es dürfte eine der besten Partien dieser Mannschaft in den letzten Monaten gewesen sein. Vor allem das Umschalten von Abwehr auf Angriff gelang gelegentlich ausgezeichnet. Den Ausschlag zugunsten der Madrilenen gaben einige ungewöhnliche Individualisten. So beispielsweise Raúl, der mit einem mirakulösen Treffer den frühen Rückstand wettmachte und den Match in eine für Real vorteilhafte Richtung lenkte. Kein Zweifel, Real Madrid ist in der Zwischenrunde noch nicht auf Touren gekommen. Der letzte Platz in der Rangliste nach zwei Runden konnte nur als riesige Enttäuschung bezeichnet werden – vor allem bei dem einmaligen technischen und spielerischen Potenzial dieser Mannschaft. Doch die Problematik des Teams ist bekannt: vorne fix, hinten nix. Die Partie gegen Borussia Dortmund war deshalb bereits so etwas wie die letzte Chance, sich noch für die Viertelfinals zu qualifizieren. Dass sich die Spanier dieser Situation bewusst waren, verrieten die Startminuten. Der Platzklub drängte, machte Druck und war fast pausenlos in der Offensivbewegung – die Defensive Borussias hielt diesem Wirbel jedoch lange stand. Was die Equipe von Trainer Sammer zusätzlich auszeichnete, war ihre Gefährlichkeit bei Gegenstössen.“

Bayer Leverkusen – Newcastle United 1:3

Wird Leverkusens neuer Trainer das Ruder herumreißen können? Peter Heß (FAZ 20.2.) meint dazu nach der Niederlage gegen Newcastle. „Hörsters Mission ist noch nicht gescheitert. Vielleicht wird es sich noch als Fehler erweisen, das Debüt gegen Newcastle als Chance auszuschlagen, sofort zum rettenden Ufer aufzubrechen. Aber indem Hörster die Champions League zum Testspielbetrieb für den Abstiegskampf in der Bundesliga degradierte und sechs Stammspieler schonte, nahm er der Niederlage viel an niederschlagender Wirkung. Am Samstag gegen Hannover 96 entscheidet sich Hörsters Zukunft bei Bayer Leverkusen. Dann gilt keine Entschuldigung mehr. Falls die Mannschaft wiederum verliert, muß sie wenigstens eine Leistung bieten, die als Lebenszeichen interpretiert werden kann. Sollte eine Niederlage nach Newcastle- oder Rostock-Art folgen, kann das Experiment Hörster als gescheitert angesehen werden. Einem Trainer aus der Regionalliga gibt die Öffentlichkeit genausowenig Kredit wie einem Team voller Nationalspieler. Dann muß Bayer wieder reagieren – mit einem Trainer von Ruf.“

Christoph Biermann (SZ 20.2.) sehnt sich zurück. 2Die Zeiten internationaler Feiertage in Leverkusen sind vorbei und Partien in der Champions League längst ‚Spiele mit bitterem Beigeschmack‘, wie Manager Reiner Calmund meinte. Er findet die Aussicht ’sehr schwierig, sich dort gute Ergebnisse und Erlebnisse zu holen‘. Wohl deshalb ignorierte Thomas Hörster konsequent den Wettbewerbscharakter der Begegnung. ‚Es war an für sich ein Test‘, sagte er, als wäre es nicht Newcastle, sondern Union Solingen gewesen. Ein Sparringspartner, der einzig dazu diente, die eigenen Stärken und Schwächen zu erkunden. ‚Ich kenne die Jungs noch nicht so gut, da hat mir die Partie wertvolle Hinweise gegeben‘, sagte Hörster. Völlig unbeeindruckt vom äußeren Rahmen veränderte er die Mannschaft im Vergleich zum letzten Spiel auf gleich acht Positionen (…) Deshalb war es im Grunde auch egal, dass die Fans aus Newcastle bald spöttisch sangen: ‚Are you Sunderland in disguise?‘ In der ersten halben Stunde fielen die Gegentore, und Bayer wirkte tatsächlich wie Sunderland in Verkleidung, das zur Freude der Lokalrivalen aus Newcastle in England Tabellenletzter ist. Man könnte angesichts des Resultats und horrender Abwehrfehler glauben, dass Hörster sich bei seiner maßvollen Analyse wie ein Chefarzt verhielt, der den Angehörigen des Patienten jede noch minimale Verbesserung der Blutwerte als Hoffnungszeichen baldiger Genesung offeriert. Doch es war zu spüren, dass Hörster diesen Weg nicht gehen wird. Kein großer Redner, gab er knappe, aber präzise Antworten. Hörster Äußerungen scheinen einer Klarheit des Denkens zu entsprechen. ‚Dieses System werde ich bis zum Saisonende durchziehen‘, legte er sich fest. Wie zuvor sein Regionalligateam, werden nun auch die Profis mit einem Stoßstürmer, zwei offensiven und nur noch einem defensiven Mittelfeldspieler, zwei Außenspielern und einer Viererkette in der Abwehr antreten. Wichtiger noch ist aber, dass Hörster den Eindruck verbreitet, dass in Leverkusen fortan schmucklos gearbeitet wird.“

Peter Heß (FAZ 20.2.) vergleicht. „Die Niederlage in der Champions League war ein weiterer kräftiger dunkelgrauer Farbklecks im tristen Leverkusener Monumentalgemälde. Der 46 Jahre alte Coach, bis vergangenen Sonntag morgen für die Regionalligamannschaft zuständig, vermochte bei seinem ersten Auftritt in der großen weiten Fußballwelt nicht zur Aufhellung des Gesamteindrucks beizutragen. Hörster wählte zur Frustrationsbewältigung die Rolle des urwüchsigen, unverzagten, hemdsärmeligen Facharbeiters. Knappe Aussagen, knapp sitzender Trainingsanzug. Der Unterschied zum Kollegen aus Newcastle hätte nicht größer ausfallen können. Die englische Trainerlegende Sir Bobby Robson gab am Abend seines 70. Geburtstags den Elder Statesman. Souverän, gütig, im gedeckten Anzug ein wunderbarer Botschafter seines Klubs. Aber Robson hat es auch leicht, seine Mannschaft gewinnt ab und zu einmal, häufig genug, um in der englischen Meisterschaft auf Platz drei zu stehen. Hörster hatte die sechste Niederlage der Mannschaft in Folge zu verkaufen und eine Leistung zu kommentieren, die die Befürchtung nährte, daß die Serie noch nicht zu Ende ist. In den ersten fünf Minuten haben wir geradezu um ein Gegentor gebettelt. Wir waren gar nicht auf dem Platz. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Klaus Toppmöller, der sich immer vor die Mannschaft stellte, wählte er schonungslose Worte. Der viermalige Nationalspieler war als Libero ein Stratege auf dem Platz. Ist es seine Trainerstrategie, auf Distanz zu den Spielern zu gehen?“

„Alles bleibt anders“ in Leverkusen, schreibt Bernd Müllender (FTD 20.2.). „Der Neue ist ein freundlicher Mann ohne Krawattenkühnheiten – und der Einzige der Bayer-Führungsriege, dem die Mundwinkel derzeit nicht bis Bauchhöhe hängen. Viele verwertbare Ansätze habe er durch die Totalrotation bekommen, sagte Hörster. Ob das personalisierbar sei für das Kellerduell in Hannover am Samstag? Bei der Antwort fuhr manchem Bayer-Freund gleich doppelter Schrecken in die Glieder. Franca war mehr als in Ordnung. Das Lob für den brasilianischen Zappelphilipp hatte Hörster recht exklusiv. Und er sagte über einen der Pausierenden: Von Zivkovic als Manndecker bin ich überzeugt. Wegen Zivkovic haben manche in Leverkusen schon wunde Lippen vom Auspfeifen. Die Ersatzelf half Hörsters Debut genauso wie Versöhnungshalbzeit zwei. Rückschlüsse auf eine ausbleibende Trotzreaktion waren so nicht möglich. Dennoch: Obwohl er vorher Aufbegehren, Kampf, Leidenschaft und vor allem Disziplin gefordert hatte, war die fehlende Aggressivität am Anfang, als die Engländer uns vorgeführt haben, schon erschreckend (…) Immerhin pfiffen die Fans nicht. Hatten die erneute Niederlage (zehnte Heimpleite in sechs Monaten) schweigend hingenommen, ähnlich regungslos wie der Neue auf dem Bänklein, der allerhand notierte, als wolle er Ewald Lienens Brieffreund werden. Die gut 20.000 gequälten Dauerkartenbesitzer hatten der kleinen englischen Fanschaft mit ihren durch viel geistiges Getränk tiefer gelegten Bassgesängen die Akustik überlassen und waren schließlich, lange vor dem Ende, mit staatstragend ernsten Gesichtern nach Hause gestiefelt.“

Sehr lesenswert!! Fußballfreund Christoph Biermann (taz 20.2.) vermisst jemanden. „Im letzten Jahr führte ich Gespräche mit Kollegen aus England und Spanien, Belgien und Holland (ja, Holland), die ganz aus dem Häuschen darüber waren, dass eine Mannschaft aus Deutschland solch hinreißenden Fußball spielte. Bayer Leverkusen hatte Esprit, war leichtfüßig und elegant. Den Weg ins Finale der Champions League ging die Mannschaft ohne das zähnefletschende Mantra eines Oliver Kahn, der nie, nie aufgeben will. Besonders die Engländer waren zudem entzückt von einem Trainer, der nach dem Erfolg im Halbfinale gegen Manchester United sagte, dass er erst mal ein Bier trinken gehen würde. Der nach dem Spiel gegen Barcelona für seinen Sohn ein Trikot von Patrick Kluivert geholt und bei der Beobachtung des FC Liverpool im Fan-Shop des Klubs eingekauft hatte. Klaus Toppmöller war nicht cool, sondern ein Fan wie du und ich. Deshalb verstanden sie selbst aus der Ferne den besonderen Zauber, dass gerade unser Mann auf der Trainerbank den schönsten Fußball spielen ließ. In kleinerem Maßstab war das schon beim VfL Bochum so gewesen, und deshalb pfiff im Ruhrstadion selbst dann niemand gegen Toppmöller, als seine Mannschaft nur noch ein Torso war. Wie auch jetzt in der BayArena niemand auf den Rängen seinen Rauswurf forderte, nicht nur als Referenz gegenüber seinen Verdiensten, sondern weil es ein Verrat der eigenen Sehnsüchte gewesen wäre. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn Toppmöllers Vorteil der Emphase ist auch sein Problem geblieben. Er verweigert eine innere Distanz zu seinen Spielern. Im Tiefsten seines Herzens möchte er einer von ihnen sein, selbst wenn sie in der Stunde der Not einen Vorgesetzten mit klaren Anweisungen suchen. Das aber will er nicht wirklich und sträubt sich dagegen. Er will noch spielen, wo der Weg dahin zurück nur über Strenge und Arbeit führt. Spürt Toppmöller das, verliert er die Lust – und seine Magie verfliegt. Dann ist es vorbei und die Szenerie gehört wieder jenen, die nur über den Erfolg reden und nie über den Weg dorthin. Die keine Romantiker sein wollen und sich nicht um Schönheit scheren, sondern um den Kampf. Klaus Toppmöller hat uns wieder mit ihnen allein gelassen. Hoffentlich ist er bald zurück – und hat verstanden.“

(19.2.2003)

Über die Heimniederlage Bayer Leverkusens lesen wir von Martin Hägele (NZZ 19.2.). „Von wegen Wende unter einem neuen Mann. Auch mit Thomas Hörster als Chef konnte Bayer Leverkusen den Schalter zu besseren Zeiten nicht umlegen. Gegen Newcastle United bestätigte sich lediglich die Krise unterm Bayer-Kreuz. Und das Ergebnis drückt auch nicht den Klassenunterschied zwischen dem Dritten der Premier League und den Richtung Zweite Liga driftenden Leverkusenern aus. Mit 1:3 Toren waren die Rheinländer noch bestens bedient. Und dass sie sich richtig gegen die Niederlage gestemmt hätten, lässt sich auch nicht behaupten (…) Aus den ersten Aktionen ihres neuen Trainers Hörster wurde das Publikum auch nicht richtig schlau. Eine klare Linie bei den Ein- und Auswechslungen war beileibe nicht ersichtlich. Warum durfte Schneider erst nach der Pause spielen – glaubte Hörster da noch eine Wende? Und wieso musste in der 70.Minute Cris raus? Der Brasilianer hatte noch am energischsten Widerstand geleistet – für ihn kam Jan-Ingwer Callsen Bracher. Wie sich nach langer Fahndung eingefleischter Reporter herausstellte, verbirgt sich hinter dem langen Namen ein 18-jähriger Norddeutscher aus Hörsters Regionalliga-Team. Die englischen Fans reagierten auf das Leverkusener No-name-team mit typisch britischem Humor: «Tourists in the Champions League» schallte es durch die Arena. Diese Rolle wird der letzte Rest, der aus den stolzen Herausforderern Real Madrids vom Glasgow-Endspiel noch übrig geblieben ist, in den nächsten paar Wochen noch hinter sich bringen müssen. Der Abschied von den Sternen fällt in der rheinischen Provinzstadt jedoch nicht schwer. Zu deutlich ist nun auch dem letzten Optimisten, in welch verheerendem Zustand sich der Vorjahreszweite der Bundesliga befindet.“

Erik Eggers (Tsp 19.2.) schreibt dazu. „Was blieb, war der Versuch, den Schaden zu begrenzen. In der zweiten Halbzeit rannte die verunsicherte Mannschaft im Existenzkampf wenigstens wieder um den Ball. Franca trickste im gegnerischen Strafraum, der noch eingewechselte Schneider suchte die Zweikämpfe, und die Fans riefen: „Wir wollen euch kämpfen sehen.“ Ein Tor brachte das Anrennen nicht mehr, aber immerhin ein wenig Gemeinschaftsgefühl. Und das ist schon eine ganze Menge für Bayer Leverkusen in diesen Zeiten.“

Weitere Spiele

Manchester United – Juventus Turin 2:1

Aus Manchester von Jonas Schorfheide

Die englischen Fußballfans interessierten sich nach dem Schlusspfiff dann auch wieder mehr für die kuriose Geschichte um die Augenverletzung von David Beckham, als für die Tabellensituation in der Champions-League, wenngleich Manchester mit der maximal Ausbeute von neun Punkten aus drei Zwischenrundenpartien einsamer Spitzenreiter ist und den Viertelfinaleinzug so gut wie in der Tasche hat. Nach der 0:2-Heimniederlage am vergangenen Samstag in der fünften Runde des FA-Cups gegen Arsenal London wäre es in der Kabine von Manchester United beinahe zu einem folgenschweren Unfall gekommen. Alex Ferguson hatte aus Wut über das Ausscheiden aus dem prestigeträchtigen Pokalwettbewerb einen Fussballschuh in Richtung seiner Spieler „geschossen“. Dabei wurde David Beckhams linkes Auge nur um Zentimeter vom spitzen Stollen des Schuhes verfehlt. Seit Samstag ist seine Narbe über der linken Augenbraue nun Hauptthema in den britischen Medien. Sogar die Aktien von Manchester United verloren über 2 Prozent ihres Wertes, aus Besorgnis um Beckhams Gesundheitszustand. Britische Finanzexperten schätzen den Imagewert von Beckham für seinen Club auf mindestens 200 Millionen Pfund. So zeigte sich Sir Alex Ferguson nach diesem Vorfall auch sehr nachdenklich und sagte auf der extra einberufenden Pressekonferenz:“ Es war ein Unfall. Wenn ich das hundert oder millionenmal versuchen würde, es würde nicht noch mal passieren“.

Ronald Reng (FR 20.2.) berichtet das 3:0 des FC Barcelona gegen Inter Mailand. “Mit zauberhaft schönem und bewundernswert effizientem Fußball dominierte Barcelona beim 3:0-Sieg in der Champions-League-Zwischenrunde einen der großen Favoriten, Inter Mailand. Eine Mannschaft, die nach serienweise entsetzlichen Auftritten als Tabellenelfter in Spanien den Abstiegsrängen noch immer nahe ist, stellt in der europäischen Liga einen Rekord auf, der lange, lange Jahre Bestand haben wird, wie Trainer Antic glaubt: Der Triumph über Inter war der elfte Sieg im elften Champions-League-Match dieser Saison. Unergründlich ist das Unterbewusstsein von Fußballern. Ob es die Erkennungsmelodie der Champions League ist, die Barcelonas Profis verwandelt, ob das Flutlicht in europäischen Nächten sie verzaubert, kann niemand rational erklären. Nicht zum ersten Mal offenbart ein Spitzenteam seine gespaltene Persönlichkeit, Borussia Dortmund etwa war 1997 in der Bundesliga nur noch Durchschnitt und gewann die Champions League; doch in solch extremem Ausmaß schwankte wohl noch nie eine Elf zwischen Biederkeit und Weltklasse. Deshalb sollte sich auch keiner vorwagen und den Sieg über Mailand als die große Wende unter dem neuen Trainer deuten (…) Antic macht keine fantasievollen Tricks – sondern die Dinge nur einfacher. Das war exakt das, was das Team brauchte, nachdem van Gaal, der seit seinem Champions-League-Gewinn 1995 mit Ajax Amsterdam zu Recht als Meister der Taktik galt, mit jeder Niederlage immer ausgefallenere taktische Manöver probierte. Van Gaal schob Mittelfeldspieler wie Phillip Cocu in die Verteidigung, er wechselte von zwei auf drei Stürmer und wieder zurück und konnte das theoretisch alles fabelhaft erklären; dabei übersah er, dass seine nervlich angeschlagene Elf erst einmal viel simplere Sachen wieder hinkriegen musste.“

Spielbericht FC Basel – Deportivo La Coruna (1:0) NZZ

Vor dem Spiel Real Madrid – Borussia Dortmund

Felix Meininghaus (FTD 19.2.). „Überhaupt war die Stimmung im Dortmunder Lager vor dem Aufbruch zur dritten Partie der Zwischenrunde auffallend gelöst. So sprach Kapitän Stefan Reuter von einer „äußerst reizvollen Aufgabe, bei der wir nicht chancenlos sind“. Auch Sportmanager Michael Zorc glaubt, „dass sich die Mannschaft teuer verkaufen wird“. Die Zuversicht wird vor allem durch die jüngste Bundesligapartie gegen Bochum genährt, in der der BVB spielerisch und läuferisch endlich einmal wieder eine begeisternde Leistung ablieferte. Der Aufschwung dürfte mit der Befindlichkeit des Dortmunder Trainers zusammenhängen. Matthias Sammer hat in den vergangenen Wochen intensiv nachgedacht über sich und die ihm untergebenen Fußballer. Dabei ist dem Mann, der in der Branche den personifizierten Ehrgeiz repräsentiert, die Erleuchtung gekommen: Er müsse mit seinen Profis in Zukunft nachsichtiger umgehen. Es bringe wenig, „wenn ich immer nur forder’, forder’, forder’“. Sonst könne „der Schuss schnell nach hinten losgehen, wenn ich die Mannschaft überforder’“. Damit scheint der Trainer des Meisters eine ähnliche Entwicklung zu nehmen wie sein Kollege Felix Magath. Der erwarb sich den Beinamen „Quälix“ und galt so lange als härtester Schleifer der Branche, bis er sich in Stuttgart darauf besann, eine neue Richtung einzuschlagen. Seitdem bringt er sein Personal mit pädagogischem Feingefühl auf Kurs. Mit dem Ergebnis, dass sich die Stuttgarter Jugend-Truppe nun zur Überraschung der Liga gemausert hat. Beim BVB zeitigt die Sammersche Magathisierung ebenfalls erfreuliche Tendenzen: Bei den zuvor so launenhaften Profis scheint die neue Leichtigkeit bestens anzukommen. Statt ihren Fans erneut den in dieser Saison kultivierten schnöden Ergebniskick vorzuführen, agierte der BVB im kleinen Revierderby mit einer Leichtigkeit, die kaum ein Beobachter für möglich gehalten hätte.“

Ronals Reng (FR 19.2.) porträtiert den brasilianischen Star in den Reihen Real Madrids. „Ronaldo ist: populärer als Harry Potter, umschwärmter als Claudia Schiffer, ein Markenname wie Levi’s; ein ganz passabler Fußballer in der spanischen Primera División. Vielleicht würde er unter die ersten 20 kommen, wenn heute eine Fachjury die besten Spieler der Saison wählen würde. Es spielt auch keine Rolle. Denn weil er populärer als Potter, umschwärmter als Schiffer, bekannt wie Levi’s ist, gilt Ronaldo weiterhin als der beste Fußballer der Welt; auch wenn allein in der eigenen Mannschaft, Real Madrid, drei, vier andere besser spielen. Das ist das wahrhaft Phänomenale an El Fenómeno. Spätestens als er im vergangenen Juli das Weltmeisterschaftsfinale mit seinen zwei Toren entschied, entschlüpfte aus seinem Körper die Legende Ronaldo. Seine Tore, sein ansteckendes Lachen danach, sind die Bilder, die im Zeitalter der Clips hängen bleiben. Nach zwei schweren Knieverletzungen und zwei Jahren in der Rehaklinik hatte Ronaldo während der WM nicht viel von einem Weltklassesportler, bloß noch immer seine Fähigkeit, mit einer einzigen Aktion wichtige Spiele zu entscheiden. Sieben Monate später sucht der Angreifer mit 26 weiterhin die Fitness und Robustheit, um wieder konstant gut zu spielen. Seine Legende jedoch hat sich von dieser Wirklichkeit längst abgekoppelt. Sie ist zu einer Art eigenständigen Person geworden – als ob es auf einmal zwei Ronaldos gäbe: den Legendären, der Millionen zum Schwärmen bringt, selbst wenn sie ihn nie, noch nicht einmal im Fernsehen, über 90 Minuten haben spielen sehen. Und den Alltäglichen, der an diesem Mittwoch in Madrid deutlich besser als zuletzt spielen muss, wenn Real in der Champions-League-Zwischenrunde gegen Borussia Dortmund gewinnen will (…) Ob und wie sehr sich der berühmteste Fußballer für den bekanntesten Fußballclub der Welt rechnet, ist schwer nachzuvollziehen, da er Real vor allem immaterielle Werte bringt: Image und Interesse. Werte, die sich in höheren Werbe- und Fernsehverträgen auszahlen sollen. Indizien, dass sich Ronaldo lohnt, gibt es einige: 200.000 Real-Trikots mit seinem Namen wurden alleine in den ersten zwei Monaten verkauft, die Abonnements des Bezahlkanals Real Madrid TV stiegen um 33 Prozent auf 60.000, die Heimspiele sind seit seiner Ankunft ausverkauft.“

Zur Stimmung in Madrid heißt es bei Peter Burghardt (SZ 19.2.). „Nach verkorkstem Saisonstart lief das Geschäft zuletzt wochenlang so gut, dass niemand mehr wusste, worüber man sich noch aufregen sollte. Die Verletzung von Kapitän Fernando Hierro sorgte neulich für Entsetzen, der Rest war Zeitvertreib. Der besonnene Trainer Vicente del Bosque warf dem Brasilianer Ronaldo kürzlich überraschend vor, nicht genügend am Mannschaftsspiel teilzunehmen, nahm das aber sogleich zurück. Torwart Iker Casillas wiederum erregte sich über den Kollegen Oliver Kahn, weil der ihm nach dem Länderspiel in Mallorca das Trikot nicht schenken wollte. Auf Vermittlung der Sittenhüter Bild (Deutschland) und Marca (Spanien) traf das gute Stück gestern samt Entschuldigung und Einladung nach München in Madrid ein, weshalb nun trotz der Differenzen von Gerhard Schröder und José María Aznar die deutsch-spanische Völkerfreundschaft weiter gedeiht. Doch am Sonntag zeigte sich wieder, wie brüchig die Madrider Harmonie sein kann. Im Falle eines Erfolges beim Provinzteam Osasuna in Pamplona hätte Real Madrid nach zehn zum Teil rauschenden Siegen in Folge San Sebastián abgelöst. Doch die müden Stars verloren 0:1 und verpassten die Tabellenführung am selben Ort, wo sie Platz eins vor zehn Monaten an den späteren Meister Valencia abgegeben hatten. Obendrein flog Figo vom Platz, Roberto Carlos spielte so schlecht wie selten, und Zinedine Zidane wurde ausgewechselt. Vor einer Woche hatte es bereits aus Paris geheißen, der Franzose habe beim Länderspiel gegen Tschechien (0:2) 40 Mal den Ball verloren und sei ausgepfiffen worden. Man wollte es nicht glauben in Madrid, wo der Stratege zuletzt für Geniestreiche gefeiert worden war, neben denen sogar Figo oder Raúl wie brave Arbeiter aussahen. Schwächeanfälle allerdings sind auch bei ihm nicht zu vermeiden. Wen wollte das wundern? Del Bosque stellt fast ununterbrochen dieselbe Elf auf, und zwischendurch reisen die Brasilianer Carlos und Ronaldo zum Länderspiel nach China. Es scheint, als wollten sich diese Harlem Globetrotters des Fußballs über die Lande zaubern und ihre sündteuren Reservisten Guti, Solari oder McManaman nur notfalls einsetzen – zum Beispiel im Pokal, aus dem sich die Zaubertruppe mit einem 0:4 auf Mallorca verabschiedete. Richtig in Schwung kommen die Herrschaften nur, wenn viele Millionen zusehen, und so ist die Champions League willkommen. „Real Madrid wächst mit dem Europacup“, glaubt Ronaldo und ahnt, dass das auch nötig ist, weil bei einer Niederlage die Tournee bereits in der Zwischenrunde vorbei sein könnte. Zum Glück sind die Tore festgeschraubt.“

Walter Haubrich (FAZ 19.2.) schreibt dazu. „Vicente del Bosque ist ein sehr ruhiger und in seinen Äußerungen außergewöhnlich vorsichtiger Mann. Vor einigen Tagen sagte der Trainer von Real Madrid allerdings einen Satz, den er so eigentlich nicht sagen wollte. Alle Spieler hätten sich jetzt gut in die Mannschaft integriert, mit Ausnahme von einem. Dieser eine, das brauchte del Bosque nicht mehr zu sagen, konnte nur Ronaldo sein. Der brasilianische Star, im vorigen Jahr zum weltbesten Fußballer gewählt, berührt in manchen Spielen nur selten den Ball. Während die anderen Spieler die vielen Kurzpässe mit traumhafter Sicherheit annehmen – Zidane sogar häufig mit dem Absatz und dem Rücken zum Ball – kommen die Bälle bei Ronaldo oft nicht an, weil der Weltmeister nicht an der richtigen Stelle steht. Der Brasilianer sei noch nicht lange genug in der Mannschaft, um zu wissen, wo genau die Bälle von Figo, Raúl oder Zidane ankämen, sagt der Trainer. Das habe er mit seinem leider zu kurz geratenen und deshalb unvorsichtigen Satz sagen wollen, erklärte del Bosque einen Tag später. Bei anderen berühmten Spielern Real Madrids habe es auch eine Zeitlang gedauert, bis sie sich völlig in die Mannschaft integriert hätten. Inzwischen aber trainiert Ronaldo schon ein halbes Jahr lang mit seinen jetzigen Mannschaftskollegen. Er hat neun Tore geschossen – genausoviel wie Raúl und Figo. Die bei seiner Ankunft in Madrid versprochenen zwanzig Tore in der Liga könnte er also erreichen. Seine Mitspieler helfen ihm, dieses Versprechen zu erfüllen und lassen ihn schon einmal einen Elfmeter schießen, obwohl für diese Strafstöße eigentlich Figo zuständig ist. Ronaldo ist als ein freundlicher Mensch mit guten Umgangsformen bekannt. Er gibt, wann immer er kann, Journalisten Interviews. Auch unter seinen Mitspielern gilt der Brasilianer als beliebt. Wenn der eine oder andere von ihnen schon einmal im privaten Gespräch sagt: Unser guter Dicker könnte ja etwas mehr laufen, ist das nicht böse gemeint. Gewöhnlich kommt das Lob gleich danach: Doch wenn er einmal läuft, rennt er allen davon. Den schnellen Angriff Ronaldos im Ballbesitz fürchten inzwischen die Abwehrspieler aller spanischen Erstligamannschaften. Häufig erhält der Brasilianer einen Sonderbewacher, was dann wiederum seinen ebenfalls gefährlichen Mitangreifern Raúl, Zidane, Figo oder Roberto Carlos zugute kommt. Der beim Publikum beliebte und innerhalb der Mannschaft immer mit Respekt angehörte Raúl hat mit einem klaren Satz inzwischen die Frage, ob Ronaldo nicht häufiger in der Abwehr aushelfen sollte, entschieden: Einer sollte bei uns immer vorne im Angriff spielen – und das ist Ronaldo.“

Roland Zorn (FAZ 19.2.) über den Dortmunder Kapitän. „Mit 36 Jahren ist dieser rastlose Franke der Dauerbrenner des BVB, seit elf Jahren willkommen im Klub und seit fünfeinhalb Jahren der Kapitän des Meisters. Daß sich einer wie er inzwischen auch mal das Recht herausnimmt, als moderater Chefkritiker aufzutreten, ist bei Reuters Vorgesetzten geradezu erwünscht. Und so hat der 69mal in der Nationalmannschaft eingesetzte und noch immer überaus aktive Weltmeister von 1990 vor der Reise der Borussen zu Real Madrid ein souveränes und couragiertes Auftreten seines Teams im Bernabéu-Stadion an diesem Mittwochabend gefordert. In der Champions League, zumal auf Besuch bei einem Fußballmythos wie Real, brauche der BVB das gewisse Etwas an Ausstrahlung, um die Kraftproben mit dem spanischen Rekordmeister in dieser und der kommenden Woche zu bestehen und so einen großen Schritt zum Etappenziel Viertelfinale zu tun. Es muß uns klar sein, sagt Reuter unaufgeregt wie immer, daß das eine Mannschaft ist, die wir durchaus schlagen können. Er selbst fühlt sich auch im gehobenen Spieleralter – Reuter ist ein Jahr älter als sein Trainerfreund Matthias Sammer und hat mit ihm zusammen die Fußballehrerlizenz erworben – schnell genug, Schritt zu halten mit den besten jungen Leuten seiner Branche. Mag sein, daß es der defensive Mittelfeldspieler an diesem Abend wieder einmal wie vor fünf Jahren, damals im Halbfinale der Champions League, mit Spaniens Superstar Raúl zu tun bekommt. Und wenn schon, sagt sich Reuter, der so etwas wie ein motorischer Stoiker ist. Der aber auch schon mal Zornesfunken versprühen kann, wenn ihm die professionelle Haltung eines Kollegen auf dem Platz als nicht solide genug vorkommt. Dann kann der nette Herr Reuter zum fuchtigen Stefan werden (…) Weil er im Hier und Jetzt zu Hause und dazu ein unverwechselbarer Anti-Star ist, gehört er nicht zu jener Sorte Spieler, die im Vergangenen schwelgen und malerische Schilderungen ihrer Titelheldenerlebnisse zum besten geben – Reuter war Weltmeister 1990, deutscher Meister mit dem FC Bayern München 1989 und 1990, deutscher Meister mit Borussia Dortmund 1995, 1996, 2002, Champions-League- und Weltpokalgewinner mit dem BVB 1997. Nüchtern, wie er Fußball spielt, berichtet der Abwehrstratege lieber über seine gemeinnützigen Aufträge als umsichtiger Kapitän der Borussia, der stets darum bemüht ist, die Integration von Brasilianern und Tschechen ins Innere des Vereins zu erleichtern.“

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Georg Bucher (NZZ19.2.) über den Spielmacher von Deportivo La Coruña. „Valerón ist neben Raul der talentierteste Spieler spanischer Herkunft – und einem hohen Verletzungsrisiko ausgesetzt. Peña (Valladolid) sowie Baraja (Valencia) waren dafür verantwortlich, dass er längere Pausen einlegen musste. Sein fragiler Körperbau garantiert indessen Leichtfüssigkeit und technische Klasse. Zusammen mit einer aussergewöhnlichen Vista markieren sie den Unterschied zu guten Spielern; als König des letzten Passes und als Harry Potter wird der gebürtige Canario hofiert. Unbeeindruckt von Modeströmungen, lenkt er nicht vor der Abwehr, sondern hinter den Spitzen das Spiel. Den Gegenpart bildet Mauro Silva. Stets im Schatten hochbegabter Individualisten – Bebeto, Rivaldo, Djalminha und Valerón –, ist er dennoch der Patron, verlängerter Arm des Trainers und Bindeglied zu den Aficionados. Auch nach Karriereende will der 35-jährige Brasilianer La Coruña treu bleiben.”

„Bei Deportivo La Coruña stagniert der Fussball derzeit auf hohem Niveau“, schreibt Georg Bucher (NZZaS 16.2.). „Deportivo hatte sich unter Regie des legendären „Hexers von Arteixo“, Arsenio Iglesias, angeschickt, eine bessere Adresse im spanischen Fussball zu werden, 1995 den Cup und 2000 mit dem Basken Irureta die Meisterschaft gewonnen. Im selben Jahr wurde als Pendant zum kunstvoll gefertigten Obelisken im Stadtzentrum ein zweiter Obelisk errichtet. „Wir mögen den Obelisk Millennium nicht“, steht auf der grauen Aussenwand einer Schule. Nonnen vom Orden der Sklavinnen geben pädagogisch den Ton an. Auf einem betonierten Bolzplatz im Innenhof der Anstalt imitieren Kinder in dunkelblauen Uniformen und blauweiss gestreiften Trikots den Torjubel des fliegenden Holländers Makaay. Rund ums Riazor-Stadion dominieren die Vereinsfarben Blauweiss – gleichzeitig jene des Stadtwappens mit Herkulesturm, Krone, Kreuz und Totenkopf. Ins Stadion integriert ist der Fanartikel-Shop Deportienda, das Wellness-Studio Deporclinica wartet auf Kundschaft. Schwierige Geschäfte in Zeiten einer doppelten Krise. Trotz Modernisierungs- und Aufschwungsparolen müssen jährlich 20000 Galicier emigrieren, die Arbeitslosenquote ist auf fast 13 Prozent gestiegen. Das Riazor-Stadion ist seit einigen Monaten eine leichter zu nehmende Festung. Zwölf Meisterschaftspunkte hat Deportivo im eigenen Stadion verloren, und im Halbfinal der Copa del Rey gewinnt hier, gegen den Cup-Holder, auch Real Mallorca. Als der Referee das Hinspiel anpfeifen will, wird es dunkel. Stromausfall im Stadtteil, seit der Renovierung des Estadio Riazor zur WM 1982 das erste Malheur dieser Art.“

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