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Deutliche Kritik der Qualitätspresse an der Bayern-Führung wegen des Verbots dreier Fanklubs – nur die Sport-Bild protegiert ihre Lieblinge

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Deutliche Kritik der Qualitätspresse an der Bayern-Führung wegen des Verbots dreier Fanklubs – nur die Sport-Bild protegiert ihre Lieblinge

Selbstgefälligkeit, Arroganz, Medienmacht

Ralf Wiegand (SZ 10.7.) kritisiert das Verbot dreier Bayern-Fanklubs hart und sorgt sich um die Gewährleistung demokratischer Prinzipien. „Mal wieder spielt die oberste Moralinstanz des Fußballs mit ihrer Macht. Natürlich ist es ratsam, kleinste Anzeichen von Gewaltbereitschaft unter seinen Fans zu beobachten, und es ist gut, dass ein Verein rechtsradikale Gruppen nicht zu seinem Gefolge zählen möchte und recherchiert, ob sich da was zusammenbraut. Nur: Der FC Bayern beobachtet und recherchiert selten. Er explodiert. Der kleinste Kratzer auf dem blank polierten Lack des Weltklubs gilt als Totalschaden. Das Image ist heilig, verteidigt wird es notfalls durch Selbstjustiz. Bisher traf der Zorn andere. Die DFL, der die Bayern mitteilten, sie solle wegen der Kirch-Verträge ruhig ermitteln, aber man werde kein negatives Urteil akzeptieren. Den Sender RTL, dem Manager Hoeneß alles Schlechte wünscht, weil er die Champions-League-Rechte verschmäht. Real Madrid mit der Zirkusnummer Beckham. Lothar Matthäus, der die Bilanz seines Abschiedsspiels prüfen wollte und den die Bayern offen mit einer Kampagne bedrohten, ehe sich der erste Richter nur geräuspert hatte. Und so weiter, und so fort. Die Selbstherrlichkeit speist sich aus ungebremstem Zulauf. Sponsoren drängeln sich um Werbeplätze, Politiker auf der Ehrentribüne, Fans um Dauerkarten auf verregneten Plätzen. Die Bayern wähnen sich im Boom-Gebraus als Gegenentwurf zu Jammer-Deutschland. Die Bayern: ein Staat im Staat. Oberster Verfassungsgrundsatz im FC-Bayern-Land: Alles hat zum Wohle des Klubs zu geschehen. Die von so viel Selbstgefälligkeit überrollten Anhänger sprechen von ihrem Verein eingeschüchtert als „das System“ oder „die AG“, als handele es sich um eine Diktatur. Die ausgeschlossenen Fan-Klubs, die sich pauschal verunglimpft sehen, resignieren vor der Medienmacht FC Bayern. Bisher polarisierte der Verein nur die Lager, nun spaltet er die Basis seines Ruhms: das eigene Volk. Das ist noch selten einem Staat bekommen.“

Christoph Biermann (SZ 10.7.) verteidigt die Verantwortlichen der Bestraften vehement. „Die Selbstdarstellung von Gregor Weinreich, 26, hat seit Mittwoch einen verzweifelt sarkastischen Unterton. Der Vorsitzende des Club Nr. 12, eines Zusammenschlusses von Fans des FC Bayern, beschreibt sich als „mäßig intelligent, Bauingenieur, Wechselwähler (nicht zwischen DVU und NPD)“, trage „Anzug gern ohne Krawatte, im Moment keinen Mord planend“. Eine witzige Replik soll das sein auf den Bayern-Manager Uli Hoeneß. Nur ist Weinreich nicht nach Späßen zumute, unter Tränen sagt er: „Ich bin fix und fertig.“ Als Reaktion auf die Ausschlüsse, so wird Hoeneß in der Sport-Bild zitiert, hätte der Fanbeauftragte und ehemalige Bayern-Keeper Raimond Aumann Morddrohungen bekommen. Anonym per Internet und E-Mail geschah das zwar, doch ein Täterprofil hatte Hoeneß gleich parat: „hochintelligent, Betriebswirtschaftler, Anzug und Krawatte“. Die rechtsradikale Haltung glaubt der Manager auch zu kennen. „Sie sagen nein. Aber natürlich gibt es gewisse Elemente. Ob rechts oder nicht.“ Das ist schwammig formuliert, funktioniert aber als Rufmord gegenüber den Geschassten ganz prima und ist bisheriger Gipfel einer Debatte, die über die Klärung von Recht und Unrecht in München hinausgeht. „Solche Probleme gibt es vor allem dort, wo ehemalige Profis die Fanbetreuung übernommen haben“, sagt Thomas Weinmann, Fanbeauftragter bei Borussia Mönchengladbach. Denen würde oft ein tieferes Verständnis für das Gewusel in den Kurven fehlen. Ähnlich den popkulturellen Subkulturen hat es nämlich auch in den Fan-Kurven eine große Ausdifferenzierung gegeben. Der Fankultur letzte Wendung sind die Ultras, die seit rund vier Jahren in Deutschland ungeheuren Zulauf haben. Als „total intelligente, hochmotivierte Leute“ beschreibt sie Thomas Schneider von der Koordinationsstelle Fan-Projekte (KOS) in Frankfurt. Die Ultras, zu denen sich auch die vom FC Bayern ausgeschlossene Schickeria München zählt, orientieren sich nicht mehr am Vorbild englischer, sondern an dem italienischer Fans. Im Mittelpunkt steht eine möglichst opulente Selbstinszenierung durch große Schwenkfahnen oder Kurvenchoreographien mit Papptäfelchen im Stil nordkoreanischer Jubelfeiern. Das gefällt auch vielen Fußballverantwortlichen. Uli Hoeneß hat ein großes Foto von der Choreografie beim Champions-League-Finale 2001 in seinem Büro hängen. „Heute ist ein guter Tag, um Geschichte zu schreiben“, hatten die Fans ihrer Mannschaft auf einem riesigen Transparent mitgeteilt und die Kurve in Rot und Weiß getaucht – organisiert vom nun verbannten Club Nr. 12. Einerseits sind die Ultras mit ihrem Sinn für Inszenierungen also durchaus geschäftskompatibel, unkritisch aber sind sie nicht (…) Die Aktion Pro Fans, aus Pro15:30Uhr hervorgegangen, hat eine Reihe nur noch bizarr zu nennender Beispiele dafür gesammelt, wie schnell inzwischen bundesweite Stadionverbote ausgesprochen werden. Schon ein wegen eines Gegentores wütend weggeworfener Bierbecher kann dazu reichen. Immer häufiger wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen, und man könnte den Eindruck gewinnen, dass System dahinter steckt. „Es ist doch verlockend, wenn man das wirtschaftlich sieht“, sagt Weinreich vom Club Nr. 12. Er meint damit, dass fordernde, manchmal vielleicht auch für nervend gehaltene Fans durch solche ersetzt werden, die brav zahlen und dann gehen. Und Stimmung kann man auch anders machen. Der FC Bayern überlegt, das akustische Loch in der Südkurve im kommenden Jahr mit einer Blaskapelle aufzufüllen.“

Die Fankultur beim FC Bayern hat einen massiven Schaden erlitten

Markus Schäflein (SZ 10.7.) berichtet Hintergründe und referiert die anmaßenden Äußerungen des Bayernmanagers. „Uli Hoeneß machte den ausgeschlossenen Klubs schwere Vorwürfe: „Mitglieder, die bei Aktionen nicht mitmachen wollen, werden geschlagen, bedroht oder mit Alkohol gefügig gemacht.“ Weinreich bezeichnet dies als „lächerlich“ und wehrt sich auch gegen den Verdacht des Rechtsradikalismus. Am Wochenende wollten Mitglieder seines Vereins nach Italien zu einem Fußballturnier gegen Rassismus fahren. Der Club Nr. 12 bezeichnet sich selbst als „Zusammenschluss aktiver Bayernfans“. Ihm gehören auch Mitglieder der ebenfalls ausgeschlossenen Gruppierungen Red Sharks und Schickeria an. Über 500 Anhänger sind laut Weinreich bei seiner Organisation Mitglied, darunter fast 100 Vorsitzende anderer Fanklubs. Dadurch ist der Club Nr. 12 kein gewöhnlicher Fanklub mehr, sondern eher eine inoffizielle Dachorganisation vieler Fanklubs. Dementsprechend viel Einfluss hat die Vereinigung in der Südkurve. Diesen Einfluss nutzte der Club Nr. 12 zu zahlreichen Aktionen. Er organisierte immer wieder Choreographien auf den Rängen und wurde dafür vor zwei Jahren im Stadionheft auf einer ganzen Seite gelobt. Von Hoeneß. Aber längst nicht alle Aktionen lagen im Interesse der Vorstandschaft des FC Bayern. Bereits 1998 unterstützte der Club Nr. 12 eine Faninitiative für Stehplätze. Während der ersten Halbzeit des Spiels gegen den Hamburger SV organisierte er eine Blocksperre. Der Block V unter der Anzeigentafel blieb menschenleer, statt Anfeuerung war nur die Forderung „Sitzplätze raus!“ zu hören. Außerdem mischte sich der Klub in die Stadiondebatte ein. Fast alle Anhänger in der Südkurve hielten Wahlzettel in die Höhe, auf Transparenten stand: „Umbau? Wir wählen den Neubau!“ Als der Fanklub diese Aktionen begann, favorisierte der Verein noch einen Umbau des Olympiastadions. Im Moment engagieren sich die Mitglieder des Club Nr. 12 gegen die Einführung einer Europaliga, gegen einen Börsengang des FC Bayern und für fanfreundliche Anstoßzeiten (…) Der FC Bayern weiß, dass die Anführer des Club Nr. 12 nicht den Klischees tumber Gewaltverbrecher entsprechen. „Diese Leute sind sehr geschickt, hochintelligent“, sagt Manager Hoeneß, „aber das Gefährliche ist, wenn sie irgendwann in Anzug und Krawatte einen totschlagen.“ Gregor Weinreich sagt: „Wir werden mit einem riesigen Schmutzkübel überzogen, aber wir sind trotzdem noch gesprächsbereit.“ Weil er sich trotz allem noch als Teil des FC Bayern fühlt, „so unverständlich das sein mag.“ Er ist sich aber sicher: „Egal, wie die Sache endet, die Fankultur beim FC Bayern hat einen massiven Schaden erlitten.““

Kriechereien

Die Qualitätspresse geht mit den Handlungen und Äußerungen der Verantwortlichen von Bayern München also kritisch ins Gericht. Dahingegen kann sich Uli Hoeneß auf die Linientreue der Sport-Bild verlassen. Auf der aktuellen Titelseite (9.7.) blickt das Opfer Hoeneß nachdenklich drein undenthüllt „Morddrohungen“ und „Erpressungen“. Im Innenteil werden die Vorwürfe gegenüber den verbotenen Fanclubs konkretisiert: „Bei der Meisterfeier sollen Fans den Autokorso durch München am Durchfahren gehindert haben. Tausende von Bayern-Anhängern konnten daraufhin ihre Stars nicht sehen.“ Welch ein Vergehen! „Die Rowdys sind radikal!“ Hoeneß´ schreibender Erfüllungsgehilfe und treu ergebener Diener Raimund Hinko vergleicht sodann David Beckham mit Bayernstar Michael Ballack; zu klaren Gunsten des letzteren versteht sich. „Hier der pure Fußballer Ballack, dort das ferngesteuerte Kunstprodukt Beckham.“ Nach rhetorischen Klimmzügen („Wer die Frage stellt, wie viel Beckham denn schon in Ballack steckt, der muss sich auch der Gegenfrage stellen: Wie viel Ballack steckt denn in Beckham?“) wählt Hinko eine Analogie, die seinen Lesern sicherlich verständlich sein wird. „In der Showbranche ist Superstar Alexander Klaws im Vergleich zu Daniel Küblböck eher ein blasser Typ wie Ballack. Er lebt wie Ballack mehr von seinen fachlichen Kriterien.“ Danke für die Übersetzung!! Sport-Bild-Autor Jörg Althoff kriecht noch tiefer rein: Was habe Beckham denn schon geleistet, „abgesehen von sechs englischen Meistertiteln und einem glücklichen Champions-League-Sieg 1999“ fragt Althoff ironiefrei. Abgesehen von sechs englischen Meistertiteln und einem glücklichen (sic!) Champions-League-Sieg 1999!! In der Tat: Lappalien. Worin ist diese gewollte (und lächerliche) Abwertung Beckhams motiviert? Uli Hoeneß hatte sich kürzlich über den Trubel mokiert, der in Madrid bei der Präsentation des englischen Superstars veranstaltet wurde. Damit wollte er zwischen den Zeilen mitteilen, dass der FC Bayern seine Spieler wohl ausschließlich nach sportlichen Kriterien auswähle und die Vereinsführung nach anderen Spielregeln agiere als das spanische „Affentheater“– sprich: nach denen der ehrenwerten Sportkaufmannsethik. Mit der armseligen Kritik am Showfaktor Beckham hat er sich nicht nur als Neider zu erkennen gegeben, sondern gleichzeitig seinen Vasallen von der Sport-Bild einen unmöglichen Spagat abverlangt. Diese kennen eigentlich keine Berührungsängste mit dem Boulevard. Schließlich hält uns Europas größte Fachzeitschrift in der Rubrik „Verbotene Liebesspiele im Bayern-Pool“ (Ausgabe vom 9.7., S. 8) u.ä. auf dem Laufenden. Außerdem wissen wir nach jahrelanger Lektüre, bei welcher Wassertemperatur Mehmet Scholl duscht und welchen Italiener Giovane Elber favorisiert.

Man will immer mehr

Philipp Selldorf (SZ 9.7.) analysiert das dargestellte Leitbild des FC Bayern. „Der Geist des FC Bayern München ist bekanntlich ein Mythos ersten Ranges im deutschen Fußball, und im Trainingslager in Leipzig ist dieser Tage wieder häufig die Rede davon. Uli Hoeneß hatte damit angefangen, als er Michael Ballack bescheinigte, „eine unglaublich tolle persönliche Entwicklung hinter sich“ zu haben, nachdem er „vollkommen verinnerlicht hat, was den FC Bayern ausmacht“. Ein größeres Lob kann es eigentlich nicht geben im Wertekosmos des Managers, das weiß Michael Ballack. Was er nicht weiß: WAS er da angeblich verinnerlicht hat. Um eine Erklärung gebeten, suchte der Nationalspieler mit vielen Worten nach einer klugen Definition, bis er auf eine Formel von bestechender Klarheit stieß: „Man will immer mehr“ (…) In diesem Jahr wollen die Münchner mehr gewinnen als nur den nationalen Meistertitel und den Pokal, was auch Michael Ballack zum Ziel erhoben hat. Mit der sachte neuformierten und reifenden Mannschaft glaubt der Mittelfeldstratege, jede Herausforderung bestehen zu können, auch internationale, die Champions League und Real Madrid inklusive. „Wenn wir Normalform haben, brauchen wir uns vor niemandem zu verstecken in Europa“, behauptet er und offenbart damit auf ein Neues, dass er über ihn gekommen ist, der stets etwas überhebliche Geist des FC Bayern München. Uli Hoeneß definiert ihn folgendermaßen: „Es ist etwas, das man selbst nicht spürt. Es sind eher Automatismen, Verhaltensweisen, Ausstrahlung auf dem Platz, selbstbewusst zu sein, ohne arrogant zu werden.“ Was die Arroganz angeht, ist der umtriebige Manager wohl ein bisschen bescheiden. Noch sind die Tiraden von Uli Hoeneß nicht verklungen, die er nach der Heimkehr aus dem Urlaub den diversen deutschen Privatfernsehmachern und den Bossen des großen Rivalen Real Madrid gewidmet hatte, und deren Folgewirkung bleibt zweifelhaft. Hoeneß spricht von einem „Herzensbedürfnis“, das er sich erfüllt habe, da ist es ihm einerlei, dass es eines Tages ein Wiedersehen geben könnte, nicht nur mit Real Madrid. Doch Konfrontationen und harte Worte vor Publikum gehören zum Selbstverständnis und zur Politik der Vereinsführung.“

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